Glosse: Pixeln, schwindeln, vereiteln – Privatheit im Facebook-Zeitalter

24. August 2010, 7:07 Uhr |

Deutschlandweit wird über Google Street View diskutiert, als ob dem Daten-Jäger-und-Sammler-Konzern mit dem Abfotografieren öffentlich einsehbarer Fassaden ein gar ausgefuchstes Schurkenstück gelungen sei, das unsere dunkelsten Geheimnisse erst ans Licht zerrt und dann im bösen Internet wie auch in Echtzeit präsentiert. Der Fachmann empfiehlt hierzu dem Bedenkenträger: Einfach einen pubertierenden Sprayer engagieren, der die Hauswand mit obszönen Graffiti dekoriert, dann muss Google auch ohne Antrag fröhlich drauflospixeln.

Andernorts im globalen Dorf hat derweil Facebook – in Sachen Sammeln und Auswerten von
Web-Nutzungsdaten größter Google-Konkurrent – zunächst für den US-amerikanischen Teil seiner über
500 Millionen. Benutzer von jetzt auf gleich den
http://techcrunch.com/2010/08/20/facebook-location-places/" target="_blank" href="http://techcrunch.com/2010/08/20/facebook-location-places/">neuen Dienst "Places?
freigeschaltet, der die Frage der Privatsphäre tatsächlich neu aufwirft – wieder einmal, muss
man sagen, Facebook hat schließlich ein Händchen dafür, sich
in Sachen Datenschutz
unbeliebt
zu machen
: "Anträge für Hypotheken sind oft schneller und leichter auszufüllen als Facebooks
Datenschutz-Einstellungen?, frotzelte zum Beispiel der britische
Guardian.

Mit Places imitiert Facebook die jüngst sehr erfolgreichen Dienste der
Geolocation-Community-Anbieter wie
Foursquare und
Gowalla: Benutzer
können damit an Lokationen "einchecken?, sich darüber mit anderen Anwendern austauschen und
Kommentare oder Bewertungen zu Kneipen, Restaurants, Geschäften etc. abgeben sowie Abzeichen
(Badges) sammeln oder auch Boni einheimsen.

Den Trend hatte Facebook zunächst verschlafen – dabei hätte jeder Immobilienmakler den
Facebuchmachern sagen können, was wirklich zählt: "
http://homebuying.about.com/od/marketfactstrends/qt/013008_location.htm">Location, location,
location!? Denn mit dem Einbinden von Ortsangaben hat Facebook nun eine Plattform, mit der sich
in Echtzeit gezielt ortsabhängige Werbung vermarkten lässt – und das potenziell an eine halbe
Milliarde Leute.

Über die Auswertung der Posts und Connections kennt Facebook die Interessen und das soziale
Umfeld eines Anwenders; mit
Geolokationsdaten – per Smartphone bei
Check-ins automatisch generiert – lässt sich zudem nun ein genaues Bewegungs- und damit tatsächlich
belegbares Verhaltensprofil erstellen. So etwas ist für Marketing-Profis Gold wert – Places könnte
locker Facebooks einträglichster Dienst werden. Entsprechend
http://gigaom.com/2010/08/20/facebook-places-the-real-target-is-yelp/" target="_blank" href="http://gigaom.com/2010/08/20/facebook-places-the-real-target-is-yelp/">wurde auch schon
spekuliert, dass weniger Communities wie Foursquare und Gowalla, sondern vielmehr
Online-Branchendienste wie
Yelp unter die Räder des
Places-Erfolgszuges geraten dürften – von den eh schon schwächelnden lokalen Print-Medien ganz zu
schweigen.

Der "gläserne Konsument? wird damit Wirklichkeit – aber kein Grund zum Jammern, es wird ja
keiner gezwungen, oder? Nun, gezwungen nicht, jedoch ging Facebook bei der Einführung von Places
einmal mehr recht facebookisch vor: Der Dienst wurde automatisch für alle freigeschaltet –
eingegebene Lokationsdaten sind somit sofort für den Freundeskreis (?Friends Only?) sichtbar
(immerhin nicht "für alle? – ein Desaster wie das rund um den
Start von Google Buzz
wollte Facebook-Chef Mark Zuckerberg sich offenbar ersparen). Wer diese Places-Nutzung nicht
wünscht, muss das manuell ändern.

Die Pointe kommt aber erst noch: Check-ins können auch andere Facebook-Teilnehmer für einen
Anwender vornehmen. Was das für jeglichen Anspruch auf Privatsphäre bedeutet, sollte sofort klar
sein: Kannste in die Tonne treten. Unerwünschte Nebenwirkungen treten plastisch vors Auge, wenn man
sich – am besten nach Lektüre von Max Goldts "
http://www.contraermusik.de/onlineladen/artikel/goldt/1CD4570-2.php" target="_blank" href="http://www.contraermusik.de/onlineladen/artikel/goldt/1CD4570-2.php">Krieg der
Mädchenschweigekreise? – einschlägige Teenager-Tweets vorstellt: "Und wenn du mich weiter
nervst, dann check ich dich bei Lidl ein!?

Was auf die Places-Einführung folgte, ist ein Ablauf, den wir wohl als Prototypen für
Datenschutz im Facebook-Zeitalter betrachten dürfen: Facebook schaltet einen neuen Dienst frei, und
einschlägige
Websites
http://www.nytimes.com/external/readwriteweb/2010/08/19/19readwriteweb-how-to-disable-facebook-places-93223.html">überschlagen
sich
sofort
im
http://www.readwriteweb.com/archives/how_to_disable_facebook_places.php">Posten von
Anleitungen, wie man ihn wieder abschaltet. Und so schrieb dann auch die Online-Publikation
SocialMediaToday ironisch: "
Wir alle hassen Facebook Places jetzt schon.?

Es gibt aber auch eine alternative Strategie zum Schutz der bröckelnden
Konsumenten-Privatsphäre: Einfach tagein, tagaus im Vorbeigehen immer nur bei ein und demselben
Geschäft einchecken und dann gucken, was für Werbung im Lauf der Zeit so hochpoppt. Das kann, je
nach gewählter Lokation, sicher sehr unterhaltsam werden – von meinem Home Office aus zum Beispiel
ist die nächste öffentliche Einrichtung ein buddhistischer Tempel?

Wie sang schon die kanadische Comedy-Truppe "Three Dead Trolls in a Baggie? in ihrem höchst
unterhaltsamen "
http://www.deadtroll.com/new/buycdrom.html">Privacy
Song":

"You can lie to the man, you can lie right through your tooth.

They can take away our privacy,

but they can?t have the truth.?

(?Du kannst die Leute anlügen, bis sich die Balken biegen.

Sie können unsere Privatsphäre wegnehmen,

aber die Wahrheit bekommen sie nicht.?)

Im Augenblick ist check-in-mäßig noch Abwarten und Teetrinken angesagt: Places funktioniert
derzeit nur in den USA. Aber sicher kommt der Dienst auch bald zum buddhistischen Tempel
Ihres Vertrauens!
;-)http://metaphorous.com/wp-includes/images/smilies/icon_wink.gif">

LANline/
http://metaphorous.com" target="_blank" href="http://metaphorous.com">Dr. Wilhelm
Greiner


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