Novell Linux Desktop 9

N statt Chamäleon

26. September 2007, 12:54 Uhr | Andreas Stolzenberger

Der »Linux Desktop 9«, gespickt mit Office-Software und simpler grafischer Oberfläche, will jetzt Windows-XP als Büro-Client die Stelle des Platzhirschen streitig machen.

Mit der Übernahme der Suse AG hatte Novell ein verstärktes Engagement im Linux-Bereich angekündigt. Neben dem eigenen Netware-OS-Kern soll Linux künftig eine wesentliche Rolle im Produktportfolio einnehmen. Ziel des Systemherstellers aus Utah ist es, alle bislang auf Netware und Windows verfügbaren Netzwerk- und Verzeichnisdienste auch voll in Linux zu integrieren.

Das gilt nicht nur für die Serverseite, sondern auch für Clients. Während sich der »Novell Open Linux Enterprise Server« noch in der Betaphase befindet (siehe First Look, Seite 10), steht der »Novell Linux Desktop 9« bereits zur Verfügung. Mit dieser für den Client-Einsatz getrimmten Lösung will Novell gegen die Dominanz von Windows auf dem Client antreten. Interesse an Desktop-Varianten haben bereits genügend Anwender bekundet.

Selbstverständlich basiert der Novell-Linux- Desktop fast gänzlich auf der letzten Suse-Linux-Distribution mit Systemkern 2.6.5. Die wirklich wesentlichen Unterschiede zwischen einer reinen Suse und dem NLD sind überwiegend visueller Natur. So musste Suses Maskottchen, das Chamäleon, dem roten »N« weichen, und, wo immer es geht, steht »Novell» statt »Suse«.

Die Installation von drei CDs verläuft in gewohnter Suse-Manier, von vorn bis hinten abgewickelt von Suses Installationstool Yast2. Wenn’s grafisch nicht geht, wie in einem vorliegenden Test-Setup unter VMWare Desktop 4, dann eben im Text-Modus. Die Software-Auswahl offeriert ein fertiges Büropaket mit Open Office, Evolution, Red Carpet, »GIMP« und dem »Real Player«. Passende Clients für Citrix oder Terminal-Services sind auch mit dabei. Die Installation lässt dem Anwender die Wahl zwischen dem KDE-Desktop mit Konquerer-Browser oder Gnome mit Mozilla-Firefox. Die Paketauswahl gewährt dem Anwender nicht viel Spielraum für Extra-Softwarepakete – das ist auch nicht Sinn und Zweck der Distribution.

Steckbrief

Novell Linux Desktop 9

Hersteller: Novell

Charakteristik: Auf Linux basierendes Desktop-System mit integrierten Office-Anwendungen.

Kurzbeschreibung: Der Novell-Linux-Desktop-9 integriert alle wichtigen Office-Anwendungen und Tools auf einer übersichtlichen Oberfläche. Leider fehlt es an der Directory-Integration und komfortablen LAN-Tools, die man von einem kommerziellen Hersteller wie Novell erwarten darf.

Web:

Das übersichtliche Menü des Novell-Linux-Desktop macht Windows-Anwendern den Umstieg leicht.

Der fertige Desktop – in unseren Tests immer mit der Gnome-Oberfläche – wirkt sehr übersichtlich und aufgeräumt. Die wichtigen Anwendungen finden sich in sauber strukturierten Menüs. Auch hier hat sich Novell viel Mühe gegeben, die jeweiligen Splash-Screens mit dem hauseigenen »N«-Logo zuzupflastern. Sogar pure GNU-Anwendungen wie der Gimp oder Open-Office melden sich mit Novell-Logo – und einen Bildschirmschoner mit einer Slideshow von hübschen Fotos gibt´s auch. Von der Bedienung und der Softwarezusammenstellung ist nichts zu bemängeln, hier hat Novell ganze Arbeit geleistet.

Traurigerweise beschränkt sich Novell in der Version 9 des Linux-Desktops stark auf Äußerlichkeiten. Von einem Netzwerkhersteller mit jahrelanger Erfahrung sowohl mit Servern als auch Desktops darf man aber deutlich mehr erwarten. So setzt Novell den unveränderten LAN-Browser Nautilus von Gnome ein. Der ist zwar in der Lage, die freigegebenen Ordner von Samba- oder Windows-Servern auf dem Desktop darzustellen, aber nur, wenn diese Server nicht Teil eines ADS-Baums sind.

Zudem können nicht alle Anwendungen direkt auf die Daten in smb-Ordnern von Nautilus zugreifen, ohne dass die Freigabe per Mount in den lokalen Verzeichnisbaum eingebunden wird. Will man mit dem Gimp ein Bild auf einer LAN-Freigabe öffnen, heißt es nur: »Gimp kann nicht auf Daten in smb-Ordnern zugreifen.« Open- Office kann das, aber eben nur lesend. Will man eine neu erstellte Datei auf einer LAN-Freigabe sichern, erlaubt der in Open-Office integrierte Dateibrowser keinen Zugriff auf smb-Ordner. Hier fehlt ein Automount-Tool, das LAN-Freigaben auch im User-Modus in das lokale Dateisystem einklinkt und per Link dann auf dem Desktop darstellt.

Positiv hingegen, dass Nautilus Login-Informationen für LAN-Freigaben in einem zentralen Schlüsselbund des Benutzers sichern kann. Wie unsere Schwesterpublikation Network Computing USA in ihrem Test berichtet, gibt es hier aber Probleme, welche Benutzerkennung und Passwörter des Schlüsselbunds sich im Klartext auf dem Desktop darstellen lassen – Novell offeriert einen Patch hierfür.

Die NCP-Freigaben der Netware-6.5-Server im Test-LAN findet NLD9 übrigens nicht. Lediglich die konfigurierten CIFS-Freigaben der Netware-Server erscheinen im Nautilus-Borwser. Von einem Novell-Client-OS dürfte man aber erwarten, dass es ohne Wenn und Aber mit einem Novell-Server und dessen Diensten zusammenarbeitet.

Positiv wiederum, dass NDL9 zumindest eine grundlegende WLAN-Unterstützung mitliefert. Schade allerdings, dass sich Novell hier auch nur auf die gängigen Open-Source-Tools verlässt. Wer WLAN nutzen will, muss sich zu Fuß durch Config-Dateien quälen und mit der Syntax

des Text-Mode-Tools »iwconfig« herumschlagen, ohne dass er dazu mehr Hilfe erhält, als sie man-Page bietet. Auch hier ist von einem Hersteller wie Novell zu erwarten, dass er seine eigene Client-Distribution mit einem netten grafischen WLAN-Konfigurationstool versieht. Viel Aufwand kann es nun wirklich nicht sein, mit ein paar Python- oder Perl-Skripten einen Wrapper um iwconfig zu bauen, der grafische Konfigurationsdialoge offeriert.

Fazit: Trotz allen Genörgels ist der »Novell Linux Desktop 9« eine der besten und übersichtlichsten, professionellen Linux-Client-Lösungen auf dem Markt. Sie integriert alle wichtigen Business-Anwendungen, verzichtet weitgehend auf überflüssige Pakete und liefert einen übersichtlichen Desktop. Für rund 50 Euro bekommt man bei Microsoft nichts, schon gar nicht ein komplettes System mit integrierten Office-Applikationen. Stammte NLD9 von Herstellern wie Mandrake, Suse oder anderen Linux-Schmieden, würde diese Distribution im Test neben ein bisschen Kritik sehr viel Lob ernten. Aber von einem Hersteller wie Novell, der mit Linux auf breiter Front antritt, um Windows-Server und Clients abzulösen, darf man weit mehr erwarten als eine frisierte Suse-Distribution mit hübschem Bildschirmschoner und Novell-Logos. Ein Novell-Linux-Desktop muss eine volle Integration in Netzwerke mit eDirectory oder ADS offerieren. Dass man mit Unix/Linux-Clients in ADS-Verzeichnisse hineinkommt, zeigen neue Samba-Versionen und Apples Mac OS 10. Wer gegen Windows auf dem Desktop antritt, muss zudem komfortable grafische Dialoge anbieten, um LAN-Freigaben wie auch die WLAN-Konfiguration zu konfigurieren. An Entwicklern und Unix/Linux-Know-how dürfte es Novell kaum mangeln.

So muss man den Novell-Linux-Desktop-9 als eine neue, sehr hübsche und komfortable Suse-Linux-Client-Distribution werten, die kleine und mittelgroße Unternehmen als Desktop-Alternative einsetzen können, wenn sie passende »CIFS«-Server ohne Directory verwenden. Das Ganze ist vielleicht ein erster Schnellschuss von Novell, um das Linux-Engagement auf dem Desktop zu unterstreichen.

Es bleibt zu hoffen, dass der Novell-Linux-Desktop-10 die benötigten Komfort-Tools und die vollständige Integration in bestehende Directories offeriert – dann wird diese Distribution zu einer sehr ernst zu nehmenden Windows-XP-Variante auch für große Unternehmen, speziell bei einem Preis von rund 50 Euro pro Arbeitsplatz. [ ast ]


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