Video-Collaboration schafft virtuelle Präsenz

Zusammenarbeit löst sich von Orten

13. September 2013, 6:00 Uhr | Stefan Mutschler/pf

Videogestützte Zusammenarbeit greift immer weiter um sich. Inzwischen erreicht sie längst nicht mehr nur die Chefetagen, sondern alle Unternehmensbereiche, wo eine produktive Zusammenarbeit auch über weite Entfernungen hinweg angesagt ist. Der Markt für Video-Conferencing ist dabei auf allen Ebenen im Wandel - vom Typ der Endgeräte über die Art der Nutzung bis hin zum Weg, wie die Hersteller Video-Conferencing bereitstellen.Marktforscher wie Frost & Sullivan sehen in Videokonferenzen einen wichtigen Grund dafür, dass Unternehmen in einem immer komplexeren Markt flexibel agieren können. Entsprechende Einsicht verbreitet sich mit zunehmender Geschwindigkeit sowohl in Unternehmen als auch öffentlichen Institutionen. Dies wiederum beschert den einschlägigen Anbietern ein gut zweistelliges Marktwachstum, das bis 2016 stabil bleiben soll. Ein Business Briefing von Frost & Sullivan (2012) über "die Vorteile von Video in einer konvergierten Kommunikationsumgebung" nennt Zahlen zu Videokonferenz- und Telepresence-Endpunkten (ohne PC-Lösungen) in Europa im Jahr 2011. Demnach hätten die Anbieter in diesem Segment damals rund 474 Millionen Dollar Gewinn erzielt - 15,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2016 sollen die jährlichen Gewinne auf 956 Millionen Dollar ansteigen. Im gleichen Papier raten die Marktforscher den IT-Managern, Anwendungen für Sprache, Video, Instant Messaging, Präsenz und soziale Netzwerke nicht als separate Applikationen zu betrachten. Vielmehr sei eine Integration in etablierte oder neu zu bauende Unified-Communications-(UC-)Umgebungen angesagt. Die Hersteller tragen diesem Aspekt zunehmend Rechnung. Immer mehr Spezialisten für Videolösungen wie zum Beispiel Polycom arbeiten mit UC-Anbietern wie Microsoft (Lync), IBM (Sametime) und Siemens (Openscape) zusammen. Die Integration von Videolösungen in andere Kommunikations- und Collaboration-Tools fördert deren Nutzung und Einbeziehung in die täglichen Abläufe am Arbeitsplatz. Infolgedessen können Mitarbeiter in den verschiedensten Szenarien einfacher zusammenarbeiten, wobei Videokonferenzen zu einem wesentlichen Faktor bei der Verbesserung entscheidender Geschäftsprozesse werden.   Softwarelösungen im Trend Noch bis vor wenigen Jahren waren die Optionen in puncto Video-Conferencing ziemlich begrenzt. Es gab nicht einmal ein Dutzend Anbieter, und sie alle kamen mit komplexen und kostenintensiven Lösungen, die die Unternehmen in den eigenen Räumlichkeiten installieren mussten. Inzwischen ist das Bereitstellungsspektrum deutlich erweitert: Neben den eher hardwarezentrischen Lösungen etablieren sich zunehmend Softwarelösungen auf Standardhardware sowie Dienstleistungen - vom Managed-Service bis zur Cloud. Die Zahl der Newcomer in diesem Markt ist zwar überschaubar, aber diejenigen, die sich etablieren konnten, setzen die angestammte Phalanx aus Cisco, Polycom und Lifesize doch deutlich unter Druck. Laut Frost & Sullivans "Analysis of the Global Videoconferencing Infrastructure Market Report" von 2012 nimmt der Marktanteil, den diese Top-Drei-Unternehmen besetzen, zugunsten von Neueinsteigern wie Vidyo und Blue Jeans Network ab. Das Umsatzwachstum bei diesen eher softwarezentrischen und vergleichsweise kostengünstigen Lösungen soll auch auf lange Sicht sehr stabil bleiben. Gefahr ist für die Großen aktuell allerdings nicht in Verzug, nach wie vor bescheinigt Frost & Sullivan Cisco und Polycom deutliche Marktführerschaft. Für große Unternehmen mit zahlreichen Videokonferenznutzern empfiehlt sich auch künftig in der Regel eine fest installierte hardwarebasierende Lösung. In diesem Szenario verteilen sich die Kosten auf viele Schultern, und Zuverlässigkeit ebenso wie die individuelle Nutzerfahrung gelten als unschlagbar. Kleinere Unternehmen mit weniger Netzwerkexpertise und geringerem Budget greifen oft besser zu softwarebasierenden Lösungen. Je nach Anwendungsfall mag auch eine hybride Lösung in Frage kommen. Ein Beispiel wäre, wenn einerseits die Geschäftsführung häufig Video-Calls mit wichtigen Partnern und Kunden abhält, andererseits aber auch die räumlich verteilten Mitarbeiter untereinander videogestützte Arbeits-Meetings abhalten. Für Erstere sind sicher die Vorzüge der hardwarebasierenden Lösungen ausschlaggebend - für Letztere eher diejenigen von Software-Clients und -Bridges. Vor diesem Hintergrund wird das Engagement etwa von Cisco und Polycom in Richtung neuer Software-Clients verständlich, mit denen sie ihre Raumlösungen für die Integration mit Smartphones und Tablet-PCs erweitern. Avaya ging eher den umgekehrten Weg: Mit IP-Office gibt es dort seit Längerem eine Softwarelösung - mit der Übernahme von Radvision holte sich das Unternehmen "Scopia" und damit eine Hardwarelösung ins Haus. Beide sind inzwischen eng ineinander integriert, und Avaya versucht mit einer aggressiven Preispolitik, Scopia auch an kleinere bis mittelständische Unternehmen zu vermarkten. Schon setzen aber die Newcomer auch im Hybrid-Markt zum Konterschlag an. So hat Vidyo kürzlich den nächsten Entwicklungsschritt für seine softwarebasierende Videokommunikations- und Kollaborationsplattform angekündigt. Zu der als "Vidyo Conferencing 3.0" vermarkteten Initiative gehören unter anderem zwei neu gestaltete Raumsysteme - das kleinere davon ist in den USA bereits für 1.000 Dollar erhältlich. Beide neuen Raumsysteme lassen sich in zahlreiche Unified-Communications-Lösungen integrieren. Richtig "auf den Putz" haut Vidyo aber bei der neuen Software. So gibt es im Rahmen von Vidyo Conferencing 3.0 eine App für Kollaboration und zum Teilen von Inhalten, eine App zur Fernsteuerung von Vidyo-Raumsystemen über IOS und Android sowie eine Browser-basierende Lösung für die Integration von Instant-Messaging-Anwendungen - darunter Google und Microsoft.   Virtualisierung in der Videoinfrastruktur Das Thema Virtualisierung hat in den vergangenen Jahren die gesamte IT-Landschaft gründlich auf den Kopf gestellt. Die durch diese Technik realisierbare Verbesserung der Ressourcennutzung ist inzwischen auch beim Video-Conferencing angekommen. Der Vorteil einer virtualisierten Lösung: Sie lässt sich bedarfsgerecht immer auf diejenige physische Umgebung verschieben, auf der die mit dem System zu erledigende Aufgabe gerade am besten aufgehoben ist. Laut einer Umfrage unter europäischen und nordamerikanischen IT-Verantwortlichen von Forrester Research werden schon in diesem Jahr rund 78 Prozent der x86-Server-Betriebssysteme auf virtuellen Servern laufen. Auch auf diesem Gebiet ist der Wettbewerb zwischen etablierten Playern und Newcomern voll entbrannt. Während etwa Lifesize dabei auf die Zusammenarbeit mit dem Virtualisierungsspezialisten Vmware verweist, kommt erneut Vidyo bereits mit einer vollständig virtualisierten, kaskadierbaren Infrastruktur für Videokonferenzen. Die Ende März dieses Jahres vorgestellten Komponenten "Vidyogateway" und "Vidyoportal VE" komplettieren die Virtualisierung der Kerninfrastruktur von Vidyo. Die Technik soll sich selbst über weit verteilte Einsatzorte flexibel skalieren lassen und dabei nicht teurer sein als der Einsatz von Audiokonferenzen. Leistungsbeschränkungen, wie sie bei hardwarebasierenden MCU-Lösungen (Multipoint Control Unit) auftauchen können, sind in diesem Fall nicht zu erwarten. Bei Citrix kommt Virtualisierung quasi "ab Werk", denn Abstrahierung ist dort das Kerngeschäft. So wundert es nicht, dass Citrix auch beim Thema mobile Zusammenarbeit Virtualisierung fest mit verankert. Im Zug seiner jüngsten Entwicklungsaktivitäten hat das Unternehmen in diesem Jahr auch seine "Xenmobile Business"-Apps deutlich erweitert. Unter dem Dach dieser nun als "Worxmobile" (früher "Atwork") bezeichneten Produktschiene findet sich jetzt mit "Sharefile" eine auf Sicherheit getrimmte Lösung für das Teilen, Synchronisieren und Bearbeiten von Dokumenten. Neu dazugekommen sind auch "Gotomeeting" (Online-Conferencing), "Gotomypc" (Remote Access) und "Podio" (Teamzusammenarbeit mit beliebigen mobilen Geräten). Ein ebenfalls neues SDK (Software Development Kit) öffnet Worx/Worxmobile auch für andere Hersteller. Bereits mehr als 65 Anbieter sollen für die Entwicklung von Worx-Apps unterschrieben haben, die das Regelwerk und die Sicherheitsfunktionen von Xenmobile nutzen. Um auch die Betreiber von Mobilfunknetzen beim Transport entsprechender Lösungen unterstützen zu können, hatte sich Citrix im Sommer letzten Jahres den Mobilfunknetz-Optimierer "Bytemobile" einverleibt.   Video-Cloud Wo Virtualisierung erfolgt, ist "as a Service" nicht weit. Im Fall von Video-Conferencing bedeutet dies ein Outsourcing der audiovisuellen Infrastruktur an einen Provider. Dazu zählen Komponenten wie Videobrücken, En- und Decoder, Gateways und nicht zuletzt die teuren, für Mehrpunktkonferenzen bei hardwarebasierenden Lösungen nach wie vor oft nötigen MCUs. All dies wandert im Rahmen Cloud-basierender Videolösungen in ein Rechenzentrum des Service-Anbieters. Für die Videokommunikation nötige Infrastrukturkomponenten lassen sich beim Provider Cloud-typisch von all dessen Kunden gemeinsam nutzen. Aus diesem Sharing gewinnt der Dienstleister - wie bei jedem anderen Cloud-Angebot - die Mittel für ein an die Kundenbasis angepasstes Pooling der Bausteine - Management, Wartung/Aktualisierung und Sicherung gegen Ausfälle inklusive. Was beim Anwender bleibt, sind die Endgeräte - also je nach Lösung alles von Desktop- und PC-Lösungen über Single- oder Dual-Screen-Rollwagen sowie einfache, stationäre Single-Screen-Geräte bis hin zu multimedial umfangreich ausgestatteten Raumsystemen.   Warten auf HEVC/H.265 Der speziell in puncto Videokommunikation vielleicht entscheidende Pluspunkt einer Cloud-Lösung liegt im Interconnect-Angebot der Provider. Einfach ausgedrückt: Auf Nutzerseite kümmert sich der Dienstleister darum, dass auch unter an sich inkompatiblen Systemen ein Conferencing möglich ist, auf seiner eigenen Seite sorgt er für die gegebenenfalls nötige Zusammenschaltung unterschiedlicher Netzwerke, wenn es beispielsweise um Landesgrenzen überschreitende Verbindungen geht. Beispiele für solche Angebote sind etwa "BT Conferencing" von BT, "Conferencing" von Orange sowie "Videomeet" der Deutschen Telekom. Anfang April dieses Jahres wurde HEVC/H.265 (High Efficiency Video Coding) als ITU-T-Standard verabschiedet und ist seit Juni ist formell veröffentlicht. Er soll nun rasch den in die Jahre gekommenen H.264/MPEG-4-Standard ablösen. Im Vergleich zu dieser Kompressionstechnik, die derzeit auf weltweit mehr als einer Milliarde Endgeräten läuft, soll das neue Verfahren die für eine HD-Videoübertragung nötige Bitrate halbieren - bei gleich hoher Bildqualität. Entsprechend hohe Resonanz hat HEVC/H.265 bei allen Unternehmen hervorgerufen, die mit Videoübertragung ihr Geschäft machen - neben den Anbietern von Videokonferenzsystemen unter anderem auch die Sender digitaler TV-Programme ebenso wie Mobilfunk-Provider, die künftig vermehrt TV-Streams und Video-Content aller Art über ihre Infrastruktur anbieten wollen. Anwender werden sich allerding noch ein Weilchen gedulden müssen - Experten schätzen, dass erste kommerzielle Lösungen nicht vor 2014 auf den Markt kommen. Für ein breiteres Lösungsangebot verweisen diese auf Mitte bis Ende des kommenden Jahres.   Weitere Newcomer am Horizont Vor allem im Gefolge der stark zunehmenden Mobility-Bestrebungen vieler Unternehmen wittern junge Unternehmen ihre Chance, in den (mobilen) Conferencing-Markt einzusteigen. Ein Beispiel ist Voipswitch, eine Tochter des britischen Providers Voiceserve. Die Conferencing-Produkte des Unternehmens waren ursprünglich nur für Audio ausgelegt, inzwischen gehört jedoch auch die Videounterstützung zum Standard. So etwa beim derzeitigen Flaggschiff "Class 5 Softswitch", mit dem Voipswitch nicht zuletzt eine unternehmensgerechte Alternative zu Microsoft Skype anbieten will.

Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente

Videokonferenzen haben heute ein sehr breites Spektrum der praktischen Umsetzung. Im Trend liegen derzeit besonders softwarebasierende Lösungen, die sich mit niedrigen Anschaffungskosten vor allem an kleine und mittlere Unternehmen richten. Bild: Polycom

Mit "Class 5 Softswitch" will Voipswitch nicht zuletzt eine unternehmensgerechte Alternative zu Microsoft Skype anbieten. Das Diagramm zeigt Aufbau und Kernfunktionen der Video-Conferencing-Lösung. Bild: Voipswitch

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