funkschau: Wie sieht der Migrationspfad aus?
Critcher: Ebenso wie das Zeitfenster variieren auch die Migrationspfade je nach Unternehmen, Unternehmensschwerpunkt und der Netzwerkkomplexität. Beispielsweise kann eine Migration durch eine Akquisition ausgelöst werden: Neu hinzukommende Unternehmensstandorte müssen dann schnell integriert werden, damit diese mit den bereits vorhandenen Unternehmensstandorten kommunizieren können. Für Unternehmen mit komplexen Netzwerken muss ein Migrationsplan definiert und vereinbart werden, um das höchste Risiko, nämlich Unterbrechungen im laufenden Betrieb, zu vermeiden.
Einige Beispiele für Migrationspfade beginnen mit Kernnetzwerken oder Rechenzentren, gefolgt von der Migration von regionalen Niederlassungen und schließlich mit entfernten Standorten. Dieser Weg wird eingeschlagen, wenn es mehrere MPLS- oder Internet-Underlay-Anbieter gibt, um die Kommunikation zwischen regionalen und bereits transformierten SD-WAN-Standorten mit entfernten SD-WAN-Standorten zu ermöglichen. Andere Pfade konzentrierten sich darauf, zunächst geschäftskritische Standorte zu transformieren, um bereits bestehende kostspielige Zugriffs- oder Leistungsprobleme zu mindern.
funkschau: Wie lässt sich eine Investitionsrentabilität in der Anfangsphase der SD-WAN-Bereitstellung realisieren?
Critcher: Wenn ein Unternehmen bereits einen Großteil seiner Anwendungen vor der Einführung von SD-WAN in die Cloud verlagert hat, sind die Kosten für den Netzwerkzugriff und die gehostete Infrastruktur höchstwahrscheinlich schon gesenkt. Die nächste frühe Investitionsrendite misst die Produktivitätssteigerung und die Reaktionszeitgewinne im Change Management auf Geschäftsebene. Dazu sind eine Pre-SD-WAN-Baseline und Performance-Benchmark erforderlich, um die aktuellen Zeitfenster für das Change Management anhand von Standortprofilen und Messungen der Endnutzerzufriedenheit zu verstehen. Nach der Bereitstellung von SD-WAN kann dann bereits an den ersten Standorten der potenzielle Return on Investment mit diesen Produktivitätsgewinnen im Vergleich zu den Kosten der SD-WAN-Umwandlung angezeigt werden.
funkschau: Welche Erfahrungen haben Endanwender bisher gemacht? Wurden die Erwartungen erfüllt? Welche Herausforderungen sind im Nachhinein noch aufgekommen?
Critcher: Unternehmen, die ein Pre-SD-WAN-Baselining und Performance-Benchmarkt erarbeitet haben, konnten sichtbare Verbesserungen in der Endnutzerzufriedenheit erzielen. Das lag vor allem daran, dass realistische SD-WAN-Anwendungsrichtlinien entwickelt und festgelegt wurden, um die gewünschten Ergebnisse zu erreichen. Im Nachhinein ergeben sich Herausforderungen immer dann, wenn die Benchmarks nicht vorhanden sind oder verstanden werden – oder wenn technologische Hürden wie DNS oder WLAN-Einstellungen, die zum Zeitpunkt der Bereitstellung von SD-WAN unbekannt waren, die Leistung unerwartet beeinträchtigen.
funkschau: Jens Thaele konstatiert in seinem Beitrag zu SD-WAN und WAN: „Die Preise für Bandbreite werden weiter fallen und wenn dann flächendeckend günstige Glasfaseranschlüsse zur Verfügung stehen, werden SD-WANs in heutiger Ausprägung obsolet sein; da dann niemand noch Multi-VPNs braucht, die Kostenkarte ebenfalls nicht sticht und Virtualisierung längst in jedem Netz integriert sein wird.“ Bis dahin – sozusagen als Brückentechnologie – könne sich ein SD-WAN für den einen oder anderen durchaus als attraktivste Alternative in der weiten Welt der Unternehmensvernetzungen entpuppen. Sehen Sie das auch so: SD-WAN als Brückentechnologie?
Critcher: Ja, SD-WAN ist eine Brückentechnologie, die aber nicht obsolet wird, wenn die Bandbreitenpreise sinken und 5G sowie Virtualisierung zur Norm werden. Denn die Preise werden beispielsweise nicht in jedem Land und nicht bei jeder Form des Zugangs sinken, wie in Ländern des Nahen Ostens und Südostasiens mit hohen regulatorischen Anforderungen und Monopolanbietern. SD-WAN ist keine auf Zugriffsarten basierende Technologie, sondern basiert auf der Verwendung der QoS für das Routing von Anwendungen zu dem geeigneten Zugriff und Pfad für eine bestimmte Anwendungs-SLA. Und auch Multi-VPNs sind noch nicht „tot“. Einige Geschäftsmodelle von Kunden erfordern eine VPN-Segmentierung, um den Zugriff zwischen internem und externem Geschäftsverkehr und Benutzeraustauscharten zu steuern.
Wie bei MPLS wird es wahrscheinlich 20 Jahre dauern, bis SD-WANs durch die nächste innovative Netzwerktechnologie ersetzt oder obsolet sein werden.