Wer dafür plädiert, Schüler Gedichte auswendig lernen zu lassen, gilt in Zeiten ständig verfügbarer Suchmaschinen und Smartphones als hoffnungslos rückständiger Zeitgenosse. Willkommen in der Ära einer neuen Vergesslichkeit.
Mit jedem industriellen Fortschritt ersetzten Innovationen alte Fertigkeiten. Nun wird dem Ochsenpflug gewiss kein Bauer nachtrauern. Im 21. Jahrhundert schreitet die technologische Entwicklung nun aber so rasant voran, dass der Mensch eine seiner überragenden Fähigkeiten, die ihn vom genetisch fast baugleichen Affen noch unterscheidet, abzulegen beginnt. Das Zentralorgan Hirn wird immer weniger trainiert. Aufgaben wie Merkfähigkeit oder Orientierungssinn sind längst an unsere digitalen Begleiter outgesourct. Routenplaner, Navis oder Apps übernehmen die Arbeit des Hippocampus, wo wichtige Informationen dauerhaft gespeichert werden. Wo das Wissen der Welt auf einem fingernagelgroßen Chip Platz findet und überall downgeloadet werden kann, ist die eigene Gedächtnisleistung scheinbar entbehrlich geworden.
Vier von zehn Deutschen kennen laut einer Studie von Kaspersky die aktuelle Telefonnummer ihres Partners nicht. Sie vertrauen auf den Speicher ihres Geräts, wenn sie mit jemandem telefonieren wollen. An Telefonnummern aus der Kindheit und Jugend können sich die meisten dagegen noch heute erinnern. Smartphone-Deutschland versinkt in der digitalen Amnesie – mit gravierenden Folgen.