Jerome Evans ist Gründer und Geschäftsführer von Firstcolo. In einem Kommentar ordnet er die Bedeutung der Inhalte des neuen Koalitionsvertrags für die Rechenzentrums-Branche ein.
„Mit dem neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung zeichnen sich weitreichende Veränderungen für die Rechenzentrumsbranche und die Digitalwirtschaft in Deutschland ab. Die geplanten Maßnahmen dienen zur Stärkung des Rechenzentrumsstandorts Deutschland, während sich zugleich der realistische Blick auf die Herausforderungen richtet, die bei der Umsetzung bewältigt werden müssen. Insgesamt vermittelt das Regierungsprogramm den Eindruck, dass digitale Infrastruktur nun als strategisches Rückgrat der Wirtschaft begriffen wird – ein Politikwechsel, der unserem Sektor erheblichen Auftrieb geben könnte“, so Evans in seinem Statement.
Laut Evans nehmen Rechenzentren eine zentrale Rolle für die digitale Souveränität und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit ein. „Deutschland soll als Rechenzentrumsstandort zum ‚Leuchtturm Europas‘ werden. Konkret heißt das: Sowohl große Cluster an Rechenzentren als auch regionale, dezentrale Standorte werden politisch unterstützt. Für Colocation-Anbieter bedeutet diese Strategie, dass Wachstum nicht nur in den etablierten Ballungsräumen stattfinden soll, sondern auch in der Fläche, etwa durch Edge-Computing-Kapazitäten näher am Endnutzer“, erklärt Evans weiter. Besonders ambitioniert ist laut dem Firstcolo-Manager das Vorhaben, mindestens eine der geplanten europäischen ‚AI-Gigafactories‘ – also ein Großrechenzentrum für KI-Anwendungen – nach Deutschland zu holen. „Gelingt dies, würde es die Innovationsführerschaft Deutschlands im KI-Zeitalter unterstreichen und einen intensiven Know-how-Transfer in die hiesige Rechenzentrumsbranche auslösen. Diese Leuchtturmprojekte und die gezielte Clusterbildung bieten enormes Potenzial, das Standortimage zu verbessern und Investitionen anzuziehen.“
Um dieses Wachstum zu ermöglichen, adressiert der Koalitionsvertrag auch zentrale Infrastrukturthemen. Eine Digitalisierungsoffensive bei Stromnetzbetreibern sowie mehr Transparenz über verfügbare Netzanschlusskapazitäten sollen die Planung und Integration neuer Rechenzentren ins Stromnetz erleichtern. Für Colocation-Rechenzentren, die zu den größten Stromabnehmern gehören, wäre ein vereinfachter, beschleunigter Netzanschluss ein entscheidender Vorteil. Bisher zählen lange Wartezeiten und aufwändige Abstimmungen mit Netzbetreibern zu den typischen Projektverzögerungen.
„Die Regierung will Genehmigungsprozesse entflechten und Vorschriften praxisnah auslegen oder nötigenfalls novellieren, um den Betrieb neuer Standorte zu erleichtern. Aus Branchensicht sind dies ermutigende Signale. Wenn sowohl beim Netzanschluss als auch bei Bau- und Betriebsauflagen Erleichterungen kommen, lassen sich Rechenzentrumsprojekte künftig schneller und planbarer umsetzen. Ergänzend dürfte auch die allgemeine Digitalisierung der Netzinfrastruktur helfen – der flächendeckende Glasfaserausbau bis in jede Wohnung, den die Koalition voranbringen will, schafft letztlich ein besseres Fundament für die breitbandige Anbindung von dezentralen Server-Standorten“ so Evans.
Es gehe auch darum, die hohen Energiekosten in den Griff zu bekommen – ein Thema, das für Rechenzentren aufgrund ihres enormen Strombedarfs von existenzieller Bedeutung ist. „Der Koalitionsvertrag sieht eine spürbare finanzielle Entlastung vor. Die Stromsteuer soll auf das europäische Mindestmaß gesenkt und Umlagen sowie Netzentgelte reduziert werden, was insgesamt eine Senkung des Strompreises um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde bewirken soll. Für große Rechenzentrumsanbieter könnten dadurch Millionenbeträge pro Jahr eingespart werden, was die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland im europäischen Vergleich deutlich verbessert – insbesondere gegenüber Ländern mit traditionell günstigeren Strompreisen“, vermutet Evans.
Darüber hinaus werde die bisher vor allem in der Industrie genutzte Strompreiskompensation verlängert und auf weitere Branchen ausgeweitet, explizit sollen nun auch Rechenzentren einbezogen werden. Diese Ausweitung sende das Signal, dass die Politik Rechenzentren als energieintensive Schlüssel-Infrastruktur anerkennt. Als weiteren Schritt plant die Koalition, im Rahmen der beihilferechtlichen Möglichkeiten einen Industriestrompreis einzuführen. Dieses Instrument würde besonders stromintensiven Betrieben einen gedeckelten, wettbewerbsfähigen Energiepreis garantieren.
„Man will die Klimaneutralität praxisnah umsetzen und beispielsweise die Nutzung von Abwärme aus Rechenzentren deutlich erleichtern. Konkret soll überschüssige Wärme, die beim Betrieb der Serveranlagen anfällt, vermehrt in Fernwärmenetze eingespeist werden können. Für Colocation-Anbieter eröffnet das neue Chancen: Indem Rechenzentren zu Wärmequellen für angrenzende Viertel oder Gewerbegebiete werden, lässt sich die Gesamtenergieeffizienz erheblich steigern“, so Evans weiter.
Wenn die neue Bundesregierung dabei Unterstützung biete, etwa durch Förderprogramme für intelligente Wärmekonzepte oder durch Anpassungen im Energierecht, könnten solche Lösungen breiter zum Einsatz kommen. Wichtig sei aus Sicht der Branche, dass die CO2-Ziele realistisch gesetzt und die Wege dorthin technikneutral offenbleiben. Evans weiter „Rechenzentrumsbetreiber investieren bereits massiv in erneuerbare Energien, effizientere Kühlung und innovative Technologien – doch Klimaneutralität ist ein Prozess, der nur im Gleichschritt mit verlässlicher politischer Unterstützung gelingt.“