SD-WAN gilt als verheißungsvolle Alternative zur physischen Netzwerkinfrastruktur. So lockt der softwaredefinierte WAN-Typ mit besserer Performance, vereinfachter Verwaltung und mehr Sicherheit bei geringeren Kosten. SD-WAN zwischen Schein und Sein: ein Interview mit Jean Critcher von Orange.
funkschau: SD-WAN ist aktuell in aller Munde – ist das tatsächlich die Zukunft? Und wie genau funktioniert SD-WAN eigentlich?
Jean Critcher: SD-WAN ist eine unvermeidliche Transformationsentwicklung, die die physische Netzwerkinfrastruktur ersetzt beziehungsweise ersetzen wird. Schon jetzt sehen wir den klaren Trend, dass Unternehmen SD-WAN als neue Norm erkennen und bereits mit einer Umstellung beginnen. Um auch für die weiterführende Transformation gewappnet zu sein, setzen wir schon jetzt auf einen SD-WAN-fähigen Backbone und einer Hub-Technologie der nächsten Generation. Diese ermöglicht eine Reihe von Zugangstechnologien, die einen sofortigen Zugriff auf Software und Cloud Services gewährleistet.
Rein technisch betrachtet ändert sich vor allem die WAN-Architektur. Die reine MPLS-Struktur wird aufgebrochen. Damit kann jede beliebige Netzinfrastruktur kombiniert werden. Außerdem zeichnen SD-WAN anwendungsbezogene Routing-Richtlinien aus. Diese wählen geeignete Zugriffsarten und Softwaredienste gemäß definierter Performance-SLAs aus. Es geht also nicht mehr um Netzwerk-QoS oder Class-of-Service auf unterliegenden Verbindungen, sondern um die Verwendung von Überlagerungstunneln, die sich zwischen den Destinationen und den Pfaden gebildet haben, die basierend auf den Anwendungsrouting-Richtlinien und QoS ausgewählt wurden.
funkschau: Für welche Nutzergruppe ist SD-WAN in erster Linie interessant? Welche Anwendungen machen den Einsatz von SD-WANs notwendig?
Critcher: SD-WAN ist wichtig für alle Stakeholder eines Unternehmens oder für Unternehmen, die ein Unternehmensziel erreichen, die Leistung verbessern und Kosteneinsparungen realisieren wollen. Es ist also für alle Unternehmen relevant – und es wichtig, dass die Unternehmen diese Notwendigkeit für sich erkennen. Alle Anwendungen, insbesondere solche, die geschäftskritisch sind, rechtfertigen die Verwendung von SD-WAN – beispielsweise jede Art von Echtzeit-Anwendung.
funkschau: Welche Grenzen sind dem SD-WAN gesetzt?
Critcher: SD-WAN ist nach wie vor eine heranreifende Technologie mit einer Reihe von Versprechen, die sich noch in der Entwicklung befindet. Eine Herausforderung ist unserer Erfahrung nach die Abhängigkeit von den Underlay-Richtlinien. Netzwerk-Routing-Richtlinien können beim Definieren von SD-WAN nicht ignoriert werden. Ein wichtiger Aspekt ist natürlich auch immer, in welchem Umfeld SD-WAN bereitgestellt wird: Für Greenfield-Bereitstellungen arbeitet SD-WAN recht schnell. Bei Brownfield-Implementierungen hingegen ist eine Menge an Koordination erforderlich und es müssen Daten erfasst werden, um die Migrationspläne einschließlich der Fallbacks zu definieren, falls SD-WAN aufgrund der komplexen Transformation der alten Infrastruktur nicht im ersten Anlauf funktioniert.
Wir sehen immer wieder, dass bestimmte Anwendungs- und Infrastruktureinstellungen im Widerspruch zur SD-WAN-Richtlinienzuordnung stehen. Da stößt eine Implementierung natürlich schnell an ihre Grenzen. Außerdem ist die Anzahl der Anwendungssitzungen, die SD-WAN-Tunneling normalerweise unterstützen kann, begrenzt. Bei Tausenden gleichzeitigen Anwendungssitzungen von einem bestimmten Standort treten bei einigen SD-WAN-Anbietern Leistungsprobleme auf. Kurz gesagt: SD-WAN ist noch nicht intuitiv und lässt sich auch noch nicht an jede Umgebung ohne menschliches Zutun anpassen.