Vor allem die Einführung der »Elektronischen Software Distribution« (ESD) hat das Wachstum des illegalen Softwaremarktes zuletzt noch einmal rasant beschleunigt. Mit dem digitalen Vertrieb ohne Softwareboxen wurde das Geschäft nicht nur für die Hersteller und den legalen Handel wesentlich vereinfacht. Gerade für illegale Anbieter war dieser Schritt eine Art Jackpot. Da viele Kunden nicht wissen, dass sie einen rechtsgültigen Herkunftsnachweis brauchen, können die Kriminellen tausendfach ungültige Lizenzkeys aus zweifelhaften Quellen verkaufen. Gleichzeitig sinkt mit dem digitalen Vertrieb das Risiko erheblich, da statt eines Lagers voll illegaler Ware nun nur noch eine Liste mit Lizenzschlüsseln erforderlich ist.
Für Softwarehersteller macht es das noch schwieriger, gegen die Anbieter vorzugehen. In einer Art Befreiungsschlag hat sich Microsoft deshalb jetzt dazu entschieden, erstmals mehr als 50.000 Lizenzschlüssel für Windows und Office zu deaktivieren. Sie stammen aus zeitlich befristeten Lizenzen für Testversionen und OEM-Lizenzen und waren auf bisher unbekannten Wegen zu den dubiosen Händlern gelangt.
Allerdings hat Microsoft auch selbst einiges zu den aktuellen Problemen beigetragen. Statt seine Ressourcen darauf zu verwenden, den wirklich illegalen Handel einzudämmen, wurde jahrelang rigoros gegen seriöse Händler vorgegangen, die gebrauchte Lizenzen zusammen mit der COA als Herkunftsnachweis verkauft haben. Selbst nachdem der gebrauchte Handel vom EuGH genehmigt wurde, versäumte es Microsoft, gemeinsam mit der Branche klare Linien abzustecken, die auch den Kunden helfen.
Indem die gebrauchten Angebote in einen Topf mit Raubkopien geworfen wurden, hat Microsoft erheblich dazu beigetragen, die Grenzen zwischen legalem und illegalem Handel zu verwischen. Auch die Mitteilung zu den Sperrungen mischt Microsoft nun wieder mit Hinweisen zu illegalen gebrauchten Angeboten. Die Hoffnung dahinter ist wohl, das Misstrauen der Kunden gegen gebrauchte Software zu befeuern. Allerdings werden nicht nur die betroffenen Kunden der Sperrungen jetzt die berechtigte Frage stellen, was Microsoft unternimmt, um sie vor den wirklich illegalen Angeboten zu schützen.
Auch wenn diese Situation dem Handel gute Argumente für den Verkauf neuer Lizenzen gibt, so lässt sie doch gleichzeitig auch generelle Zweifel am Vertrieb per Download aufkommen. Diese wieder auszuräumen, wird die gesamte Branche erhebliche Mühen kosten.