Selbst wenn man es angesichts des vorherrschenden Werberummels seitens der IT-Anbieter kaum glauben mag: Cloud Computing ist nicht bloß ein Marketing-Hype, sondern vielmehr die nächste Stufe in der Evolution der IT. Die Branche nähert sich dem bislang flüchtigen Ziel einer Self-Service-Infrastruktur für den Abruf von IT-Services nach Bedarf. Doch so verlockend die Versprechungen von IaaS, PaaS und SaaS auch klingen mögen: Die Cloud stellt IT-Organisationen vor neue Herausforderungen, für die viele IT-Abteilungen noch nicht gerüstet sind.
Ein kleines Wölkchen muss in Netzwerkgrafiken traditionell für die Darstellung des immer etwas
undurchsichtigen Weitverkehrsnetzes herhalten. Inzwischen ist das Wölkchen zur ausgewachsenen Wolke
angeschwollen, und diese gilt immer mehr IT-Anbietern heute als Metapher für alles, was die IT der
Zukunft so können und liefern muss. Deshalb prangt das Label "Cloud" inzwischen auf so ziemlich
jeder Hard- und Software, auf der früher einfach "RZ" stand. Und weil man die Cloud gerne mit den
viel diskutierten Public Clouds (generischen öffentlichen Angeboten) assoziiert, heißen heute auch
viele ausgelagerte Dienste "Cloud-Services" – vom Virenmuster-Update als Managed Service bis hin zu
ASP-Angeboten (Application Service Provider) eher altmodischer, weil von dedizierter Hardware
abhängiger Bauart. Allerorts springen Anbieter eifrig auf den fahrenden Zug auf, der in Richtung
einer wolkenverhangenen Zukunft losgedampft ist. Und so wie es früher, zu Zeiten des
Green-IT-Hypes, ein verbreitetes "Greenwashing" gab, so werden nun alle Produkte und Lösungen
eifrig auf Cloud getrimmt – "Cloudwashing" eben.
"Die Hersteller missbrauchen mal wieder einen akzeptierten Begriff wie Cloud Computing, um alles
?wolkig? darzustellen – und lenken damit von dem grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der IT ab",
urteilt auch Cloud-Fachmann Michael Frohn, Mitbegründer der Advanced Cloud Group und Chef von
Salesfactory42. Sein Rat: "Anwender müssen sich nicht nur mit den Herausforderungen von Cloud
Computing, sondern dem Paradigmenwechsel als Gesamtkonzept beschäftigen, um wettbewerbsfähig zu
bleiben."
Dieses Gesamtkonzept ist zwar technisch äußerst anspruchsvoll und komplex, das Prinzip aber
schnell erklärt. Fasst man die variierenden Definitionen der Analystenhäuser und einschlägiger
Anbieter zusammen, dann geht es immer um die standardisierte, dynamische Bereitstellung von
Infrastruktur (Server-Leistung, Storage), Programmierumgebungen oder kompletten Softwarepaketen als
Service, den der Anwender nach Bedarf (On-Demand) und selbsttätig (im Self-Service-Verfahren)
beziehen kann und der nach Verbrauch abgerechnet wird. Entsprechend klar ist die Nomenklatur: Es
geht um Infrastructure, Platform und Software as a Service (IaaS, PaaS, SaaS); handelt es sich bei
der Software um einen aus der Wolke gelieferten virtualisierten Desktop, spricht man eben von
Desktop as a Service (DaaS). Bei manchen Analysten und Anbietern findet man zudem als Oberbegriff
ITaaS. Das Prinzip der flexiblen, dynamischen Bereitstellung impliziert Virtualisierung als
Grundlage sowie hochgradige Automation, die Lieferung aus der Internet-Wolke wiederum die Nutzung
von Web-Services.
Dass die IT-Anbieterschaft sich auf breiter Front aufgemacht hat, die Cloud zu erobern, zeigte
auch VMwares Hausmesse VMworld, die kürzlich mit rund 17.000 Teilnehmern in San Francisco
stattgefunden hat: Nicht nur, dass die Messe unter dem Motto "Virtual Roads, Actual Clouds" stand
und damit die Richtung klar vorgab, untermauert durch VMwares Vorstellung seiner
Cloud-Applikationsplattform Vfabric; vielmehr häuften sich rund um die VMworld auch die
Pressemitteilungen zu Neuheiten, die sich ganz konkret mit dem Management einzelner
Cloud-Computing-Aspekte befassen – ein klares Indiz dafür, dass den hehren Strategiepräsentationen
schon längst auch Taten und damit konkrete Lösungen folgen. Zahlreiche Produktvorstellungen gab es
nicht nur zum Thema VMware-Monitoring und -Management, sondern auch zur
Virtualisierungs-/Cloud-Security – so auch durch VMwares Präsentation der eigenen
Vshield-Lösungsfamilie, nachdem man bei Sicherheitsfragen lange auf das Partner-Ökosystem gesetzt
hatte – sowie zum Management virtualisierter Storage-Infrastrukturen und nicht zuletzt auch zum
Thema Virtual Desktop (siehe Kasten).
Aber nicht nur die IT-Anbieter pushen die Cloud: Auch auf Anwenderseite hat sich die Erkenntnis
durchgesetzt, dass Cloud Computing keine Marketing-Blase, sondern die nächste Entwicklungsphase des
automatisierten Betriebs virtualisierter Infrastrukturen darstellt. Laut einer Umfrage der
Ludwig-Maximilians-Universität München bei mehr als 1.500 IT-Managern und Endanwendern erwarten 81
Prozent der Befragten, dass sich die Cloud-Nutzung zunehmend am Markt etablieren wird. Etwa die
Hälfte erwartet sogar, dass die Cloud die Bereitstellung von IT-Diensten mittelfristig dominieren
wird. Für einen reinen Hype, der sich nicht durchsetzen wird, halten die Cloud laut der Studie nur
vier Prozent.
Bei der Diskussion um das Cloud Computing standen lange Zeit die Public-Cloud-Services im
Vordergrund: bekannte IaaS-Angebote wie Amazons Elastic Compute Cloud (EC2), PaaS-Plattformen wie
Amazon AWS, Googles App Engine, die IBM Cloud, Microsoft Azure oder Salesforces Force.com sowie die
namhaften SaaS-Provider, allen voran ebenfalls Salesforce mit seiner CRM-Lösung. Doch obwohl eine
aktuelle Gartner-Studie ("Outsourcing and IT Services Priorities, Europe, 2010") ergab, dass 53
Prozent der europäischen Organisationen dieses Jahr mehr Services auslagern wollen und 40 Prozent
dafür sogar mehr Budget bereitstellen: Zahlreiche deutsche IT-Leiter hätten nach wie vor große
Bedenken, müssten sie Unternehmenskritisches in fremde Hände geben. Und so rücken in letzter Zeit
zwei weitere Aspekte verstärkt ins Rampenlicht: Private Clouds (also intern verwaltete,
automatisierte On-Demand-Infrastrukturen) sowie der kombinierte Einsatz von Public und Private
Clouds, auch Hybrid Cloud genannt (siehe dazu den Artikel auf Seite 57).
Der Aufbau interner Clouds scheint auf den ersten Blick als Königsweg: Man nutzt die Vorteile
von Virtualisierung, Automation und dynamischer Self-Service-Bereitstellung, senkt dadurch die
Betriebskosten, behält aber die Ressourcen wie auch die Kontrolle darüber fest in der Hand. Das
Problem ist allerdings: Mit der Effizienz und den Kostenstrukturen der großen
Cloud-Service-Provider mithalten zu wollen, ist deutlich leichter gesagt als getan. "Die meisten
I&O-Abteilungen (Infrastructure and Operations, d.?Red.) in Unternehmen verfügen nicht über die
Erfahrung und den Reifegrad, um solch eine Umgebung zu managen", warnt dann auch Forrester-Analyst
James Staten in seinem Report mit dem provokanten Titel "You?re Not Ready For Internal Cloud" (26.
Juli 2010). "Um dafür bereit zu sein, müssen sie zuerst Berge der Betriebsstandardisierung,
Automation und Virtualisierung erklimmen", so Staten weiter. Zwar gebe es Mittel und Wege, die
Lernphase zu verkürzen, aber in den meisten Unternehmen werde es noch Jahre dauern, bis man eine
interne Cloud bereitstellen könne, mahnt der Marktkenner.
Staten hat mehrere Hindernisse identifiziert, die es bei der Einführung interner Clouds zu
überwinden gilt: Erstens ist da der Wildwuchs an virtuellen Maschinen (VMs), der in vielen
Unternehmen ausgebrochen ist, da sich VMs so schnell und bequem aufsetzen lassen. "Wo sich aber
eine virtualisierte Umgebung und eine Cloud unterscheiden", so Staten, "ist beim Thema
Lifecycle-Management all dieser VMs." Den meisten IT-Abteilungen mangele es an konsistenten
Verfahren für das Tracking der VM-Deployments, -Nutzung, -Kostenstelle und der Weiterentwicklung
durch das ständige Aufsetzen, Klonen und Patchen der VMs.
Zudem betont der Forrester-Analyst, es gelte im Sinne effizienten Managements, eine
Standardisierung der Konfigurationstypen im Hause durchzusetzen, wie dies die Public-Cloud-Provider
vorexerziert haben. Sonst seien die Einsparziele nicht zu erreichen. Dazu sei es außerdem
erforderlich, die virtualisierte Umgebung als einen Gesamt-Ressourcen-Pool zu betrachten, statt
einfach je nach Anforderung eine neue virtuelle Maschine hier und eine dort aufzusetzen. Den Weg
von den ersten Cloud-Gehversuchen bis zur vollautomatisierten, standardisierten Self-Service-Cloud
hat Staten in vier Stufen eingeteilt. Selbst ein schnelles Durchlaufen dieser Stufen dauere, so
warnt Staten, schon weit über fünf Jahre.
Erschwerend kommt hinzu, dass es mit Kenntnis der Virtualisierungstechnik und Einsatz der
entsprechenden Management- und Automations-Tools nicht getan ist: Zwar werden in der IT Neuerungen
gerne auf die techischen Aspekte reduziert, aber eine On-Demand-Bereitstellung (und
Dekommissionierung) virtualisierter IT-Services erfordert auch einen hohen Reifegrad auf der
Prozessebene – und auch hier haben viele Unternehmen, wenn man den Analysten und ITSM-Fachleuten
glauben darf, noch einen erheblichen Nachholbedarf.
Einen Wettstreit um jene Unternehmenskunden, die intern eine Private Cloud aufbauen wollen,
liefern sich derzeit die großen IT-Ausstatter mit ihren zunehmend integrierten IT-Infrastrukturen
und zugehörigen Services, allen voran IBM mit Cloudburst und den Smart-Business-Services, HP mit
dem Bladesystem Matrix, der BTO-Software und seinen Cloud-Consulting-Services sowie Cisco mit dem
Unified Computing System und den Partnern EMC und VMware im Schlepptau. Hinzu gesellen sich
Ausrüster wie Dell und Fujitsu.
Für das Gros der Unternehmen gibt es daneben auch hierzulande zahlreiche interessante
Cloud-Service-Angebote, so zum Beispiel Visionapp mit seiner Service Delivery Platform. Mit ihr
bietet Visionapp eine vollautomatisierte White-Label-Basis, auf der Service-Provider ihre eigenen
Public- und Private-Cloud-Angebote betreiben können. Aber auch erste IaaS-Angebote sind zu finden,
so zum Beispiel von Kamp (siehe Test Seite 52). Einen Überblick über die Cloud-Angebote in
Deutschland liefert die Anbieterübersicht ab Seite 64, die auf einer umfangreichen Marktbefragung
der LANline basiert.
Laut Gartner sollen dieses Jahr im Cloud-Services-Markt weltweit 68 Milliarden Dollar umgesetzt
werden, 2014 sollen es schon fast 150 Milliarden sein. Das Analystenhaus Experton Group indes
bemängelte, auch ein Großteil des Channels habe noch keine Cloud-Strategie – obwohl ein Systemhaus
mit Virtualisierung als Infrastrukturthema allein nicht mehr lang wettbewerbsfähig bleiben könne.
Cloud Computing erweist sich damit als ein komplexes Thema, dessen Brisanz für viele Teilbereiche
der IT allmählich zutage tritt. Es braut sich ein Sturm zusammen in den Rechenzentren.
Gartner-Analyst Chris Wolf verkündete, dass VMware mit View 4.5 nach Citrix Xendesktop nun
ebenfalls eine Enterprise-taugliche Virtual-Desktop-Lösung besitzt. Wolfs Kollege Simon Bramfitt
hingegen kritisierte dies als bloße Aufholjagd zu Konkurrent Citrix, der in Kürze mit Xenclient
einen Bare-Metal-Client-Hypervisor vorstellen wird. Der Branchenkenner Doug Brown, Inhaber des
Blogs dabcc.com, lobte VMware View gegenüber LANline als eine leicht zu installierende und zu
verwaltende Lösung – dies sei ein Schwachpunkt des sehr Feature-reichen Citrix Xendesktop.
Allerdings weise View Schwächen beim Fernzugriff auf. DaaS betrachtet Brown lediglich als
Server-Based Computing, erweitert um die Problemstellungen der Virtual Desktops, des
Fernzugriffsprotokolls und der im WAN stark limitierten Bandbreite. Auch Dr. Bernhard Tritsch, CTO
von Immidio, bezeichnet die hohe Komplexität auf technischer und organisatorischer Seite als das
Hauptproblem der Virtual Desktops – und damit des Konzepts Desktop as a Service, das bislang noch
in den Kinderschuhen steckt.
Im "2010 Emerging Technologies Hype Cycle" des Analystenhauses Gartner hat "Cloud Computing" den
Gipfel der überzogenen Erwartungen gerade überschritten – und damit das Tal der Enttäuschung vor
sich, bevor die Cloud in zwei bis fünf Jahren das Plateau der Produktivität – also den
Mainstream-Unternehmenseinsatz – erreichen werde. Die "Private Cloud" hingegen hat laut den
Marktforschern den Peak der Hype-Kurve erst noch vor sich, auch sie soll in zwei bis fünf Jahren
Mainstream-Status erreichen. Der Umsatz mit Cloud Services soll laut Gartners Prognose von 58,6
Mrd. Dollar 2009 auf 148,8 Mrd. im Jahr 2014 steigen. Der SaaS-Umsatz wiederum werde von 7,5 Mrd.
2009 dieses Jahr auf 8,5 Mrd. steigen. SaaS habe 2009 zehn Prozent des Enterprise-Software-Marktes
ausgemacht, 2014 sollen es schon 16 Prozent sein.