Mittelständischer Händler gegen weltgrößtes Brauerei-Imperium: Während der Kampf ums Bier wie eh und je knallhart geführt wird, herrscht im Cloud-Vertrieb noch Burgfriedenspolitik. Die heißt im Zeitalter der Digitalisierung neuerdings »Frenemy«.
Editorial
Getränkehändler Fristo wehrt sich gegen die von Anheuser-Busch InBev diktierten Einkaufskonditionen und erklärt seinen Kunden per Handzettel, warum er so bekannte Marken wie Beck’s und Löwenbräu aus seinem Sortiment nimmt. Mittelständischer Händler gegen weltgrößtes Brauerei-Imperium: Das ist doch mal eine erfrischende, mutige Kampfansage und auch für Medien außerhalb des Getränke-Channels eine spannende David-gegen-Goliath-Geschichte. Da zeigt ein Unternehmen Haltung, bezieht Position und hat klare Vorstellungen, wofür es im Markt steht und wofür eben nicht. Man könne den Kunden diese Marken nicht mehr zu Preisen anbieten, wie sie das von Fristo erwarten. Man wünschte sich, im IT-Handel würden die Beteiligten ähnlich Mut fassen, endlich einmal Tacheles zu reden und die allseits regierende Diplomatie ruhen zu lassen.
Als Journalist im ITK-Channel gewinnt man indes den Eindruck, dass sich viele Unternehmen (immer noch) nicht oder nicht mehr mit der Frage beschäftigen, wofür sie eigentlich stehen. Welche Besonderheiten zeichnet Ingram Micro gegenüber Tech Data oder Also aus? Ist es noch die Nähe persönlicher Kommunikation mit den Kunden? Oder sind es im Zuge der Digitalisierung weitgehend automatisierte, entpersonalisierte Systeme, über die Reseller all die virtuellen Dienste in großer Angebotsbreite zu beziehen wünschen? Wie es scheint haben es gerade Chefs in der Technologiebranche schwer, die einzigartige Stellung ihres Unternehmens im Markt zu benennen und sie hervorzuheben.
Gibt es den USP in der ITK-Branche womöglich gar nicht mehr, weil sich die klassischen Wettbewerbspositionen im Cloud Computing aufzuheben beginnen? Wir leben in einer Frenemy-Welt, war von Ingram Micro zu hören. Ein Kunstwort, zusammengesetzt aus Friend und Enemy, kennzeichne heutige Handelsstrukturen.
Wer allerdings glaubt, Frenemy bedeute das Ende der Disharmonien oder gar harter Auseinandersetzungen um Märkte und Kunden, der irrt. Noch herrscht im Wachstumsmarkt Digitalisierung unter den Multicloud-Anbietern und ihren Zulieferern notwendigerweise Burgfriede, denn der zu verteilende Kuchen ist noch groß genug für alle. Spätestens aber wenn der Verdrängungswettbewerb einsetzt, wird die angebliche Freund-Feind-Wirtschaft das zeigen, was sie dem Grunde nach ist, nämlich knallharte Konkurrenz.
Martin Fryba
CRN-Chefredakteur