Im Frühjahr hat ein Gartner-Report die Anbieter aus dem Umfeld des Server-based Computings (SBC) und der Thin Clients (TCs) in Euphorie versetzt. Denn die Analysten erklärten zentral gehostete Arbeitsplätze (Hosted Virtual Desktops, HVDs) zum Zukunftsmarkt mit einem Umsatzpotenzial im hohen zweistelligen Milliardenbereich. Davon profitieren sollten neben Citrix, Microsoft, VMware und Co. auch die TC-Hersteller sowie einschlägige Systemhäuser und Dienstleister.
Der HVD-Markt wird laut Gartner aufgehen wie ein Hefekuchen: Laut Annette Jump, Research
Director bei Gartner, soll er bis 2013 von heute 500.000 auf 49 Millionen Einheiten anwachsen. In
harter Währung bedeute dies eine Steigerung des Umsatzes von heute unter 1,5 Millionen Dollar (und
somit nicht mal einem Prozent des Weltmarkts für Unternehmens-PCs) auf 65,7 Milliarden Dollar im
Jahr 2013 – was dann einem Unternehmens-PC-Marktanteil von über 40 Prozent entspräche.
Solche Prognosen sind immer mit Vorsicht zu genießen, selbst solche von renommierten
Marktforschern. Man erinnere sich an Prophezeiungen aus den späten 1990er-Jahren, als sich manche
Auguren sehr für die damalige TC-Generation begeisterten, für die Hersteller Sun korrekt, aber
voreilig postuliert hatte: "The network is the computer." Marktkenner sagten den TCs damals enorme
Akzeptanzraten voraus, was sich dann als Luftnummer erwies. Gartners Prognose von 65,7 Milliarden
Dollar Jahresumsatz 2013 bedeutet lediglich, dass einige Forscher vor dem Hintergrund des
Virtual-Desktop-Hypes sehr große Hoffnungen auf diese Architektur setzen. Wobei übrigens Brian
Madden, der Chef-Blogger der SBC- und HVD-Szene, jüngst die Desktop-Virtualisierung schon im
Stadium des "Trough of Disillusionment" (Tal der Enttäuschung) sah, also in jener Phase, die in
Gartners Hype-Cycle auf die Zeit stark übertriebener Erwartungen folgt. Dieses Tal gilt es laut
Gartner zu durchschreiten, bevor eine neue Technik ausgereift ist und allmählich Fuß fassen
kann.
Dieses Potenzial, sich mittelfristig dauerhaft in Unternehmen zu etablieren, sprechen die
Analysten der Desktop-Virtualisierung jedenfalls zu: "Distributed Computing war die vorherrschende
Client-Computing-Architektur der letzten 15 bis 20 Jahre, aber eine Reihe von Veränderungen in der
Art, wie Anwender auf Applikationen und Client-Rechenleistung zugreifen können, rücken einige
alternative Architekturen ins Rampenlicht," so Analystin Jump. Gartners Vizepräsident Brian Gammage
kommentierte: "Die Akzeptanz von HVD wird in den nächsten drei bis fünf Jahren wahrscheinlich sehr
schnell erfolgen, insbesondere in reifen Märkten, in denen sich bestehende RZ- und
Netzwerkinfrastrukturen nutzen lassen, um die Einsteigskosten auszugleichen." Auch
Forrester-Analystin Natalie Lambert berichtete schon 2008 von einem deutlichen Anstieg des
Interesses an Desktop-Virtualisierung. Kein Wunder also, dass in der Branche Sektlaune
aufkommt.
Die Architekturen, die das klassische Fat-Client-Computing ablösen sollen, lassen sich in vier
Segmente aufteilen, je nachdem, ob eine Applikation oder ein gesamter Desktop und ob auf RZ- oder
Client-Seite virtualisiert wird. Dies ergibt folgende Möglichkeiten: Hosted Virtual Applications
(HVA), Hosted Virtual Desktops (HVD), Local Virtual Applications (LVA) und Local Virtual Desktops
(LVD). Die erste Option, die zentralisierte Bereitstellung virtualisierter Applikationen, ist
vielerorts bereits seit Jahren wohletabliert, handelt es sich doch hier lediglich um "the artist
formerly known as SBC": Hier geht es um Citrix, Microsoft Terminal-Services und kleinere Player wie
H+H, HOB oder 2X.
Diesem Ansatz hat VMware vor die Idee entgegengestellt, neben Servern auch Desktops im RZ als
virtuelle Meschinen 8VMs) zu betreiben. Dies ist eben jene HVD-Option, der die Gartner-Analysten
das Potenzial zum "Fat-Client-Killer" nachsagen. VMware versteht HVD und damit seine Software View
3 als SBC-Nachfolger und argumentiert, zentral virtualisierte Apps seien nicht mehr nötig, wenn
jeder Anwender einen gehosteten Desktop nutzt. Dazu ist anzumerken, dass die
Desktop-Virtualisierung noch nicht unbedingt flott von der Hand geht. Zudem werden Unternehmen, die
heftig in gut ausgereifte Citrix-Infrastrukturen investiert haben, diese Server-Landschaften nicht
kurzerhand ersetzen.
Citrix – im HVD-Segment mit Xendesktop vertreten, neben Microsoft und vor Mitbewerbern wie
Parallels und Sun sicher VMwares Hauptkonkurrent – sieht HVD eher als Ergänzung denn als Ersatz zu
HVA/SBC. Der Platzhirsch des Hosted-App-Geschäfts propagiert gerne Ansätze, die auf die Integration
diverser Zentralisierungsarten abheben und somit SBC um weitere Methoden ergänzen. Bemerkenswert
ist hier, dass Citrix das mit dem Xensource-Aufkauf akquirierte Produkt-Präfix "Xen" in den
Mittelpunkt seiner Vermarktung gerückt hat: Selbst Citrix Presentation Server (vormals Metaframe)
heißt heute Xenapp. Zudem will Citrix – das Cloud Computing ebenso klar im Blick wie Konkurrent
VMware mit Vsphere – mit der zur Synergy angekündigten Lösung Dazzle die Optionen des
Ressourcenzugriffs in einem Self-Service-Portal à la Apple Itunes zusammenführen.
Zu HVD und HVA gesellen sich zwei Client-seitige Ansätze – "Client-seitig" allerdings nur per
Nutzung lokaler Rechenleistung, die Verwaltung erfolgt auch hier zentralisiert. "LVA" umschreibt
das Streaming von Applikationen zur lokalen Ausführung, wie sie Citrix mit der
Provisioning-Funktionalität von Xenapp anbietet sowie VMware mit Thinapp oder auch Microsoft mit
App-V (vormals Softgrid) und Med-V (vormals Kidaro). Den vierten Ansatz bilden Local Virtual
Desktops, also Clients mit vorinstalliertem Hypervisor und zentralem Management der Client-Images,
um Endgeräte "auf Knopfdruck" mit neuer Software zu bestücken. Im Projekt "Independence" kooperiert
Citrix hier mit Intel zur Schaffung eines Bare-Metal-Hypervisors als Gegenstück zu VMwares
Intel-Kooperation im Rahmen der CVP-Initiative (Client Virtualization Platform). Im Augenblick
steht dieses Segment, in dem sich auch Startups wie Virtual Computer und Neocleus tummeln, aber
noch ganz am Anfang.
Sollten sich die hoch gesteckten Erwartungen der Gartner-Analysten auch nur ansatzweise
erfüllen, dann dürften von diesem Zentralisierungstrend vor allem die Softwareanbieter dieser vier
Bereiche profitieren, allen voran sicher Citrix, Microsoft und VMware, aber wohl auch manch ein
Spezialanbieter. Deutlichen Rückenwind dürften auch die TC-Hersteller erhalten. Denn insbesondere
bei HVD und HVA – wie bei allen Ansätzen, die konsequent auf Cloud-Computing setzen – ist die
Nutzung klassischer Fat Clients (PCs) nicht erforderlich, ja geradezu widersinnig: Warum sollte man
Desktops für teures Geld zentral hosten, um dann den Client-Management-Aufwand fortzuführen?
Dies spielt TC-Herstellern in die Hände – wobei aber künftig ein HVD-Client nicht automatisch
einem klassischen TC-Gewand von Anbietern wie Wyse, Fujitsu, HP, Igel und Co. auftreten muss. Die
Endgerätepalette könnte vom HVD-TC wie Wyse Viance oder einem LCD mit integriertem TC wie Igels
UD-9 bis hin zu mobilen Endgeräten wie Netbooks, Blackberrys und Smartphones reichen. Bis 2013 sind
sicher diverse weitere Endgeräte auf den Markt, an die heute noch niemand denkt. HVD mit Amazon
Kindle gefällig?