Er verspricht Gesprächsbereitschaft, was man angesichts der Skandale bei Lidl verstehen kann. Doch Öffentlichkeitsarbeit passt nicht zu verschwiegenen Handelskonzernen. Das weiß der Lidl-Chef natürlich genau. Weil Klaus Gehrig künftig viel reden wird, ohne etwas zu sagen, ist er unser Kopf der Woche.
Öffentlich reden war noch nie die Stärke vieler deutscher Handelsriesen. Lidl-Chef Klaus Gehrig bricht mit diesem Dogma. Der Süddeutschen Zeitung kündigte der Manager das Ende der Geheimniskrämerei an. Man wolle sich vornehmen, künftig mehr zu kommunizieren, »ich selbst will als Aufsichtsratschef mit gutem Beispiel vorangehen«, sagt Gehrig. Einen besseren Beweiß für die Redlichkeit seiner Absicht kann es gar nicht geben, als der auflagenstärksten Tageszeitung in Deutschland ein Interview zu geben, in dem er, Gehrig, seine Mitarbeiter bittet, künftig über den Einsatz von Überwachungskameras selbst zu entscheiden.
Danach wird Gehrig der Financial Times von der neuen Freiheit erzählen, dass Lidl die flächendeckende Einrichtung von Betriebsräten begrüßen und unterstützen wird, die Lebensmittelzeitung titelt »Lidl-Chef verzichtet auf Marge zugunsten Kaffeebauern aus Nicaragua« und Computer Reseller News wird von der neuen Höflichkeit bei Lidl schreiben, dass nämlich IT-Verkäufer nun auch ein kleines kühles Getränk erhalten, während sie in der Neckarsulmer Firmenzentrale eine Stunde auf den Termin mit dem IT-Chefeinkäufer warten.
Wären nur noch die Vorraussetzung für solche schönen Meldungen zu klären: Es bedarf vieler, sehr vieler weiterer Skandale bei Lidl, damit Gehrig uns in regelmäßigen Abständen Bericht erstattet. Das wird nicht passieren. Der 60-jährige Gehrig hasst öffentliche Auftritte, die Presse nimmt er als lästiges Übel nur dann in Kauf, wenn Skandale das Lidl-Image soweit schädigen, dass sie sich negativ auf den Umsatz auswirken könnten. Das kurze Gedächtnis des Verbrauchers kommt Gehrig zugute.
So geschehen, als 2006 die Gewerkschaft Ver.di gegen Lidl Front machte. Selten genug, dass Gehrig sich in der Defensive sieht, aber damals blieb ihm nicht anders übrig, als einen Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu ernennen. Gehrig kochte vor Wut, weil er sich gezwungen sah, gegen seine Überzeugungen handeln zu müssen und nach 33 Jahren wieder einen PR-Mann bei Lidl einzustellen. Es dauerte rund ein Jahr, da musste Thomas Oberle erkennen, dass er sich vor den Karren der vermeintlich neuen Offenheit bei Lidl hatte einspannen lassen. Klaus Gehrig mal wieder in der Rolle eines medienkompatiblen Managers? Man braucht viel Fantasie, um im Lidl-Chef einen großen Kommunikator der verschwiegenen Handelsszene zu sehen.