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Kommentar: IP-Kommunikations-Trends 2008

Geteilte Kommunikationswelten

Sprache und Video wie die Daten über das IP-Netz zu übertragen, das ist zeitgemäß. Genauso zeitgemäß ist es nach den Herstellern, die IP-Infrastruktur, neben der IP-Telefonie, mit anderen konvergenten Anwendungen zu besetzen. Denn auf der Applikationsebene schlummere für die Unternehmen der eigentliche Mehrwert der integrierten Kommunikation.

Autor:Redaktion connect-professional • 7.2.2008 • ca. 2:45 Min

Das Problem mit der multimedialen Autobahn: Sie ist längst nicht so durchgängig, wie viele Hersteller und in ihrem Sog Dienstleister es Glauben machen wollen. Und sie wird es auch auf absehbare Zeit nicht sein.

So prophezeit das Marktinstitut Gartner, dass im Jahr 2010 erst 40 Prozent der Unternehmen ihre Migration ins konvergente Netz abgeschlossen haben werden. IDC und EIU geben sich progressiver. Sie gehen davon aus, dass 2010 nur noch fünf Prozent der Unternehmen auf zweigeteilte Netze – eines für Sprache, das andere für Daten – setzen werden.

Die erste Prognose scheint die realistischere zu sein. Die zweite passt eher in die Kategorie »Marktstimmungsmache«. So wenn IDC lauthals verkündet, 44 Prozent der Firmen hätten schon heute die Netzmigration komplett oder, jetzt kommt es, teilweise vollzogen.

Bei aller marktfördernden Euphorie: Wie sollte eine durchgängige IP-Infrastruktur so schnell zustande kommen? Klassische Telefonanlagen stellen weiterhin das Gros in den Unternehmen.

Mit dem Übergang zum Mobilfunk endet jäh die Konvergenz. Das ist auch mit dem UMTS nicht anders. Es versteht zwar IP. Damit endet aber schon die Gemeinsamkeit mit einer echten, SIP-basierenden Kommunikation. Auf eine schnelle Ablösung der klassischen Mobilfunktelefonie sollten die Unternehmen nicht zählen.

So lange mit ihr das Fünf- bis Siebenfache im Vergleich zur ISDN-Telefonie verdient werden kann, werden die Großen dieser Szene öffentliche Hotspots soweit wie möglich ausbremsen. Eine reinrassige IP-Telefonie ist ihnen ohnehin ein Gebührendorn im Auge.

Die Folgen für die Unternehmen, die mobil im harten Alltagsgeschäft auf das gleiche Kommunikationsniveau bauen wollen wie im Festnetz, sind akut und werden bis auf weiteres akut bleiben. Sie müssen mobil von einer deutlich geringeren Verfügbarkeit und Performance ausgehen.

Und auf dem Betriebsgelände, auf dem Wireless-LANs als verlängerter Arm zum Ethernet durchgängig greifen sollten? Hier werden allen Ernstes vielerorts immer noch Dect-Anlagen installiert und betrieben. Dieser Dualismus getrennter Kommunikationsinfra-strukturen hat es in sich.

Die Modellrechnungen der Hersteller, die im eigenen Verkaufsinteresse von einer durchgängigen IP-Infrastruktur ausgehen, finden in der Praxis ihr jähes Ende. Investitionen, Aufwendungen, Personalkosten und Schulungen fallen mehrfach an. Oder im Jargon der IDC gesprochen: eine »teilweise« Migration hilft kaufmännisch kalkulierenden Firmen nicht weiter. Sie müssen bis zur Endbereinigung solche komplexe Konstellationen stemmen, einschließlich der dazugehörigen Administrations- und Managementwerkzeuge.

Auf dieser durchgängigen IP-Schiene, die meist nur im Marketing existiert, sollen nun die Unternehmen zu konvergenten Applikationen wie Unified-Communications, Video-Conferencing und Online-Collaboration aufbrechen. Besonders viel versprechen sich die Unternehmen vom mobilen, multimedialen Einsatz. Er soll ihnen eine höhere Mitarbeiterproduktivität, Einsparungen sowie einen besseren Kunden- und Partnerservice bringen.

Problematisch ist nur, dass gerade zur mobilen Seite hin die Kommunikation am meisten klemmt. Da sind, neben der geringeren Verbindungsverfügbarkeit, Bandbreiten, die um Dimensionen niedriger als in den Firmen-LANs ausfallen. Hier rüsten zahlreiche Firmen ihre PCs bereits mit Gigabit-Ethernet-Anschlüssen auf, um für den Echtzeit-Video-Ansturm gefeit zu sein.

Derweil UMTS im Idealfall mit 2 MBit/s, einem Fünfhundertstel dieser Bandbreite, winkt. Was aber, wenn sich mobile Mitarbeiter in Videokonferenzen einschalten, vielleicht online zusammenarbeiten wollen? Dann wird, so lange dieser Zustand sich nicht ändert, nicht nur die Synchronisation von Sprache und Video, sondern auch die digitale Zusammenarbeit darunter kräftig leiden.

Da ist dann noch die LAN-zu-LAN-Kommunikation, in der die meisten Unternehmen bekanntlich beide Telefoniewelten installiert haben. Hier haben die Entscheider, die kostenbewusst handeln wollen, bis auf weiteres nur zwei Alternativen. Entweder sie treiben Unified-Communications, Video-Conferencing und Online-Collaboration dort, wo bereits zur IP-Telefonie migriert wurde, voran. Das setzt allerdings eine hinreichende Penetration voraus, um für das Unternehmen profitabel zu sein.

Oder sie verzichten vorerst auf solche konvergenten Anwendungen mit hohen Verbindungs- und Bandbreitenansprüchen. Die dritte Alternative, Unified-Communications & Co. im komplexen gemischten Umfeld zu etablieren, ist jedenfalls keine Alternative. Davon sollten sie im eigenen Kosteninteresse besser die Finger lassen. Und was ist mit der durchgängigen Konvergenz? Vielleicht haben wir sie ja – ab dem Jahr 2014.

Hadi Stiel
ist freier Journalist in Bad Camberg.