Notlösungen, wie sie an vielen Universitäten und oft im Alleingang von einzelnen Dozenten umgesetzt wurden, haben im zurückliegenden Semester den Lehrkörper vor ganz neue Herausforderungen gestellt – einschließlich des neuen und vielleicht ungewohnten Gefühls, der permanenten Beobachtung durch eine Kamera unterworfen zu sein. Doch besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen und so ist eine mit Notebook-Webcam und Smartphone-Headset aufgezeichnete Vorlesung besser als keine Vorlesung. Je mehr Remote-Learning aber zur Gewohnheit wird, desto höher werden auf beiden Seiten die Ansprüche an die technische Umsetzung. Die bislang meist auf die bloße Aufzeichnung ausgelegten Notnägel vernachlässigen oft den Live-Gedanken und verhindern jede Form von Interaktion mit den daheimgebliebenen Teilnehmern. So können zwar verpasste Inhalte nachgeholt werden, offene Fragen müssen aber – anders als in der Hörsaal-Situation – vorerst unbeantwortet bleiben. Derartig improvisierte Insellösungen können auf Dauer nicht Bestand haben.
Was braucht es, um Studenten das Gefühl zu geben, trotz Entfernung ganz an am Universitätsgeschehen zu sein? Das Stichwort lautet Immersion! Gebraucht wird eine möglichst umfassende Wahrnehmung dessen, was vor Ort geschieht – quasi ein virtueller Hörsaal oder Seminarraum. Hier reicht die statische Webcam des Dozentenrechners nicht aus, denn neben dem Gesicht und vielleicht einer PowerPoint-Präsentation per Screenshare gehören auch die Tafel und eines Tages auch wieder die Zwischenfragen anwesender Kommilitonen zur Lernumgebung dazu. Und wer glaubt, der „gute alte“ Overheadprojektor hätte bereits vollständig ausgedient, ist weit gefehlt. Auch er will den immersiven virtuellen Hörsaal mit einbezogen werden – eine echte Herausforderung für die IT-Verantwortlichen.
Keine Technik-Schulungen für Lehrende
Gerade wenn man dies bedenkt, so scheint die virtuelle Lehre doch wieder ein wenig wie Zukunftsmusik. Kann man von renommierten Professoren, die aus jahrzehntelanger Forschung schöpfen, verlangen, dass sie sich mit allerhand Technologie auseinandersetzen, bevor sie ihr Wissen weitergeben? Doch das muss man gar nicht, denn moderne Systeme für den Bildungsbereich sind hier bereits einen Schritt weiter. Sie können Sitzungen automatisiert starten und beenden, die zusehenden Studenten zwischen Kameras und geteilten Inhalten hin und her schalten lassen, um alles mitzubekommen, und Vorlesungen zum Wiederholen des Lehrstoffs aufzeichnen. Der Dozent muss nichts dafür tun und kann sich vollkommen auf die Lehrinhalte konzentrieren. Den Rest erledigt die Technik dank Edge Analytics und moderner Software ganz von selbst. Kein „Können Sie mich alle hören?“ Kein „Ich drehe mal die Kamera zur Tafel.“
So sind „Multiview“-Funktionen Kernanforderungen für hochklassige EdTech-Lösungen, genauso wie hervorragende Tonqualität ohne Rauschen und Echo. Dadurch entsteht die Grundlage für ein immersives Erlebnis, in dem Studenten aus der Ferne einen hochauflösenden Live-Blick in den Saal werfen, keine Facette des Lehrstoffs verpassen und sogar mit dem Dozenten ohne Verzögerung interagieren und Fragen stellen können – ganz, als wäre man im selben (virtuellen) Raum.
Schwieriger Blick in die Zukunft
Was die Zukunft bringt, scheint in diesem Jahr ungewiss. Dennoch gibt es Szenarien und Entwicklungen, die schon vor der Pandemie zu erkennen waren und deren Umsetzung ein ganzes Stück näher gerückt ist. Die Bedeutung der physischen Präsenz wird geringer – das kann man heute schon in der Geschäftswelt beobachten. Stattdessen werden Universitäten virtueller und die Lehrinhalte selbst deutlich entscheidender. Studenten können Seminare in selbstgewählter ruhiger Umgebung verfolgen und bei Bedarf aufgenommene Sitzungen nach- oder wiederholen, um in ihrem eigenen Tempo zu lernen.
Und wenn es in der Lehre nicht mehr so sehr auf das „Wo“ ankommt, entsteht eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten und Chancen für den gesamten Hochschulsektor. Das Studium an ausländischen Spitzenuniversitäten wird deutlich einfach und die Universitäten selbst können spezielle Angebote für ausländische Studierende anbieten, für die das klassische – und kostspielige – Auslandssemester keine echte Option darstellen würde. Viele Studiengänge werden darüber hinaus Menschen zugänglich, für die beispielsweise die ewig steigenden Mieten der Studentenhochburgen oder der physische Weg zur Fakultät bislang ein Ausschlusskriterium war – Probleme, die nicht erst seit der Ausbreitung Covid-19 auf eine Lösung drängen. Zudem muss es beim Bau neuer Hörsäle nicht immer ein neuer, teurer Superlativ sein, wenn sich ein großer Teil der Studenten digital zuschalten kann.
Die Pandemie hat uns gezeigt, wie fragil selbst jahrhundertealte Methoden und Prozesse sein können, wenn die Welt zum Stillstand gezwungen wird. Die Angst vor der „zweiten Welle“ ist für die Geschäfts- und Hochschulwelt auch die Angst, nicht vorbereitet zu sein, wenn sie kommt. Und ganz egal, welche Umstände vielleicht in Zukunft dazu führen mögen, dass Studenten nicht in die Universitäten strömen können: Es werden diejenigen einen spürbaren Vorsprung besitzen, die für die unstete Zukunft und die neue Remote-Welt vorgesorgt haben.
Philippe Remion, Education Product Manager Europe bei Sony Professional Solutions Europe (PSE)