Topanbieter bauen einfachere Netze

Kampfansage an Komplexität

30. September 2010, 6:00 Uhr | Stefan Mutschler

Auf dem Weg ins Cloud-Zeitalter ist das zentrale Thema nach wie vor die Virtualisierung - und diese endet längst nicht bei Servern und Speichersystemen. Verstärkt geraten jetzt die Netzwerkstrukturen und -komponenten selbst ins Visier, denn deren Verwaltung gilt im Hinblick auf die neuen Herausforderungen als zu umständlich und zu teuer. LANline zieht eine kurze Zwischenbilanz, mit welchen Strategien und Techniken Spezialisten wie Juniper und Brocade Allroundern wie HP und Cisco den Schneid abkaufen wollen.

Rechenzentren waren schon immer eine ewige Baustelle – es gibt wahrscheinlich kein einziges auf
der Welt, bei dem die Verantwortlichen sagen: "Alles fertig!" Aktuell geistert der Begriff "
Transformation" durch die einschlägigen Kongresse – und dies verheißt deutlich mehr als die
üblichen Erneuerungen und Anpassungen. "Unternehmen müssen ihre Rechenzentren vom
kostenorientierten Service-Center zum Business-Treiber umformen", formuliert es Pradeep Sindhu,
Gründer, Vice Chairman of the Board und Chief Technology Officer bei Juniper. "Was in jedem Fall
nötig ist, sind sehr schnelle, einfache und kosteneffiziente Netzwerke – und keiner der
traditionellen Anbieter ist in der Lage, genau das zu bieten", so die engagierte Kampfansage des
Juniper-Mannes. Im Frühjahr dieses Jahres präsentierte Juniper die aktuellen Entwicklungen seiner
Virtual-Chassis-Technik, die mehrere physische Switches zu einer logischen Einheit zusammenfasst.
Ziel ist die vollständige Virtualisierung der Switch-Ebene in einer durchgängig vermaschten Fabric,
die aus Management-Perspektive als einzelne Instanz erscheint. Nicht Hunderte einzelner Switches
werden künftig verwaltet, sondern das Switching als Gesamtheit.

Ganz soweit ist es aber noch nicht – derzeit, so Juniper, ließen die physikalischen
Eigenschaften der Netzwerkchips nur eine Teilvermaschung zu, bei der aber immerhin bereits eine
Gruppe von Switches in den Virtualisierungsverbund integriert werden könne. Für eine voll
vermaschte Netzwerk-Fabric arbeitet Juniper im Projekt "Stratus" eng mit IBM zusammen. Ab Mitte
kommenden Jahres soll es da-raus erste konkrete Ergebnisse geben (siehe dazu auch "RZ als
skalierbarer Business-Katalysator", LANline 7/2010, Seite 12).

Was bei Juniper "Virtual Chassis" heißt, stellte Brocade an seinem kürzlich abgehaltenenen
Technology Day in New York als "Virtual Cluster Switching" (VCS) vor. Auch dort geht es darum, eine
Gruppe physischer Switches als logische Einheit zu betrachten und zu verwalten. Brocade legt dabei
großen Wert auf eine die Speicher-, Server- und Datennetze umfassende, vereinheitlichte Fabric, die
grundsätzlich Multi-Pathing-fähig und dauerhaft ist. Wie bei Junipers Ansatz ist auch hier das
Spanning Tree Protocol (STP) nicht mehr erforderlich. Ein weiterer technischer Grundbaustein des
VCS ist die vollständig automatisierte und verteilte Kontrollkonsole. Das System liefert eine
kontinuierliche Synchronisation von Status- und Konfigurationsinformationen – wie beispielsweise
Metadaten der virtuellen Maschinen (VMs), Netzwerk- und Speicherrichtlinien – zwischen den
Mitglieder-Nodes. Damit, so Brocade, könnten konvergierte Fabrics sich selbst formen, Fehler
automatisch beheben und selbst konfigurieren.

Brocade konzipiert VCS als Basistechnik für die Bildung großer, hochleistungsfähiger und flacher
Layer-2-Rechenzentrums-Fabrics, um die zunehmend verbreitete Server-Virtualisierung besser
unterstützen zu können. VCS basiert auf Data Center Bridging (DCB, früher auch als Converged
Enhanced Ethernet oder kurz CEE bezeichnet), dessen Entwicklung Brocade maßgeblich mit
vorangetrieben hat. Eine weitere Schlüsseltechnik von Brocade VCS ist der IETF-Standard "
Transparent Interconnection of Lots of Links" (TRILL), der einen effizienteren Weg liefert, Daten
über konvergierte Fabrics zu bewegen. Dazu gehört die automatische Festlegung des kürzesten Pfades
zwischen den Routen.

VCS ist als zentrale technische Innovation in ein umfassendes Konzept zur radikalen
Vereinfachung der Netzwerkarchitektur im RZ eingebunden, das Brocade "Converged Fabric" nennt.
Neben VCS gehören dazu weitere technische Neuerungen, darunter etwa Brocade Virtual Access Layer –
eine logische Ebene zwischen der Brocade Converged Fabric und den
Server-Virtualisierungs-Hypervisoren – sowie Brocade Network Advisor – ein Toolset, das
Unterstützung für führende Werkzeuge aus dem Bereich Netzwerk-, Speicher-, Virtualisierungs- und
RZ-Management bietet. Die Converged-Fabric-Lösungen, für die das Unternehmen mit dem Brocade
Network Operating System ein spezielles, neues Betriebssystem entwickelt hat, sollen ab dem vierten
Quartal 2010 über Brocade und seine Partner erhältlich sein.

Umfassende Perspektive bei Cisco

Platzhirsch Cisco zeigt sich von den Angriffen der Netzwerkspezialisten unbeeindruckt. Das
Unternehmen bietet eine Reihe mittlerweile praxisbewährter Techniken, um die RZ-Virtualisierung auf
allen Netzwerkebenen voranzutreiben. "Der virtuelle Port Channel – VPC – für Cisco Nexus etwa
ermöglicht Bandbreitenaggregation über mehrere Switches hinweg", erklärt Ulrich Hamm, Technical
Solution Architect bei Cisco Systems. "Zwei VPC-verbundene Switches erscheinen einem Drittgerät
gegenüber als ein logischer Switch – wobei die Loop-freie Topologie von VPC auch extrem hohem
Durchsatz- und Verfügbarkeitsbedarf gerecht wird."

Im Core-Bereich bietet Cisco seit einigen Jahren das Virtual Switching System (VSS) an. Damit
lassen sich zum Beispiel zwei physische Catalyst-6500-Switches logisch zusammenfassen und wie ein
einziges Gerät verwalten. "Der wohl entscheidende Durchbruch aber, um die Komplexität im
virtualisierten Rechenzentrum einzudämmen, ist unsere Unified Fabric", so Hamm. "Denn sie
überwindet die Barriere zwischen LAN und SAN per Fibre-Channel-over-Ethernet und schafft damit die
Basis für ein einheitliches Management über die Server-, Speicher- und Netzwerkebene hinweg." Zu
Standards hat Cisco bekanntermaßen ein eher gespaltenes Verhältnis. Daher verwundert es nicht, wenn
auch die Realisierung von VSS und Virtual Fabric mit einer Reihe Cisco-spezifischer Techniken wie
zum Beispiel Virtual Device Context bei VPC verbunden ist.

HP Networking setzt auf Konvergenz

Auch HP sieht sich in Sachen Rechenzentrumsnetze bestens positioniert. Der Schwerpunkt liegt
hier derzeit auf der Konsolidierung der Anschluss- und Verkabelungstechnik von Rack-Systemen. "Die
Konvergenz der Netze, Server und Speicher ist die Kernstrategie von HP Networking", betont Lars
Hartmann, Sales Manager bei HP Networking. "Wire Once" sei hier das Stichwort: "Eine einzige
Komponente verbindet die Server mit jedem Netzwerk, unabhängig davon, ob Fibre Channel, Ethernet
oder iSCSI", erläutert Hartmann. "Bei einer Änderung, beispielsweise dem Verschieben einer
Applikation auf einen anderen physischen Server oder gar in ein entferntes Rechenzentrum, wandern
die Netzwerkkonfigurationen wie zum Beispiel die Sicherheitsparameter mit." Eine manuelle oder
physische Umkonfiguration des Netzwerks sei damit nicht mehr nötig. Zudem lasse sich damit die Zahl
der physischen Netzwerkverbindungen drastisch reduzieren. "Erst vor kurzem haben wir zum Beispiel
das neue Modul Virtual Connect Flexfabric vorgestellt, das Speicher- und Datennetze verbindet und
damit die erforderliche Netzwerkinfrastruktur am Server um bis zu 95 Prozent reduziert", so
Hartmann. "Eine weitere Neuerung ist das neue FCoE-Modul für HP-A5820-Switches, das Speicher- (FC)
und Netzwerkkonnektivität (LAN) in einem einzigen Top-of-Rack-Switch vereint." Mit der
Netzwerkkonsolidierung direkt am Server können Unternehmen laut dem HP-Mann die Aufwendungen für
Speicher-Equipment und Verkabelung um bis zu 75 Prozent reduzieren.

Virtual Connect Flexfabric ermöglicht eine Aufteilung der Kommunikationsschnittstelle auf bis zu
vier Kanäle. Hinzu kommt, dass sich der jeweils erste Kanal auch als Fibre-Channel-HBA (Host Bus
Adapter) verwenden lässt. Neben drei Ethernet-Anschlüssen stellen die Blades damit bereits einen
Speicheranschluss bereit.

Es wäre wohl zu einfach, im Kampf um die beste Netzwerkkonsolidierung einen eindeutigen Sieger
zu benennen. Tendenziell scheinen die Lösungsansätze der beiden "Spezialisten" und von HP
prägnanter und mehr an Standards orientiert, die von Cisco dafür umfassender. Juniper hat in Sachen
Networking die Entwicklung von Chips, Software und Systemen in eigener Hand und deswegen hier
vielleicht einen technischen Vorsprung – dafür möglicherweise Nachteile bei der Speicheranbindung.
Eine exakte Evaluierung anhand der konkreten Erfordernisse bleibt also niemandem erspart.

transfer


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