IEEE-Standard 802.11e im Detail

Quality of Service für Voice over WLAN

6. März 2007, 0:30 Uhr | Dr.-Ing. Alfred Arnold/pf Dr.-Ing. Alfred Arnold ist Firmware-Entwickler bei Lancom Systems.

Voice over IP gewinnt in Wireless LANs zunehmend an Bedeutung: mobile IP-Phones als lokaler Ersatz für Handys oder DECT-Geräte. Eine wichtige Voraussetzung für gute Sprachverbindungen liefert dabei der relativ neue WLAN-Standard 802.11e. Der Beitrag beschreibt die wichtigsten Techniken dieser Norm und macht den Unterschied zu klassischem WLAN ohne Qualitätssicherung deutlich.

WLAN gemäß IEEE 802.11 benutzt CSMA (siehe auch Kasten "Glossar") als Zugriffsprotokoll, ähnlich
wie dies von älteren Ethernet-Implementierungen her bekannt ist. Während CSMA bei Ethernet mit dem
Siegeszug vollständig geswitchter Netze praktisch ausgestorben ist, bleibt es bei WLANs aufgrund
des nur einmal vorhandenen Funkkanals jedoch unverzichtbar – der Funkkanal stellt ein "Shared
Medium" dar. Bei WLANs ist das eingesetzte CSMA-Verfahren allgemein unter dem Namen DCF
(Distributed Coordination Function) bekannt. Da im Gegensatz zu kabelgebundenen Netzen keine
Kollisionserkennung (CSMA/CD) möglich ist, kommt hier die Variante CSMA/CA – also
Kollisionsvermeidung – zum Einsatz: Die einzelnen Partner in der Funkzelle versuchen durch eine
geeignete Vorabreservierung soweit wie möglich, Kollisionen zu verhindern. Dies ändert aber leider
nichts daran, dass sich prinzipiell keine garantierten Zeiten angeben lassen, wann ein bestimmtes
Paket übertragen wird. Die höhere Rate von Übertragungsfehlern auf einem WLAN stellt im VoIP-Umfeld
weniger ein Problem dar, da die üblichen VoIP-Protokolle prinzipiell damit umgehen können, solange
die Paketverluste eine bestimmte Rate nicht überschreiten. Die Versuche vom WLAN, über
Bestätigungs- und Wiederholungspakete die Übertragungssicherheit zu erhöhen, können sogar eher
kontraproduktiv sein.

Alternative Lösungsansätze

Eine Alternative zu DCF und CSMA ist schon immer definiert gewesen, nämlich in Form der PCF
(Point Coordinator Function). Diese ersetzt den gleichberechtigten Wettbewerb um das Funkmedium
durch eine zentrale Steuerung im Access Point, der reihum die Clients abfragt und ihnen damit den
Medienzugriff zuteilt. Leider hat PCF in der Praxis nie eine Bedeutung erlangt – Access Points und
Clients, die PCF unterstützen, sind bestenfalls in Nischenmärkten zu finden. Ferner löst PCF nicht
das Priorisierungsproblem: Ein Access Point kann beim Polling der Clients nicht festlegen, welche
Pakete bevorzugt zu übertragen sind.

Eine deutlich weitere Verbreitung hat hingegen ein proprietäres Verfahren des Herstellers
Spectralink gefunden, der schon seit einigen Jahren WLAN-basierende Telefone für vertikale Märkte
produziert. Das von diesen Telefonen verwendete "SVP" ist leicht anhand eines bestimmten
IP-Protokolltyps zu erkennen, und sowohl Telefone als auch SVP-fähige Access Points behandeln
solche Pakete gesondert: Beim Versenden wird auf den normalerweise von 802.11 vorgeschriebenen "
Backoff" verzichtet – damit gewinnen diese Pakete immer den Wettbewerb um das Medium gegenüber "
normalen" Paketen.

Für viele Jahre war SVP die einzige Möglichkeit, eine Priorisierung im WLAN zu erreichen, aber
dieses recht einfache Verfahren mit seiner "Holzhammermethode" kann naturgemäß nicht alle Ansprüche
befriedigen. Dies realisiert erst die Standarderweiterung IEEE 802.11e. Diese definiert ein ganzes
Bündel von Maßnahmen zur Steuerung und Priorisierung auf dem Funkmedium. Die Erweiterungen sind so
umfangreich, dass die meisten WLAN-Geräte nur eine kleine Teilmenge der angebotenen Funktionen
unterstützen. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass die Wi-Fi Alliance in ihrer
WMM-Spezifikation (die sich zu "11e" ähnlich verhält wie WPA zu 802.11i) nur eine Untermenge der
Features von 802.11e fordert. Auf dieser Auswahl soll auch der Schwerpunkt im Folgenden liegen.

EDCF als Erweiterung von DCF

Die mit Sicherheit derzeit wichtigste Technik von 802.11e stellt die EDCF (Enhanced Distributed
Coordination Function) dar, eine Erweiterung der klassischen DCF um Elemente zur Priorisierung von
Paketen. Der Lösungsansatz ist dem von Spectralink nicht unähnlich, jedoch weitaus ausgeklügelter.
Zunächst definiert EDCF insgesamt vier Prioritätsklassen: Voice, Video, Best-Effort und Background.
Deren Namen legen bereits den bevorzugten Einsatzzweck fest: Voice-Verbindungen reagieren am
empfindlichsten auf Unterbrechungen oder Verzögerungen im Datenfluss und erhalten daher die höchste
Priorität gegenüber anderen Paketen, die sie aufgrund der geringen Menge nicht allzu sehr
behindern. In der Priorität folgen Multimediadienste, die auch bestimmte Anforderungen an die
Bandbreite haben, Verzögerungen jedoch durch Pufferung ausgleichen können. In den beiden
verbleibenden Kategorien landet nicht weiter oder als niedrig eingestufter Verkehr.

Die Priorisierung zwischen diesen vier Klassen lässt sich durch die Variation von vier
Parametern beim Kanalzugriff erreichen (Bild 1):

AIFS: Ohne QoS muss eine Station eine feste Zeit (DIFS) das Medium beobachten
und als frei erkennen, bevor ein Sendeversuch erlaubt ist. Mit dem AIFS-Parameter vergrößert sich
diese Zeit pro Prioritätsstufe um einen bestimmten Faktor. Höhere Prioritätsstufen verwenden
kleinere Werte und sind damit schneller, einen freien Kanal für sich in Beschlag zu nehmen.

CWmin und CWmax: Findet eine Station während der initialen Wartezeit das
Medium als belegt vor, oder erhält sie auf einen Sendeversuch hin keine Bestätigung vom Empfänger,
so zieht sie sich für eine zufällige Zeit vom Medium zurück, deren Wertebereich bei jedem Versuch
verdoppelt wird ("Exponential Backoff"). Die beiden Parameter legen die Minimal- und Maximalwerte
für diesen Zeitbereich fest. Höhere Prioritätsstufen verwenden kleinere Werte. Sie greifen daher im
Fall einer Kollision früher auf das Medium zu und gewinnen so den Wettbewerb um dieses.

TxOP: Dieser Parameter definiert einen Zeitraum, für den eine Station das
Funkmedium ununterbrochen zum Senden benutzen darf, nachdem sie einmal die "Kontrolle" gewonnen hat
(TxOP: Transmit Opportunity). Diese Methode zur Durchsatzsteigerung war schon in der Vergangenheit
als "Bursting" in Gebrauch und im Standard geregelt. Ein Wert von "0" verbietet Bursting – das
heißt, nach Senden eines Paketes greift wieder die DCF. Bursting ist besonders für
Videoübertragungen nützlich, in geringerem Maß auch für Sprachdienste. In den restlichen
Prioritätsklassen sollte es vermieden werden, weil der Einsatz dieser Technik sonst die Latenzen
für Video- und Voice-Dienste in die Höhe treibt.

Natürlich stellt sich die Frage, nach welchen Regeln ein QoS-fähiges WLAN-Gerät vom Netzwerk
kommende Pakete klassifiziert und mit den passenden Parametern verschickt. Idealerweise besitzen
die Pakete bereits ein VLAN- oder Prioritäts-Tag gemäß IEEE 802.1p/Q: Die damit definierten acht
Klassen lassen sich auf die im WLAN definierten vier Klassen anhand einer in 802.11e definierten
Tabelle abbilden. In der Praxis ist solches Tagging jedoch noch eher unüblich, was dazu zwingt,
tiefer in den Paketinhalt zu schauen und zum Beispiel das TOS/DSCP-Feld im IP-Header zur
Klassifizierung heranzuziehen. Wenn die Applikation auch hier nichts anderes als "Best Effort"
einträgt, muss der Administrator manuell eingreifen und dafür Regeln definieren. 802.11e sieht
Mechanismen vor, mit denen zum Beispiel der Access Point solche Regeln an Clients weitergeben kann,
sodass diese nur einmal zentral aufzustellen sind.

Neben EDCF sieht der 802.11e-Standard als weitere Steuerung des Medienzugriffs noch das
Verfahren HCCA vor. Im Gegensatz zu einer einfachen Priorisierung erhalten die Teilnehmer dabei
explizit TxOPs und damit Zeiten auf dem Medium zugewiesen. Eine solche Zuteilung ist zum Beispiel
für Multimediaübertragungen mit bekannten und zwingend bereitzustellenden Bandbreiten nötig. Es ist
durchaus möglich, dass ein Access Point EDCF und HCCA gemischt fährt, das heißt, reservierte
Zeitschlitze wechseln sich mit Zeiten ab, in denen Stationen Daten ohne explizite Anforderung
übertragen können. Im Gegensatz zu EDCF ist HCCA nur in Verbindung mit "Infrastruktur"-Netzen
nutzbar, da der Access Point als zentrale Steuerinstanz fungiert.

Voice over WLAN

Das wichtigste Anwendungsgebiet von QoS im Funk-LAN stellt der Einsatz WLAN-basierender Telefone
dar. Bei diesen gelten lange Laufzeiten pro Akkuladung als wichtiges Kriterium: WLAN-Handys müssen
sich hier mit DECT- oder GSM-basierenden Lösungen vergleichen lassen, gegen die sie voraussichtlich
noch einige Zeit den Kürzeren ziehen werden. Ein erster Schritt wäre zumindest, dass ein WLAN-Handy
einen normalen Arbeitstag ohne Zwischenstopp in der Ladeschale übersteht. 802.11 sieht dafür
bereits einen Powersaving-Mechanismus vor, bei dem ein Mobilgerät sein Funkmodul komplett
abschalten kann. Dem Access Point obliegt es dann, während dieser Zeit auflaufende Pakete zu
puffern und auf Aufforderung der Station diese Pakete in einem Rutsch auszuliefern. Der Access
Point überträgt in seinen "Beacons" eine Bitmap, aus der Stationen auslesen können, ob Pakete für
sie anstehen oder nicht (Bild 2). Da eine im Powersave-Modus ruhende Station üblicherweise nicht
für jedes Beacon aufwacht, können sich hier erhebliche Latenzen ergeben.

802.11e erweitert das Powersaving mit dem so genannten APSD (Automatic Powersave Delivery):
Hierbei ist die Station nicht mehr gezwungen, im festen Raster der vom Access Point ausgestrahlten
Beacons ihr Funkmodul einzuschalten (was in 90 Prozent der Fälle nur die Information liefert, dass
gerade keine Pakete anstehen), sondern sie kann mit einem an den Access Point gerichteten
Datenpaket implizit genau die Pakete anfordern, die aus einer bestimmten Prioritätsklasse stammen.
Auf diese Weise erhält die Station angesammelte Pakete genau in dem Moment, in dem sie ihr
Funkmodul ohnehin zum Senden aktivieren muss – ein bei WLAN-Telefonen mit ihrem bidirektionalen
(RTP-)Datenstrom gängiges Szenario. Die im WLAN-Telefon laufende VoIP-Applikation kann damit
indirekt Einfluss nehmen, wann das Funkmodul zu aktivieren ist und wann nicht, und kann anstehende
Daten in einem für sie günstigeren Zeitraster als dem des Beaconing abholen (Bild 3).

QoS nutzende Applikationen wie VoIP oder Videoübertragungen sind Echtzeitanwendungen, das heißt,
ein Paket muss innerhalb eines bestimmten Zeitfensters beim Empfänger ankommen, um seinen Sinn zu
erfüllen. Geht das Paket auf dem Übertragungsweg verloren, so ist eine Wiederholung nicht sinnvoll,
da die darin enthaltenen Informationen ihren Sinn mittlerweile verloren haben. Auf IP-Ebene wird
diesem Umstand Rechnung getragen, indem als Protokoll nicht TCP, sondern UDP zum Einsatz kommt. Als
potenzieller "Wiederholer" ist aber immer noch das WLAN im Spiel. 802.11 sieht vor, dass gerichtete
(Nicht-Multicast-)Pakete vom Empfänger zu bestätigen sind. Andernfalls wiederholt der Sender das
Paket, bis eine Bestätigung eingetroffen ist oder eine Maximalzahl von Versuchen erreicht ist.

Dieser Mechanismus dient zum einen dazu, die prinzipiell höheren Paketverlust-raten von WLANs
wenigstens teilweise in den Bereich kabelgebundener Netze zu bringen. Zum anderen kann der Sender
auf Veränderungen der Verbindungsqualität reagieren und zum Beispiel die Datenrate bei der
Wiederholung reduzieren. 802.11e führt nun als Option ein, dass auch gerichtete Pakete ohne
Bestätigung übertragen werden dürfen. Alternativ lässt sich auch ein ganzer Burst von Paketen durch
ein einziges "Ack"-Paket bestätigen. Dies ist beispielsweise in Kombination mit dem Burst-Feature
der EDCF nützlich, um einen größeren Block von Video-Streaming-Daten in möglichst kurzer Zeit zu
übertragen.

Vom Standard zur praktischen Umsetzung

Die Wi-Fi Alliance hat den erwähnten Prä-/Substandard WMM (Wi-Fi Multimedia) mit dazu passenden
Zertifizierungen definiert, der nur die in der Praxis am dringendsten benötigten Funktionen von
802.11e beinhaltet. Dazu zählt vor allem die EDCF, die allgemein als hinreichend zur Priorisierung
von VoIP-Diensten gilt – selbst "QoS-Pionier" Spectralink akzeptiert diese Funktion inzwischen als
Alternative zum eigenen proprietären Verfahren. HCCA hat bisher noch keinen Eingang in die
WMM-Spezifikationen gefunden, offenbar weil Bandbreitenreservierung für Multimediadienste im Moment
noch eher als Nischenthema gilt. Im Gegensatz dazu hat APSD inzwischen seinen Platz in der
Wi-Fi-Test-Suite erhalten, wobei es dort allgemein die Umschreibung "WMM-Powersaving" trägt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass 802.11e beziehungsweise WMM dazu geeignet sind, die an
ein WLAN heutzutage gestellten Forderungen bezüglich QoS zu erfüllen. Wer derzeit neue
WLAN-Hardware kauft, sollte zumindest auf eine Aufrüstbarkeit in dieser Hinsicht achten. Ähnlich
wie bei WPA und 802.11i gilt aber auch hier, dass eine Kette nur so stark ist wie ihr schwächstes
Glied: Wenn die VoIP-Verbindung eines WLAN-Handys nicht unmittelbar im dahinter liegenden LAN
terminiert, sondern noch durch einen Internetzugang oder VPN-Tunnel führt, müssen die dabei
eingesetzten Router ebenfalls passende Priorisierungen vornehmen. In der Praxis liegt das
bandbreiten- und latenzrelevante "Nadelöhr" häufig eher an dieser Stelle als im WLAN.


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