Edge Computing

Ohne Edge Computing keine Digitalisierung

12. März 2018, 15:42 Uhr | Redaktion: Axel Pomper und Markus Kien
© Damiano Poli

Reinhard Purzer, Vice President & Managing Director DACH bei Vertiv, erklärt im funkschau-Interview, wo die Vorteile, aber auch die Hürden, von Edge Computing liegen.

funkschau: Herr Purzer, Vertiv hat ein weltweites Ranking der IT-abhängigsten Branchen veröffentlicht. Welche Branchen sind darin gelistet und warum?

Reinhard Purzer: Als Unternehmen, das kritische Infrastrukturen für Unternehmen entwirft, produziert und wartet, beobachten wir die Digitalisierung und die damit einhergehende Abhängigkeit aller existierenden Branchen ganz genau. Mit dem Ranking möchten wir darauf aufmerksam machen, welche Auswirkungen ein Ausfall der IT, beispielsweise durch einen Stromausfall, auf unsere Gesellschaft hätte.

funkschau: Wer verantwortet das Ranking? Und welche Kriterien wurden bei der Bewertung angelegt?

Purzer: Das Ranking entstand in Zusammenarbeit mit einem Gremium – bestehend aus den Branchenexperten Emiliano Cevenini, Tony Gaunt, Etienne Guerou, Robert Linsdell, Tom Nation, Peter Panfil, Jack Pouchet, Jun Michael Tian und Jean-Baptiste Trollé. Die untersuchten Branchen wurden anhand von 15 Kriterien nach ihrer Abhängigkeit bewertet. Dazu gehören zum Beispiel die Auswirkungen eines IT-Ausfalls auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, aber auch auf den Erfolg eines Unternehmens. Auf den ersten drei Plätzen landeten das Versorgungswesen, der Öffentliche Verkehr sowie die Telekommunikation. Aber auch die Öl- und Gasförderung, Cloud- und Colocation-Dienstleister sowie Verteidigung und Smart Cities werden immer abhängiger von IT-Ressourcen.

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Reinhard Purzer, Vice President & Managing Director DACH bei Vertiv
Reinhard Purzer, Vice President & Managing Director DACH bei Vertiv
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funkschau: Smart Cities bilden zusammen mit Connected Cars und Smart Grid einen der größten Anwendungsbereiche für Edge Computing und Mikro-Rechenzentren. Steigert Edge Computing die Abhängigkeit von IT-Infrastrukturen?

Purzer: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Smart Cities sind Visionen von städtischen Entwicklungen, bei denen verschiedene Informations- und Kommunikationstechnologien sowie IoT-Lösungen auf sichere Art und Weise in die Verwaltung städtischer Einrichtungen einfließen. Dafür werden auf jeden Fall Mikro-Rechenzentren nötig sein. Gleiches gilt für ein Smart Grid oder Autonomes Fahren. Experten prognostizieren, dass bei gleichbleibender Entwicklung auf den Straßen alle 15 Kilometer ein kleines Rechenzentrum stehen wird. Deswegen steigert Edge Computing natürlich die Abhängigkeit von IT-Infrastrukturen. Die Verlagerung von Teilressourcen in die Randbereiche des Netzwerks bietet allerdings einen ganz entscheidenden Vorteil: Verschiedene, teilweise isolierte Netzwerke können bei Ausfall der WAN-Verbindung gegebenenfalls separat betrieben werden. So lässt sich ein Ausfall im Kernbereich viel leichter abfangen.

funkschau: Also ist Ausfallsicherheit ein großer Vorteil von Edge Computing. Was sind weitere Vorteile des Trends?

Purzer: Für Unternehmen spielt neben der hohen Verfügbarkeit, die mit Edge Computing einhergeht, die Sicherheit geschäftskritischer Daten eine große Rolle. Auch hier kann Edge Computing punkten. Durch die Dezentralisierung der Rechenzentren lassen sich Informationen direkt vor Ort speichern und verarbeiten. Außerdem sind kleine Rechenzentren vor Ort im Gegensatz zu großen zentralen Rechenzentren weniger anfällig für Sicherheitsbedrohungen. Das ist vor allem für Firmen im Banken- oder Gesundheitssektor, für die der Schutz von Daten hohe Priorität hat, wichtig.

funkschau: Welche Branche wird Ihrer Meinung nach am meisten von den neuen und hochsicheren Mikrorechenzentren profitieren?

Purzer: Weitere Vorteile des Edge Computing sind die schnelle Datenübertragung und die geringeren Kosten, die dadurch möglich werden. Fakt ist, dass die Digitalisierung einen enormen Anstieg der Datenmengen mit sich bringt. Da diese bestenfalls in Echtzeit verarbeitet werden sollen, braucht es Lösungen, um die Latenzzeiten zu verringern. Der dezentrale Ansatz des Edge Computings ermöglicht genau das: Die Daten müssen nicht mehr in ein weit entferntes, zentral gelegenes Rechenzentrum übertragen werden, sondern können direkt vor Ort und in Echtzeit verarbeitet werden. Das bietet für viele Online-Aktivitäten Vorteile, zum Beispiel den Handel, aber auch die Reisebuchung, Logistik, Medien oder Finanzgeschäfte. Beispielsweise vertraut Netflix in seiner Bereitstellungstrategie stark auf Edge Computing. Das Unternehmen hostet seine Archive so nah wie möglich am End-User, damit die Qualität der Streaming-Erfahrung so hoch wie möglich ist.

funkschau: Also ist Edge Computing kein kurzlebiger Trend?

Purzer: Auf jeden Fall. Ohne Edge Computing wird es schwierig sein, neue Technologien und die schnell wachsende Digitalisierung zu realisieren. Beispielsweise prognostizieren Experten dem IoT-Sektor ein jährliches Wachstum von 34 Prozent und zwar marktübergreifend, von Handel über Industrie bis zum Transportwesen. Das wird nur mit Edge Computing umsetzbar sein. Allerdings ist es schwer vorauszusagen, wie schnell sich der Trend verbreitet und welche Branche Vorreiter sein wird. Denn trotz der überwiegenden Vorteile gibt es für Unternehmen auch Gründe zum Zögern, wie eine höhere Angriffsfläche durch die verteilte Infrastruktur.

funkschau: Wäre das ein Grund, warum sich die Rechenzentrumslandschaft langfristig wieder zentriert?

Purzer: Nein, dafür überwiegen die Vorteile viel zu sehr. Das Problem der erhöhten Angriffsfläche lässt sich zum Beispiel leicht durch die richtigen Sicherheitsmaßnahmen lösen. Meiner Meinung nach wird es in Zukunft nicht den einen Monotrend geben. Unternehmen müssen vielmehr den für ihr Geschäftsmodell passenden Mix finden - sei es Cloud, Collocation, Edge oder zentralisiertes Rechenzentrum. Gemeinsamkeit bei der Vielfalt an Möglichkeiten wird sein, die IT-Infrastrukturen so ausfallsicher wie möglich zu gestalten.


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