In-Vehicle-ICT noch in den Kinderschuhen

14. November 2008, 15:35 Uhr | funkschau sammeluser
© Deutsche Telekom

Das Thema In-Vehicle-ICT, Kommunikationstechnik im Auto, ist nicht mehr nur eine Zukunftsvision und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Für den Markterfolg müssen aber noch einige Hindernisse überwunden werden.

Die funkschau führte ein Interview mit Dr. Marcus Heitmann, Head of Project Field Automobile bei Deutsche Telekom Laboratories, zum Thema In-Vehicle-ICT.

funkschau: Welche Bedeutung hat der Automotive-Bereich für T-Systems?
Dr. Marcus Heitmann: T-Systems und auch die Deutsche Telekom als Ganzes beschäftigen sich intensiv mit dem Themenumfeld Automotive. In Deutschland und Europa sind wir nach eigenen Berechnungen die Nummer eins als ICT-Dienstleister im Automotive-Sektor. Dies ermisst sich zum einen aus der Entstehungsgeschichte von T-Systems. Durch die Übernahme der IT-Häuser von Daimler und VW besitzt T-Systems sehr viel Erfahrung und Know-how in diesem Bereich. Zum anderen beschäftigen sich aber auch weitere Teile des Konzerns starkmit dieser Branche, wobei der Schwerpunkt nicht auf den klassischen Fahrassistenz-Systemen wie ESP (Elektronisches Stabilitäts-Programm) oder Abstandsradar, sondern in der Verknüpfung von Mobilfunk- und Internet-Technologien und darauf basierenden Dienstenfür das Fahrzeug und die Insassen liegt.

funkschau: Was hat der Autofahrer aktuell von In-Vehicle-ICT?
Dr. Heitmann: Die derzeit im Auto vorhandene ITK-Technologie befindet sich noch in den Kinderschuhen – in etwa vergleichbar mit dem Internet Mitte der 1990er Jahre. Aber wir sehen erste interessante Ansätze. Bei der Integration von Internetinhalten in Fahrzeuge geht es weniger um das Surfen, sondern vielmehr um die Nutzbarmachung der Informationsfülle im Internet auf eine Weise, die es dem Fahrer erlaubt, die Augen auf der Straße und die Hände am Lenkrad zu lassen! Ähnlich wie das I-Phone durch die intuitive Bedienbarkeit das mobile Internet einen großen Schritt nach vorne gebracht hat, wird die künftige Integration von ITK-Technologien den Autoinsassen ein anderes Fahrerlebnis bescheren. Sie können nicht nur entspannter reisen, sondern sie können effizienter arbeiten, etwa in dem sie sich ihre E-Mails vorlesen lassen. Zugleich wird die Verkehrseffizienz profitieren, beispielsweise wenn die anonymisierten Bewegungsdaten von Mobiltelefonen (Floating Phone Data) oder SIM-Karten in Fahrzeugen zur Ermittlung und Prognose der Verkehrslage genutzt werden können und Verkehrsteilnehmer auf Staus oder andere Behinderungen rechtzeitig hingewiesen werden. Mit einer solchen Technologie lassen sich nicht nur wie bei heutigen Systemen mit TMC (Traffic Message Channel) Autobahnen, sondern auch Landstraßen in die Lageerfassung einbeziehen. Andere Dienste wie das Aufspüren gestohlener Fahrzeuge und die Telediagnose werden in geringerem Umfang bereits genutzt und in Zukunft stärker in den mittleren und unteren Fahrzeugklassen zum Einsatz kommen.

funkschau: Welche Anwendungen finden im Augenblick den größten Anklang?
Dr. Heitmann: Eines der wichtigsten Themen ist noch immer die Navigation, die als „Connected Navigation“ nun auch durch Daten aus dem Internet ergänzt werdenkann. So kann der Fahrer beispielsweise nicht nur nach einer Restaurantkategorie (zum Beispiel „Japanisch“) im Umkreis suchen, sondern zusätzlich die Ergebnisse durch eine Nutzerbewertung ergänzen lassen. Diese Form von lokationsbasierten Diensten in der Verbindung mit Informationen aus Internet Communities ist zurzeit sehr gefragt.

funkschau: Wo sehen Sie die größten Hindernisse für den Erfolg von In-Vehicle-ICT?
Dr. Heitmann: Eine der größten Herausforderungen ist die teils noch nicht vorhandene flächendeckende mobile Bandbreite für Anwendungen wie Audio- oder Video-Streaming. Erst mit der nächsten Mobilfunkgeneration (zum Beispiel LTE) werden die technologischen Voraussetzungen dafür gegeben sein. Eine bereits durch T-Systems gelöste Herausforderung ist der vertikale Handover zwischen verschiedenen Mobilfunk-Technologien, bei denen das Endgerät stets dieselbe IP-Adresse behält. Dies ist nicht nur wichtig bei Streaming-Anwendungen, sondern ebenfalls bei VPN-Verbindungen, beispielsweise um E-Mails aus dem Firmenintranet abzurufen und sich im Fahrzeug vorlesen zu lassen. Eine weitere Herausforderung ist die intuitive Bedienbarkeit, etwa durch eine intelligente Schnittstelle, die es dem Fahrer ermöglicht, die Dienste mit wenig Ablenkung vom Verkehrsgeschehen zu nutzen. Die Deutsche Telekom Laboratories, der Forschungs- und Entwicklungsbereich der DTAG, arbeiten mit anderen Bereichen im Konzern sowie mit Automobilherstellern und -zulieferern gemeinsam an solchen Aufgabenstellungen.

Ein Hindernis bei der Einführung solcher Technologien ist sicherlich der unterschiedliche Produktlebenszyklus. Während die Consumer Electronic teilweise Produktlebenszyklen von weniger als zwölf Monaten aufweist, sind die Entwicklungs- und Lebenszyklen in der Automobilindustrie wesentlich länger. Es wird sich zeigen, ob intelligente Nachrüstmöglichkeiten diese Diskrepanz überbrücken können.

funkschau: Die EU-Kommission hat kürzlich beschlossen, bestimmte Funkfrequenzen europaweit für die Fahrzeugkommunikation zu reservieren. Welche Bedeutung hat diese Entscheidung?
Dr. Heitmann: Die Reservierung der Funkfrequenzen war ein wesentlicher erster Schritt, um Verkehrssicherheit und Verkehrseffizienz zu verbessern. Durch Car-to-Car-Kommunikation können Fahrzeuge Warnmeldungen an andere Fahrzeuge in der Umgebung senden. Ein Anwendungsfall ist das berüchtigte Stauende hinter einer Kurve das bereits frühzeitig an nachfolgende Fahrzeuge gemeldet werden kann. Wichtig ist jedoch, dass genügend Fahrzeuge mit dieser Technologie ausgerüstet sind, damit sich das volle Potenzial entfalten kann. Die größte Herausforderung ist, die vielen unterschiedlichen Informationen zu einer Gesamtlage zu verdichten und dem Fahrer sinnvolle Handlungsoptionen aufzuzeigen. Dies kann wesentlich zu einer verbesserten Verkehrseffizienz beitragen und den Fahrer entlasten.


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