Herausforderung Service-Portfolio-Management

Klassische IT vor dem Aus

13. Dezember 2011, 7:00 Uhr | Thomas Gerick/wg, Leiter Unternehmenskommunikation bei USU,

Mehr als fünf Computer weltweit konnte sich IBM-Chef Thomas J. Watson vor fast 70 Jahren gar nicht vorstellen. Heute stehen mehr und bessere Computer zu Hause als in den Betrieben. Die Innovationen kommen heute von außen - von den Angestellten und aus dem Netz. Digital Natives installieren ihre Apps und Social-Media-Werkzeuge im Unternehmen, Fachabteilungen bedienen sich mit maßgeschneiderten Softwarelösungen "as a Service". Die Technikoffensive von unten kratzt nicht nur am Image der IT, sie bedroht die IT-Abteilungen in ihrer Existenz.Längst sind sich die Marktauguren von Gartner oder Forrester darin einig, dass Phänomene wie "Consumerization of IT" oder - damit zusammenhängend - Cloud Computing die traditionelle Rolle der IT im Unternehmen grundsätzlich in Frage stellen. Doch wie können interne oder externe IT-Service-Provider ihre historisch größte Herausforderung meistern?

Service-Broker IT

Zuhören, Verstehen, Umsetzen, Optimieren - das sind die wesentlichen Bausteine, aus denen sich ein kundenzentriertes Geschäftsmodell zusammensetzt. Angesichts der genannten Megatrends muss sich die IT neu ausrichten und zu einer kundenzentrierten Organisation entwickeln. Aber wie gestaltet die IT ausgehend von strategischen Überlegungen wie Marktbestimmung und -positionierung ihr Angebot? Und wie sichert sie ihre Lieferfähigkeit? Wie also entwickelt und steuert sie ihr Service-Portfolio?

Im Einzelnen geht es um die Frage, wer heute und morgen die Kunden der IT sind. Welche Bedürfnisse haben sie, welche zukünftigen Veränderungen, die Auswirkungen auf das Geschäft haben, lassen sich bereits heute antizipieren? In vielen Bereichen findet man eine immer arbeitsteiligere Produktion, zum Beispiel in der Medikamentenentwicklung. Dort arbeiten weltweit Dutzende von Firmen in verschiedenen Rollen an einem gemeinsamen Ziel. Service-Provider werden daher zunehmend auch für Geschäftspartner liefern - den Kunden des Kunden und dessen Geschäft gilt es in den Blick zu nehmen. Die IT muss die Lieferkette genau betrachten und möglichst durchgehend unterstützen, und und dies zu wettbewerbsfähigen Preisen.

Neben der Kundensicht ist die eigene Positionierung erfolgskritisch: Welche Rolle soll die IT künftig spielen. Soll das Wachstum eher über Innovationen, über den Ausbau der Kundenbeziehungen oder über Skaleneffekte kommen? In der Wertschöpfungsanalyse ergeben sich attraktive Kundensegmente und profitable Dienstleistungen. Die IT vermittelt Services wie ein Broker und muss dazu auswählen, welche Dienstleistungen sie selbst erbringt, welche sie zukauft und eventuell durch eigene Leistungen veredelt - und welche Dienste nicht mehr ins Portfolio gehören. Die Herausforderung besteht darin, die Services im Sinne einer "Supply Chain" (Lieferkette) von der Planung über die Bereitstellung bis zur Erbringung vorausschauend zu managen.

Service-Meta-Modell

Zur Modellierung von Services haben sich verschiedene architektonische Vorgaben bewährt, die sich aus Best Practices speisen. Service-Parameter und -Attribute geben in einer Service-Architektur die Struktur der Service-Spezifikation vor. Ziel ist es, damit Services so präzise und konsistent wie möglich zu beschreiben. Dies ist die Basis für die Formulierung von SLAs (Service Level Agreements) gegenüber den Kunden sowie OLAs (Operating Level Agreements) und UCs (Underpinning Contracts) in der Lieferkette. Einer der profiliertesten Kenner der Materie, Paul G. Huppertz, plädiert für eine Spezifikation anhand von zwölf Attributen, die jeden Service mit den nötigen Informationen zu Service-Konsument, Service-Objekt und Service-spezifischen Nutzeffekten eindeutig identifizieren.

Neben der Spezifikation anhand von Attributen gilt es, Services auch zu klassifizieren. Die Bildung möglichst zweckmäßiger, durchgängiger sowie angemessen großer Service-Domänen ist dabei eine erfolgskritische Aufgabe. Für kundenorientierte Services bietet sich meist die Geschäftsprozessstruktur des Kunden an. So gehört zum Beispiel ein für die Auswertung von DNA-Daten zuständiger Service DNA-Sequenzierung zusammen mit weiteren Services zur Domäne "Klinische Forschung" eines Pharmaunternehmens und unterstützt damit das Kerngeschäft. Weitere Service-Domänen sind beispielsweise Auftragsbearbeitung, Produkt-Management, Finanzwesen oder CRM. Letzteres wird unter anderem mit den Services Adress-/Kundenverwaltung, Kundenbedarfsanalyse, Stammdatenverwaltung, Legitimationsverwaltung und Kampagnen-Management bedient.

Für die Modellierung und Steuerung von Services ist ein weitere Aufgabe zentral: deren Aufspaltung in einzelne Sub-Services, also die Zerlegung in für die Service-Erbringung notwendige einzelne Bausteine, ähnlich einer Stückliste, wie sie in der Fertigungsindustrie Verwendung findet. Ein Verständnis des Aufbaus der angebotenen Dienste ist die Grundlage für deren Planung und Verrechnung. So besteht beispielsweise ein E?Mail-Service unter anderem aus Helpdesk-Services, Anti-Spam-Software, eigener Hardware oder Softwarelizenzen. Der Service-Provider agiert als Service-Integrator, kauft zum Beispiel standardisierte Infrastruktur-Services ein, kombiniert diese mit vorhandenen IT-Assets, veredelt das Vorprodukt mit eigenen Mehrwertdiensten und bietet es als kundengerechten Service zu eigenen Tarifen an.

Kernelement Service-Katalog

Der Service-Katalog bildet den Dreh- und Angelpunkt zwischen Business und IT. Konkrete Vorgaben oder Richtlinien für die Gestaltung von Service-Katalogen existieren nicht, lediglich Best-Practice-Ansätze, wie sie etwa ITIL formuliert. Das Service-Angebot muss sich jedoch erstrangig an den Anforderungen der Service-Nutzer orientieren; in der Regel sind dies die Mitarbeiter der Fachbereiche. Die IT-Abteilungen und -Leistungen sowie die individuellen Wünsche der Service-Konsumenten unterscheiden sich oft sehr stark und ändern sich darüber zudem dynamisch. Deshalb greift ein Service-Katalog, der nur standardisierte Dienste beschreibt und anbietet, in der Praxis zu kurz.

Die Herausforderung für die IT besteht darin, auf der Grundlage standardisierter, flexibel verfügbarer Basiskomponenten, die extern eingekauft werden können, individuelle Services zu schneidern, die sie den internen und externen Kunden anbietet. Der jeweilige Basis-Service kann dabei systemseitig als Service-Blueprint angelegt sein - unterschiedliche Service-Varianten oder Sonderwünsche lassen sich dann von diesem Blueprint ableiten.

Brücke zwischen Business und IT

Um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, kommt der Kommunikation der Service-Leistung für die Kunden entscheidende Bedeutung zu: Sie bildet die Brücke zwischen der kaufmännischen und technischen Welt. Die Struktur des Service-Kataloges muss beiden Sichtweisen Rechnung tragen: Die technisch geprägten Zusammenhänge eines Services und der Infrastruktur wollen transparent abgebildet sein - in der SMDB (Service Management Database) beziehungsweise CMDB (Configuration Management Database). Diese beinhalten Abhängigkeiten, Auswirkungen, Zuständigkeiten, Preise, Parameter, Kunden etc.

Auf der anderen Seite steht die Sicht des Controllings, welche die Services aus der Perspektive des Verlaufs der Kosten- und Erlöszuordnung und -verteilung wahrnimmt. Informationen dazu sind zum Beispiel die Mengen- oder Prozentverteilungen, der Konsum, die Produktion sowie Ansprechpartner. Durch die Analyse dieser Daten lassen sich zukünftige Kundenanforderungen bereits im Vorfeld auf ihre Machbarkeit und mögliche Konsequenzen abschätzen. Und auch der Service-Kunde kann auf der Grundlage des Service-Katalogs das Preis-Qualitäts-Verhältnis beurteilen, bevor er die Service-Erbringung via SLA beauftragt.

Damit zusammenhängend ergeben sich Basisdaten für die Service-Kalkulation, die Service-Planung und eine Verrechnung, die auf Basis der Inanspruchnahme der Services beruht. Idealerweise ist die ganzheitliche Sicht auf den Service-Katalog sowie die involvierten Prozesse in einem integrierten System möglich, das über die Netzwerkstruktur der Planung für die Sicht des Controlling sowie die Service-Struktur der SMDB zur Darstellung der eher technischen Aspekte verfügt und beide Welten synchron hält.

Retained IT

Die Transformation von IT-Organisationen zum kunden- und marktorientierten Service-Provider ist in vollem Gange. Im Spannungsfeld zwischen Outsourcing, Outtasking und Cloud-Computing muss sich die IT zum Integrator und Broker von Services wandeln. Alltägliche, so genannte Commodity-Services, zum Beispiel der Server-Betrieb, wandern zu den Spezialisten, die diese Services durch Skaleneffekte wirtschaftlicher anbieten können. Entsprechend etablieren sich neue Tätigkeitsfelder und Rollen, zum Beispiel der Business-Relationship-Manager, Service-Designer oder Vendor-Manager. Management-Aufgaben treten in dieser Integratorenrolle gegenüber den klassischen technischen IT-Aufgaben in den Vordergrund.

Dynamische Methoden gefordert

Im Zentrum dieser Veränderung steht die strategische Aufgabe des Service-Portfolio-Managements. Dieses benötigen IT-Organisationen zwingend als dynamisches Methodenset für ihre geschäftliche Ausrichtung, um den Wandel zur "Retained IT" - also zur trotz Outsourcing oder Cloud-Service-Bezug im Hause verbleibenden IT - erfolgreich zu gestalten.

Die Erbringung von IT-Services stellt sich immer stärker als Lieferkette dar. Diese muss die hausinterne IT-Abteilung als Service-Broker organisieren und steuern. Bild: USU
LANline.

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