Die HNA Group räumt erstmals offiziel einen Liquiditätsengpass ein. Verkäufe in Höhe von 16 Milliarden Dollar sollen die angehäuften Schulden tilgen. Die Tochtergesellschaft Tianjin Tianhai hat zwar einen Verkauf des Distributors Ingram Micro ausgeschlossen, in jedem Fall ist die Krise ein Dämpfer für dessen ehrgeizige Expansionspläne.
Nach der Übernahme durch das chinesische HNA Group, führte der Distributionsmarktführer vor allem einen positiven Aspekt an: Mit dem expansionsfreudigen chinesischen Firmenkonglomerat im Rücken, könne Ingram Micro seine eigene Expansion schneller vorantreiben. Tatsächlich hat der Broadline-Distributor sich seither beständig durch den Zukauf weiterer Kompetenzen verstärkt: In den letzten drei Monaten akquirierte Ingram Micro beispielsweise mit Phoenix Group einen Spezialisten für Bezahltechnologien und mit Cloud Harmonics einen IT-Security-Distributor.
Doch die Expansionsstrategie sollte einen kräftigen Dämpfer erhalten, denn die HNA Group ist in eine Schuldenkrise geschlittert. Und diese Schuldenkrise könnte über das bisher wahrgenommene Ausmaß noch weit hinaus gehen, befürchten viele Finanzmarktbeobachter, welche die HNA Group auch wegen ihres Anteils nahe an der zehn-Pront-Marke an der Deutschen Bank fest im Blick behalten. Ein wesentliches Problem ist die schon häufig angemahnte Intransparenz des chinesischen Firmen-Konglomerats, denn die HNA Group hat auch nachdem mehrere Sparten den Aktionhandel aussetzten (CRN berichtete) keine verlässlichen Auskünfte zur Lage des Unternehmens erteilt. Verwaltungsratschef Cheng Feng hat zwar gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters das Liquiditätsproblem eingestanden, das entstanden sei, weil die HNA Group eine große Zahl von Fusionen zu bewältigen gehabt habe. Tiefergehende Informationen zur undurchsichtig agierenden Gruppe erhalten die Beobachter des chinesischen Marktes aber offenbar nur durch »Insider«: Die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg beruft sich auf solche und beziffert den Schuldenberg mit 2,4 Milliarden US-Dollar. Die HNA Group plane demnach im laufenden und im kommenden Quartal Vermögenswerte in Höhe von 16 Milliarden Dollar zu verkaufen, um fällige Rückzahlungen beliefern zu können. Laut Bloomberg habe der Konzern bereits mit dem Verkauf von Immobilien begonnen.
Die HNA-Krise wurde für Ingram Micro bereits vor wenigen Wochen zum Problem, da plötzlich auch über einen Verkauf der für sechs Milliarden Dollar erworbenen IT-Distributionstochter spekuliert wurde (CRN berichtete). Die Muttergesellschaft Tianjin Tianhai trat diesen Spekulationen zwar umgehend entgegen: »Ingram Micro ist eine wichtige strategische Investition, der Distributor bildet eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung des Unternehmens«, wie die Firma in einem Statement an die Börse Shanghai betonte. Nichtsdestotrotz scheint die Lage selbst für die Beobachter vor Ort unvermindert ungewiss. Die South China Morning Post hat in Erfahrung gebracht, dass der Aktienhandel für Tianjin Tianhai bis Mitte Februar ausgesetzt bleibt – dann will die Logistik- und Transport-Firma Details zu einer geplanten Restrukturierung nennen. Zumindest ist zu erwarten, dass die Krise der Muttergesellschaft den aggressiven Expansionskurs Ingram Micros abbremsen dürfte.