Collaboration Tools fallbasierend implementieren

Zusammenarbeit will gelernt sein

9. Januar 2012, 7:00 Uhr | Mario Richter/pf, Senior Consultant bei Objective Partner und Experte für den Bereich Collaboration

Informationsaustausch stellt einen wesentlichen Bestandteil jeder Zusammenarbeit dar. Als professionelle IT-gestützte Lösung bieten sich so genannte Collaboration Tools an, doch deren Nutzungsgrad fällt in vielen Unternehmen enttäuschend gering aus. Meist liegt dies daran, dass die Software überstürzt und aus einer sehr technischen Perspektive eingeführt wurde. Damit die Mitarbeiter mit diesen Tools auch tatsächlich arbeiten, hat sich eine fallbasierende Einführung bewährt.Die Praxis in Unternehmen bestätigt es immer wieder: Die Einführung einer Collaboration-Lösung wie etwa Microsoft Sharepoint ändert meist nichts am Arbeitsverhalten der Mitarbeiter - das bevorzugte Tool in der täglichen Zusammenarbeit bleibt weiterhin das gewohnte E?Mail-System. Dessen Nutzung präsentiert sich oft als wilde Mischung aus Kommunikationsmedium, Workflow-Tool und Knowledge-Management-Datenbank - Anwendungsgebiete, für die ein solches System nie konzipiert wurde. Unternehmensdokumente bleiben vielmehr weiterhin auf lokalen Rechnerfestplatten oder in komplexen Ordnerstrukturen auf Server-Fileshares versteckt. Dateisuche und Zugriff auf Dokumente sind dann oft von einer Mail- oder Telefonkonversation zwischen Kollegen begleitet, um herauszufinden, ob das Fundstück auch wirklich den aktuellsten Bearbeitungsstand repräsentiert.

Andererseits sind viele Anwender durchaus im täglichen Umgang mit Collaboration Tools geübt - zumindest wenn man die teils sehr effiziente private Nutzung etwa von Facebook in dieser Weise interpretiert. Im Vergleich zur öffentlichen Social-Media-Welt kommen viele der entsprechenden Business Tools allerdings blass und umständlich daher. Sie bleiben wenig attraktiv, wenn ihre Einführung nicht gut durchdacht ist. So kommt es immer wieder zu paradoxen Situationen, wenn Mitarbeiter etwa die Suche nach einem Fachexperten im eigenen Unternehmen besser via Xing abwickeln als über das hauseigene Mitarbeiterverzeichnis. Ähnliche Beispiele sind etwa der Dokumentenaustausch mit externen Partnern per "Dropbox" oder das Googeln nach Informationen im Internet - weil der Mitarbeiter auf den internen Laufwerken nichts Hilfreiches findet.

Ungenutzte Features

Die Unternehmen investieren also zwar oft viel Geld in Groupware- und Collaboration-Software, ihre IT-Abteilungen verzweifeln aber an Mitarbeitern, die die angebotenen Tools nicht nutzen und sich lieber mit den gewohnten zeitraubenden, umständlichen und meist sicherheitstechnisch mehr als bedenklichen Workarounds behelfen. Wie lässt sich dieser Herausforderung begegnen? Am Anfang einer erfolgreichen Einführung steht die Erkenntnis, dass Fachabteilungen an der Lösung ihrer konkreten Probleme und nicht an der Bereitstellung einer Sammlung von Collaboration-Features interessiert sind. Die Möglichkeiten der neuen Software auf ihre konkreten fachlichen Problemstellungen anzuwenden, überfordert vielfach die Anwender, und sie erkennen daher auch keinen Nutzen für ihre tägliche Arbeit. Die neuen Tools kommen daher nicht oder kaum zum Einsatz, ein messbarer Erfolg stellt sich nicht ein.

Was lässt sich daraus lernen? Auch wenn Collaboration Tools IT-technisch eher im Bereich der abteilungs- und prozessübergreifenden Infrastruktur anzusiedeln sind, erfordert ihre Einführung ein professionelles Change-Management, das die Fachabteilungen einbindet und einen erkennbaren Bezug zwischen konkreten unternehmerischen Zielen, den operativen Aufgaben und dem erfolgreichen Einsatz der Collaboration Tools herstellt.

Fachexperten benötigen Konzepte, die sie dabei unterstützen, relevante Informationen, Expertenwissen, Aktivitäten etc. in einem konkreten Geschäftskontext dynamisch zu verknüpfen. Das Technologie- und Consulting-Unternehmen Objective Partner beispielsweise hat dafür eine spezielle Methodik zur Konzeption und Analyse von Kollaborationslösungen entwickelt. Dabei werden einzelne Geschäftsszenarien und die damit verbundenen kollaborativen Aktivitäten analysiert und als "Case", als Fall, zusammengefasst. Dieser dient als zentrale Sammlung aller Informationen, Aktivitäten und Experten, die zur Lösung eines konkreten Geschäftsproblems nötig sind. Der Case besitzt immer einen konkreten Geschäftsbezug sowie klar definierte und messbare Ziele.

Außerhalb der Versicherungswirtschaft ist der Begriff "Fallbearbeitung" wenig verbreitet - diese Betrachtungsweise stellt jedoch einen sehr sinnvollen Ansatz dar, um wenig strukturierte Handlungsabläufe so weit zu systematisieren, dass sich daraus ein Anwendungsszenario für die Collaboration Tools modellieren lässt. Dieser Ansatz soll allen an einem Prozess beteiligten Personen eine auf ihre Praxis bezogene, leicht anwendbare IT-Unterstützung ihrer Zusammenarbeit bieten. Der entsprechende Bezug zum wirtschaftlichen Ziel dieses Prozesses ermöglicht zugleich die Messbarkeit des Erfolgs.

Im Sinne eines Case-Managements untersuchen die Berater, welche Aktivitäten, welche Informationen, welche Zusammenarbeit für die Lösung eines spezifischen Geschäftsproblems und die Erledigung einer Arbeit erforderlich sind. Dabei geht es nicht nur um die formalisierten Prozesse, wie sie in einem unternehmenseigenen Prozesshandbuch dokumentiert sind. Die spannendsten Punkte ergeben sich, wenn man die täglichen Arbeitsabläufe wirklich im Detail betrachtet: Wie entstehen Ideen, wie kommen Entscheidungen zustande, wie verbreitet sich Wissen, wie werden Probleme gelöst, wer ist informell in Entscheidungen eingebunden? Diese Analyse lässt sich nicht generell vornehmen, sondern ist pro "Case" und für einzelne Anwendergruppen beziehungsweise Rollen durchzuführen, da innerhalb einer Organisation unterschiedliche Anwendergruppen ganz verschiedene Anforderungen an eine Collaboration-Lösung haben. Während der eine Prozess umfangreiche Diskussionen in einer Gruppe erfordert, wird bei dem anderen eine eher kurze Abstimmung und Freigabe erforderlich sein.

Konkret gehen die Berater so vor, dass sie einzelne Fallbeispiele der Zusammenarbeit analysieren und anhand des tatsächlichen Workflows der Fachabteilungen eine optimale Ausnutzung der Collaboration-Software vorgeschlagen und einrichten. Durch die Einbindung der Nutzer und die Beachtung ihrer fachlichen und organisatorischen Bedürfnisse entstehen dabei "Leuchtturmprojekte" mit hoher Akzeptanz und entsprechendem Nachahmungseffekt. Für diese Projekte bietet sich eine ganze Reihe von un- beziehungsweise schwach strukturierten Prozessen an, mit denen über den Einsatz von Collaboration Tools auch sofort Effizienzgewinne nachweisbar sind: etwa komplexe Angebotsprozesse, Ausschreibungen, Vertragsgestaltung, Entwicklung neuer Produkte, Einstellung neuer Mitarbeiter, Durchführung einer Qualitätssicherungsmaßnahme oder die Konzeption einer Marketingkampagne. Wenn es dort gelingt, an einem Beispiel zu demonstrieren, wie transparent und gut handhabbar Prozesse sich gestalten lassen, führt dies zu einem "Quick Win", der die weiteren Schritte erleichtert.

Konkreter Geschäftsbezug

Wenn ein Unternehmen die Nutzung der Collaboration-Software auf diese Weise einführt, bietet es sich an, auch einen konkreten Geschäftsbezug und Zieldefinitionen zu formulieren. Der Erfolg wird nämlich für die Verantwortlichen kontrollierbar, wenn im Vorfeld geklärt ist: Was ist das Ziel des Prozesses? Welche Ergebnisse werden erwartet? Welche Collaboration-Features sind nötig, um die Ergebnisse effizient zu erreichen? Worüber sollen sich die erreichten Effizienzgewinne konkret messen lassen - über Schnelligkeit oder Qualitätsverbesserungen?

Die Beratungspraxis führt zu der Erfahrung, dass bereits die erfolgreiche Abbildung einiger solcher kooperations- und wissensintensiven Prozesse in der Collaboration-Software ausreichen, um die Haltung der Mitarbeiter gegenüber diesen Tools zu ändern und den "Roll-out" in andere Bereiche zu erleichtern. Die eingeschalteten Berater sollten technologie- und herstellerunabhängig sein, um das fallbasierende Konzept für verschiedene Collaboration-Plattformen wie beispielsweise MS Sharepoint, IBM Lotus, Opentext, oder ECM Jive umsetzen zu können. Oft ist es auch erforderlich, weitere Business-Applikationen anzubinden.

Der Ansatz, Collaboration-Software mit klarem Bezug zu konkreten Geschäftsvorfällen einzuführen, dient natürlich auch der Prozessverbesserung. So kann die Frage, wie sich kooperative Abläufe mit Software-Unterstützung optimieren lassen, auch zu mehr Transparenz der einzelnen Prozesse führen. Nicht nur, dass ein breiter Zugriff auf Inhalte möglich ist, die bisher in E?Mail-Postfächern und lokalen Laufwerken versteckt waren, es existiert vielleicht auch erstmals eine klare Verantwortung für die Abwicklung eines Falls und die Durchführung der notwendigen Schritte. So wird frühzeitiger klar, wer wo steht - vor allem, wenn beim Erreichen definierter "Milestones" automatische Benachrichtigungen greifen. Wenn Mitarbeiter wahrnehmen, was gerade im Unternehmen passiert, und sie sich beteiligen können, stärkt dies die Motivation.

Ergänzend zum technischen Know-how der IT-Abteilung entsteht aus Leuchtturmprojekten ein Praxis-Know-how aus dem sich Best Practices ableiten lassen. Die Transparenz, die sich durch Nutzung geeigneter Tools anstelle von E?Mails in der Zusammenarbeit erreichen lässt, erleichtert es Unternehmen, aus den Fallbeispielen zu lernen und ähnliche Fälle deutlich effizienter zu gestalten.

Der "Case" dient als zentrale Sammlung aller Informationen, die zur Lösung eines konkreten Geschäftsproblems erforderlich sind. Bild: Objective Partner

Um die Nutzung von Collaboration-Software zu etablieren, ist eine ausgewogene und ganzheitliche Betrachtung von Organisation, Prozessen und Technologie nötig. Bild: Objective Partner
LANline.

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