Die sozialen Netzwerke müssten mehr tun, um Manipulationen der Europawahl zu verhindern, hatte die Politik gefordert. Und zumindest Twitter liefert: Zuletzt hatte der Kurznachrichtendienst einige Accounts sogar wegen Satire und Meinungsäußerungen gesperrt.
Spätestens seit der US-Wahl 2016 stehen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter unter besonderer Beobachtung. Unter dem Druck von Politik und öffentlicher Meinung verständigten sich daher mehrere Online-Plattformen und Industrieverbände aus der Kommunikation und Werbung im vergangenen September auf einen Verhaltenskodex zur Selbstregulierung, der Desinformation und Fake-News im Zusammenhang mit der Europawahl verhindern soll. Doch noch im Februar dieses Jahres mahnte die EU-Kommission, die Situation habe sich trotz einiger Fortschritte nicht verbessert – und spornte damit zu mehr Engagement an.
Wohin das führt, ließ sich Anfang Mai beobachten, als Twitter plötzlich die Accounts mehrerer Nutzer wegen »irreführenden Informationen« sperrte. Das Problem: Es handelte sich um satirische Äußerungen und normale Meinungsbekundungen. Erwischt hatte es beispielsweise den Rechtsanwalt Thomas Stadler, der – vor mehr als 3 Jahren! – AfD-Wählern per Tweet geraten hatte, ihren Stimmzettel zu unterschreiben. Oder die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, die nach heftigen Diskussionen um die Häufigkeit des Vornamens Mohammed bei Neugeborenen in Berlin getwittert hatte, dieser sei auch in ihrer Familie sehr häufig und man werde schon dafür sorgen, dass er nicht verschwinde.
Anlass für die Sperren dürfte die Meldung der betreffenden Tweets durch andere Nutzer sein, denn Twitter hatte Ende April eine neue Funktion eingeführt, über die man Wahlbeeinflussung melden kann. Offenbar machten sich anschließend Anhänger von in sozialen Medien ohnehin sehr aktiven Rechtspopulisten auf die Suche nach missliebigen Tweets politischer Gegner. Nicht ganz unschuldig daran, dass deren Accounts dann tatsächlich gesperrt wurden, dürfte das »Netzwerkdurchsetzungsgesetz« sein, das der damalige Justizminister Heiko Maas im Schnellverfahren auf den Weg gebracht hatte.
Das Gesetz regelt den Umgang der sozialen Netzwerke mit Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten. Offensichtliche Rechtsverstöße müssen sie binnen 24 Stunden nach einer Beschwerde entfernen oder sperren, nicht offensichtliche Verstöße innerhalb von sieben Tagen – für Twitter offenbar nicht genug Zeit, die gemeldeten Tweets genau zu prüfen. Vielleicht wurden sie aber auch lieber sicherheitshalber offline genommen keine Strafen zu riskieren.
Genau dieses »Overblocking« hatten Kritiker vor Verabschiedung des Gesetzes befürchtet. Mit den kommenden »Upload-Filtern«, die das neue EU-Urheberrecht nach sich zieht, dürfte es kaum besser werden – zumal dann Algorithmen allein entscheiden.