Finanzierung: Tresore fest verschlossen. Wenig Eigenkapital und kaum Bereitschaft zu einer transparenten Kommunikation mit Banken ? der Mittelstand tut sich bei Finanzierungsfragen schwer. Neue Wege außerhalb des klassischen Bankkredits stehen zwar offen, werden aber vom Mittelstand noch zu wenig beschritten. Dabei versprechen innovative Finanzinstrumente geringere Kapitalkosten.
Im vergangenen Jahr stellte der Kreditversicherer Euler Hermes die IT-Branche mit dem maroden Baugewerbe auf eine Stufe. Man werde Lieferantenkredite für Unternehmen in diesen Sektoren nicht mehr versichern, hieß es explizit im Jahresbericht. Der Ausstieg aus Deutschlands zweitgrößtem Industriezweig, Konsequenz aus der negativen Schadensbilanz bei Deutschlands größtem Kreditversicherer, blieb nicht ohne Folgen: Nachdem liquiditätsschwache Distributoren und klamme Systemhäuser ihre Eigenmittel weitgehend verbraucht und Banken ihnen weitere Kredite versagt hatten, konnten sie nicht länger auf das Wohlwollen der Hersteller bei der Zwischenfinanzierung bauen. Der Gang zum Amtsgericht war vorprogrammiert. 39.600 Firmeninsolvenzen meldet die Auskunftei Creditreform für 2004 ? soviel wie nie zuvor in Deutschland. Eine Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Euler Hermes rechnet für dieses Jahr mit einem abermaligen Ansteigen der Insolvenzfälle, wenn auch »nur« um moderate 0,8 Prozent. Auf 29 Milliarden Euro schätzt der Kreditversicherer den Forderungsausfall. »Besonders bedrohlich«, warnt die Allianz-Tochter, »zeigt sich der Insolvenztrend in der Langfristbetrachtung«: Derzeit kommen hierzulande 130 Verfahren auf 10.000 Unternehmen, Anfang der 70er Jahre waren es dagegen nur 20. Nicht viel besser sieht es im restlichen Europa aus: Neben Deutschland mit seiner mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur weisen Großbritannien und Frankreich die absolut meisten Insolvenzen in Westeuropa auf.
In vielen Fällen deckten erst Insolvenzverwalter auf, was beim deutschen Mittelstand schief läuft: Managementfehler. Drei von vier Insolvenzen sind auf das Versagen der Geschäftsführung zurückzuführen, stellt Creditreform fest. Unternehmensberater, die oft von engagierten Insolvenzverwaltern mit einer Fortführungslösung betraut werden, bestätigen dies (siehe Interview auf Seite 30). Banken werden entsprechend vorsichtiger. Vor allem die in Vergangenheit eingespielte, enge Zusammenarbeit des Mittelstands mit den Hausbanken beginnt zu bröckeln. Seit die Banken im Zuge der kommenden neuen Eigenkapitalrichtlinien (Basel II) die Bonität ihrer Firmenkunden strenger im Auge haben und sich entsprechend auf Fakten bei der Kreditverhandlungen stützen müssen, verlieren die auf guten persönlichen Kontakt zum Bankberater aufgebauten Beziehungen des Unternehmers mehr und mehr an Überzeugungskraft. »Früher bin ich zu meinem Sparkassenberater gegangen und bin mit einer Zusage über ein höheres Kreditvolumen nach Hause gegangen. Heute muss ich aktuellste BWAs und einen Lagebericht zum Auftragseingang vorlegen, und warte noch zwei Wochen auf eine Entscheidung«, klagt ein Münchner IT-Fachhändler.
Kein Einzelfall, denn laut einer Untersuchung des ITK- Branchenverbandes Bitkom berichten viele Mitglieder, dass die Aufnahme eines Kredits bei ihren Hausbanken schwieriger geworden ist. Besonders hart gehen die Finanziers mit Klein- und Kleinstunternehmen ins Gericht: Während lediglich 29 Prozent der befragten IT-Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro schwierigere Kreditverhandlungen einräumen, klagen fast 70 Prozent der Firmen mit einem Umsatz unter einer Million Euro über eine härtere Gangart bei Banken. Beunruhigendes Fazit: »Mittelständische ITK-Unternehmen stellen offensichtlich aus Bankensicht ein besonders hohes Risiko dar«, so die Schlussfolgerung des Bitkom.
Aber selbst die großen mittelständischen Unternehmen können sich keinesfalls in Sicherheit wiegen. Denn laut Bitkom-Untersuchung sind sie ? mehr als kleinere Firmen ? von überraschenden Kündigungen ihrer Bankverbindung betroffen. Rund 19 Prozent der Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz geben an, dass ihnen Banken die Geschäftsbeziehung aufgekündigt beziehungsweise eine Beendigung in Aussicht gestellt haben.
Kein Wunder allerdings, denn gerade die kleinsten Mittelständler in Deutschland weisen die niedrigste Eigenkapitalquote auf (im Schnitt knapp drei Prozent) und den höchsten Verschuldungsgrad. Laut der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young stecken sie fast mit der Hälfte ihrer Bilanzsumme bei den Banken in der Kreide, während Firmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro einen Verschuldungsgrad von rund 26 Prozent aufweisen und mit 23 Prozent auf die höchste Eigenkapitalquote kommen. Kaum Eigenkapital, drückende Schuldenlast, zudem ein schlechtes konjunkturelles Umfeld und das für die ITK-Branche bescheiden prognostizierte Wachstum lassen die Finanziers mehr als vorsichtig werden bei der Kreditvergabe.
Die tragende Säule der deutschen Wirtschaft, der Mittelstand, hat auf Sand gebaut. Es beginnt sich zu rächen, was Unternehmensberater in der Vergangenheit stets monierten: Die jahrzehntelang enge Kooperation der Kapital suchenden Unternehmen mit dem deutschen Kreditwesen. Aber nicht nur das: Auch steuerliche Präferenzen, wie die regelmäßige Ausschüttung von Unternehmensüberschüssen auf die Privatkonten der Gesellschafter, erweist sich heute als entscheidender Nachteil. Bilanziell als Fremdkapital behandelt, schwächen thessaurierte Gewinne die Eigenkapitalquote. Da viele Gesellschafter im Krisenfall meist geneigt sind, ihre privaten Gewinne wieder in das Unternehmen einzubringen, empfiehlt Wirtschaftsprüfer Peter Englisch von Ernst & Young in Essen, die Gesellschafterverträge gleich so abzuändern, dass sie als bilanzielles Eigenkapital behandelt werden können.
Statt ihr Unternehmen finanziell langfristig zu sichern, kümmern sich aktive Firmeninhaber offensichtlich lieber um das, was ein mittelständisches Unternehmen immer schon ausgezeichnet hat: Produktentwicklung und Kundennähe. Das muss nicht schlecht sein, reicht aber für eine stabile Finanzlage nicht aus. Englisch kennt die Problematik des Mittelstands: »Eine zentrale Achillesferse vieler Unternehmen im deutschen Mittelstand ist die stiefmütterliche Behandlung der Finanzierungsfrage und die Tatsache, dass sich die Firmen mit einer langfristig existenzgefährdend geringen Innenfinanzierungskraft zufrieden geben«.
Schwer tut sich ein Inhaber vor allem dann, wenn er ein Stück weit unternehmerische Freiheiten gegen Beteiligungskapital abgeben muss, sagen viele Unternehmensberater. Die junge IT-Branche sperrt sich im Gegensatz zu Unternehmen in anderen Sektoren aber offensichtlich nicht mehr gegen ein Stück weit Fremdbestimmung. Beteiligungskapital hat laut Bitkom an Bedeutung gewonnen (siehe Grafik Finanzierungsquellen). »Von einer Zurückhaltung kann nicht mehr gesprochen werden«, so die Schlussfolgerung der Bitkom-Experten.
Viele Mittelständler sehen die Unternehmensfinanzierung offensichtlich immer noch traditionell beim Bankberater gut aufgehoben, klagen aber gleichzeitig darüber, dass die Kredite nicht mehr so großzügig fließen wie früher. Dabei tun sie alles, diesen Zustand aufrecht zu erhalten, statt auf die geänderten Anforderungen der Kreditwirtschaft zu reagieren. Und so möglicherweise sogar Geld zu sparen. Spätestens 2007, wenn die internationalen Richtlinien Basel II kommen und Banken generell die Zinskonditionen in Abhängigkeit von der Bonität des Schuldners festlegen, könnte sich eine bilanzielle Vorsorge auszahlen. In jedem Fall wird Basel II zu einer deutlichen Spreizung der Kreditkonditionen führen. Unternehmen mit einem guten Rating haben berechtigte Hoffnungen, dass sie sogar weniger Zinsen als heute zahlen müssen.
Davon sind aber gerade viele Mittelständler, die sich nicht gerne in die Karten, sprich Bilanzen, schauen lassen, noch weit entfernt. »Die Anforderungen der Banken sind noch lange nicht jedem Unternehmen bekannt«, meint Englisch. Dies gilt vor allem bei den Kriterien des Ratings. Hier tappt Bitkom zufolge immer noch jedes dritte IT-Unternehmen im Dunkeln. Den schwarzen Peter möchte der Branchenverband allerdings nicht seinen Mitgliedern zuschieben, sondern reicht ihn an das Großkapital weiter: Banken würde noch immer zu wenige Informationen zu ihren Ratingverfahren veröffentlichen.
Offenheit gegenüber der Kreditwirtschaft, aktuellste Reportings und Lageberichte zum Unternehmen, regelmäßige Gespräche mit Bankberatern ? die geforderte Transparenz verstärkt offensichtlich das Misstrauen beim Mittelstand. Die von Beratern geforderte Bewusstseinsänderung beim Unternehmer lässt auf sich warten, zumal die gegenwärtige Lage auf dem Kreditmarkt entspannter ist als noch vor zwei Jahren. »Im Moment sehen wir eine Trendwende bei der Kreditvergabe. Die restriktive Phase ist zu Ende«, glaubt Wirtschaftsprüfer Englisch auszumachen.
Was allerdings nicht heißen soll, dass Banken wieder wie früher zu einer laxen Kreditvergabe zurückkehren. Da die Institute ihre »faulen« Kredite weitgehend abgeschrieben und ihre Bilanzen bereinigt haben, engagieren sie sich zwar wieder stärker am Markt. »Ihre Kreditvergabepolitik ist aber weiterhin durch Vorsicht gekennzeichnet«, so die jüngste Mitteilung der Unternehmensberatung KPMG.
Auch wenn mittelständische IT-Firmen mittlerweile registrieren, dass bei der Unternehmensfinanzierung neue Wege außerhalb des Bankkredits möglich sind, rangieren kurzfristige Bankkredite nach wie vor ganz oben bei der Frage nach der Bedeutung von Finanzierungsformen. Liquiditätsschonende Investitionen werden gerne über Leasing finanziert, wie Bitkom feststellt. Tendenz steigend. Ebenso Beteiligungskapital, das künftig eine höhere Bedeutung gewinnen wird.
Mezzanine Finanzierungsinstrumente wie sie das Systemhaus Fritz & Macziol oder der Distributor Magirus (siehe Artikel) nutzen, steigen zwar in der Gunst des Mittelstands. Sie sind jedoch als innovative und neue Finanzprodukte noch wenig bekannt. Eine gute Alternative zum klassischen Bankenkredit sind sie jedoch allemal, und zudem eine kostengünstige. Eines jedoch bleibt Unternehmen, die diese Form der Finanzierung nutzen, auch nicht erspart: Ihre Bilanzen offen auf den Tisch zu legen. Aber das müssen sie mittlerweile auch bei ihrer Hausbank.