Demission von CEO Thomas Volk

Wiederentdeckung der Cancom-DNA

10. Januar 2020, 10:22 Uhr | Martin Fryba

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Transformationsschmerzen

Projekt- und Handelsgeschäft, Managed Service-Anbieter, vor allem aber Cloud Solution-Architekt, dazu die AHP Business Cloud, mit der Cancom zunehmend über diverse Partner wie Hersteller HPE, Broadliner Also oder neuerdings IT-Dienstleister Detron in den Niederlanden auf internationale Märkte drängt: So hatten Weinmann und Hotter das einst handelslastige Systemhaus zu einem auf viele Bereitstellungsmodelle transformierten IT-Dienstleister aus- und umgebaut. Vielleicht zu viele? Jetzt auch noch eine dezidierte Aufstellung als global agierender Softwarehersteller, wie Volk das angestrebte?


Man könne leicht irgendwo stecken bleiben in der Transformation, ein bisschen von dem, ein bisschen von jenem, so jedenfalls könne man den Fokus verlieren und seine DNA beschädigen, gelangt Weinmann jüngst zur dieser Überzeugung. Ferner: Als großes Systemhaus müsse man sich ja gar nicht jene Partner der Hyperscaler zum Vorbild nehmen, die ausschließlich reines Cloud-Geschäft mit AWS, Google oder Microsoft Azure betreiben und auf der aktuellen Welle eines rasanten Wachstums mit diesen Riesen reiten.


Zu solchen technologischen Herausforderungen kommen immer auch interne Transformationsschmerzen hinzu, die aus der Umstellung von hohen Einmalerlösen im Projektgeschäft hin zum Consumptional Business mit regelmäßigen, aber niedrigen Einnahmen und entsprechend geringen Vertriebsprovisionen resultieren.


SAP aus der Azure-Cloud? Beim Cancom-Sales kaum durchsetzbar. Müsse man auch nicht auf Biegen und Brechen dem Vertrieb aufoktroyieren, der ja sichtlich erfolgreich arbeite und der nicht auf allen Hochzeiten tanzen will und kann.


Vieles ist nicht gleich viel, beobachtet der Ex-CEO von Cancom und warnt vor allem große Systemhäuser vor einer Defokussierung, die letztlich dazu führen würde, ein bewährtes Geschäft zu schwächen, wenn man meine, neue Geschäftsmodelle in großen Strukturen mit der Geschwindigkeit und Agilität von Startups etablieren zu wollen.


Einen zehn Millionen Auftrag über Hardwarelieferung, auch wenn dabei nur wenig Marge zu erzielen ist, macht den Vertrieb glücklich und lässt den Bilanzumsatz besser aussehen: Weinmann hätte als CEO einem solchen Deal zugestimmt, Thomas Volk mit Blick auf den Bilanzgewinn und Finanzanalysten eher nicht.


Fazit von Weinmanns Beobachtung: Transformation ja, aber bitte nicht SaaS- oder Cloud-Provider kopieren, sondern mit ihnen lieber kooperieren und sich zu einem Systemhaus 4.0 wandeln, ohne die eigene DNA zu zerstören und gute Mitarbeiter dem Wettbewerb in die Hände spielen.


Noch vor einigen Jahren hörte und diskutierte man in der Systemhausbranche heftig solche Aufrufe zur radikalen Sprengung des eigenen Geschäftsmodells in Richtung Cloud. Das kann bei kleineren Systemhäusern mit zehn oder wenig mehr Beschäftigten gut gehen, bei einer Organsiation wie Cancom, fast 3.500  Mitarbeiter, nicht.


Die Digitalisierung in allen Wirtschaftssektoren werde noch über Jahre hinaus traditionellen Systemhäusern ein florierendes Beschaffungs- und Integrationsgeschäft bescheren, ist sich der Ex-Cancom-Chef sicher. So nutze man die Wachstumschancen am besten und vermeide Risiken, das werthaltige Geschäftsmodell durch massive Veränderungen zu beschädigen, Mitarbeiter zu überfordern und letztlich zu verlieren.


Das sind neue Töne, die man so in der Ära des Cancom-Gründers nicht gehört hat.


Rudert hier jemand zurück, der Cancom von der schwäbischen Provinz nach München in ein Glashochaus  an der Donnersberger Brücke verpflanzte, für Tausende Auto- und S-Bahnfahrer unübersehbar. Der Cancom als Cloud-Architekten medial lautstark positioniert hatte, während das Warenlager und die Logistik weiter in Jettingen-Scheppach versteckt blieben? Hat sich der Cancom-Gründer und nun amtierender CEO der Privat Equity-Gesellschaft Primepulse, die Anteile an Cancom hält und einen Sitz im Aufsichtsrat hat,  in Neckarsulm vom Bechtle-CEO Thomas Olemotz überzeugen lassen, dass man am besten zu seiner DNA als handeltreibendes Systemhaus stehen soll und auch ohne radikale Neupositionierung oder gar Disruption des eigenen Geschäftsmodells »zukunftsstark« - wie der Bechtle-Hashtag lautet -  aufgestellt sei?


Solche Lektionen in mehr Gelassenheit und Zuversicht in die Stärken der eigenen Kerngeschäfte muss man Weinmann und dem kommenden neue Cancom-CEO Hotter gar nicht erteilen. Beide Häuser werden als Milliarden-Unternehmen vom Boom der IT-Nachfrage und den stetigen Innovationen wohl noch länger überdurchschnittlich profitieren.

 

 

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