Viele Menschen in Rongcheng betonen dagegen die Vorteile. So beurteilt die Krankenhausangestellte Lu Qunying das System positiv. »Es ermutigt, Gutes zu tun«, sagt sie, während sie im Bürgeramt steht. »Wir brauchen Vorschriften oder ein System, um die Menschen zu überwachen.« Gerade weil China noch nicht so weit entwickelt sei. Überhaupt: »Die Stadt ist jetzt sauberer.«
Dabei hat die kommunistische Volksrepublik keine guten Erfahrungen mit solchen gesellschaftlichen Experimenten gemacht. Die Gesinnungsschnüffelei der Kulturrevolution (1966-76), als Mao Tsetung das Denken der Chinesen verändern wollte, endete im Chaos. Auch die Ein-Kind-Politik, die die Zahl der Kinder vorschrieb, entpuppte sich als Irrweg: Die Gesellschaft überaltert. Zu wenig Junge müssen zu viele Alte versorgen. Vor zwei Jahren wurde die Politik abgeschafft.
Das Sozialpunkte-System ist das neue Herrschaftsinstrument. Es soll den Ein-Parteien-Staat erhalten und »gute« Untertanen formen. Ohnehin trauen sich in der »neuen Ära« von Xi Jinping immer weniger, Kritik zu äußern.
Viele finden das Register auch gar nicht so ungewöhnlich. Warum? Die Antworten liegen in Chinas Geschichte. Schon das konfuzianische Staatsmodell kümmerte sich um Tugendhaftigkeit. Als der Kommunismus kam, führten »Arbeitseinheiten« (Danwei) eine Personalakte für jeden Genossen. Die »Dang'an« enthielt Werdegang, Bewertungen von Vorgesetzten, politische Haltung, Regelverstöße und auch private Informationen. Die Akte begleitete Menschen ihr Leben lang, war quasi Vorläufer des Sozialkredit-Systems.