IBM

Präsident und roter Netzwerker

8. Mai 2008, 0:00 Uhr | Martin Fryba

Vom IBM-Chef zum VfB-Manager – Erwin Staudt im Portrait

Erwin Staudt zählte über Jahre zu den herausragenden Köpfen der deutschen IT-Branche. Nach seinem überraschenden Abgang als IBM-Chef wechselte der Schwabe – für viele ebenso überraschend – ins Sport-Business. Als Fußballmanager beim VfB Stuttgart hat er bislang eine fast ebenso beeindruckende Karriere hingelegt. Beim Umsatz führt der hauptamtliche Präsident Staudt den Klub inzwischen in völlig neue Dimensionen.

Eigentlich will Erwin Staudt sich gar nicht zu Wort melden. Vielmehr hat Vorstandsreferent Alexander Wehrle die Aufgabe übernommen, dem Fachpublikum die Innovation auf der Website des VfB Stuttgart vorzustellen. Bei der Neuheit, dem Knowledge Miner, handelt es sich um eine intelligente Search-Technologie, die Besuchern der Site dabei helfen soll, für sie relevante Informationen zielgenauer und damit schneller zu finden. Doch die Ausführungen des Stabsmitarbeiters zum Geschäftsnutzen, den die neue Software dem Fußballklub bringt, überzeugen nicht wirklich.

Also greift der Präsident ein und nimmt die Fäden selbst in die Hand. »Wir ersparen uns damit immense Alternativ-Ausgaben«, setzt Staudt zu einer wortreichen Apologie der Investition an. Bei einer Million Visits pro Monat müsse der VfB seine Fans schlicht in die Lage versetzen, sich im Self-Service zu informieren. Andernfalls kämen auf den Verein so viele Anfragen zu, dass »wir ein Call- Center mit 80 Mitarbeitern bräuchten«. Im Übrigen stehe nicht allein der VfB vor dieser Herausforderung, sondern »alle Unternehmen, die mit ihren Angeboten ein Massenpublikum adressieren«. Noch Zweifel?

Mit dem druckreifen Zwischenruf lässt der Topmanager zwei Eigenschaften aufblitzen, die er selbst für wesentliche Erfolgsfaktoren seiner Karriere hält: Kommunikationsfähigkeit und Enthusiasmus. Ob diese Tugenden entscheidend waren oder nicht, die Eckdaten von Staudts Laufbahn lesen sich beeindruckend: dreißig Jahre bei IBM, mehr als zwei Drittel dieser Zeit als Führungskraft in Marketing und Vertrieb, zuletzt Vorsitzender der Geschäftsführung. Daneben profilierte sich der Schwabe auf dem politischen Parkett: So überzeugte er den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder von der Greencard, die ausländische IT-Experten ins Land locken sollte. Ferner setzte sich der IBM-Chef als Frontmann der Initiative D21 für Internet in allen Schulen ein.

Umso überraschender, dass Staudt im Januar 2003 von seinem Posten als IBM-Chef abberufen wurde. Doch US-Konzerne messen Manager nicht an der Außenwirkung, sondern an der Bilanz. Und nach Platzen der Dot-Com-Blase blieb auch das Geschäft bei IBM Deutschland hinter den Erwartungen zurück. Die Absetzung vom Chefposten mag für Staudt bitter gewesen sein, überstanden hat er sie ohne jeden Karriereknick. Schon im Juni desselben Jahres wählten ihn die Mitglieder des VfB Stuttgart ins Amt des Vereinspräsidenten, das er seit September 2003 hauptamtlich ausübt.

Seither hat Staudt in dem Verein vieles bewegt: Der neue Chef ließ das VfB-Clubzentrum und die Platzanlagen modernisieren, leitete den Bau des Carl Benz Centers ein, eines Komplexes mit VfBJugendakademie, Hotel und Wellness- Zone. Außerdem steigerte der Klub seine Mitgliederzahl von 7.500 im Jahr 2003 auf 44.000. Beim Umsatz stößt der VfB in neue Dimensionen vor und wird, wie Staudt schon zu Beginn der Saison 2007/08 ankündigte, erstmals die Marke von 100 Millionen Euro übertreffen. »Unsere Zahlen sind sensationell«, schwärmt der 60-Jährige, dessen Vertrag inzwischen verlängert wurde. Pünktlich zum Ende seiner ersten Amtszeit wurde der VfB vor einem Jahr Deutscher Meister. Nächster Coup ist der Umbau des Daimlerstadions in eine reine Fußballarena, die Mercedes-Benz-Arena. Die Namensrechte, für 30 Jahre erworben, sind dem Automobilkonzern nach Expertenschätzungen zwischen 120 Millionen und 150 Millionen Euro wert. Erwin Staudt, Daimler-Boss Dieter Zetsche und Stuttgarts Stadtoberhaupt Wolfgang Schuster stellten die Pläne im März gemeinsam vor.

Von Anfang an setzte Staudt im Management konsequent auf IT. Wie wohl kein anderer deutscher Fußballverein nutzt der VfB die Möglichkeiten, die Software zur Betriebsführung, zur Kundenbindung und zur Verfeinerung des Multimedia-Angebots bietet. So misst der Klub die Geschäftsentwicklung mit einer Balanced Scorecard und führte als erster Bundesligist überhaupt ein CRMSystem ein. Selbst im Sportbetrieb überlässt der VfB nichts dem Zufall, sondern arbeitet mit einem Software-Tool namens Sportsplanner. »Selbstverständlich schießt die IT bei uns Tore«, kann sich Staudt wie in besten IBM-Zeiten für Technologie begeistern.

Bei näherem Hinsehen erscheint sein Wechsel von der High-Tech-Industrie in den Sport gar nicht mal überraschend. In seiner Jugend spielte er selbst als Linksaußen beim TSV im Leonberger Ortsteil Eltingen, später engagierte er sich ehrenamtlich im Amateurfußball. Entscheidend aber ist, dass sich Profi-Vereine längst zu Entertainment-Unternehmen entwickelt haben. Als solche sind sie zugleich Werbeträger, die mit millionenschweren Rechten handeln und daher professionell geführt werden müssen. Dass Staudt, der bei IBM zwischenzeitlich die Funktion des Kommunikationschefs ausübte, das ABC des Marketings beherrscht, qualifizierte ihn vollends für den Job.

Alte Zöpfe abgeschnitten

Umgekehrt enthüllte sein Wechsel gerade die Defizite schlecht geführter, überschuldeter Vereine, deren Geschicke häufig verdiente Ex-Spieler ohne kaufmännische Erfahrung lenken. So gut wie alles, was er von seinen Vorgängern vorfand, habe Staudt umgekrempelt, urteilt Hartmut Zastrow, Chef des Kölner Marktforschungsinstituts Sport+Markt: »Er hat den Verein komplett neu aufgestellt und erstmals professionelle Strukturen eingezogen.« Bei aller Dynamik, mit der er Veränderungen auf den Weg bringt, pflegt Staudt aber keinen selbstherrlichen Führungsstil. Vielmehr bezeichnet er sich selbst als Teamspieler. Diese Selbsteinschätzung bestätigen ehemalige IBM-Kollegen. Als Führungskraft verstehe er sich darauf, Mitarbeiter einzubinden und für seinen Kurs zu gewinnen, berichtet der frühere IBM-Manager Richard Seibt. »Ich habe ihn als sehr agil und motivierend erlebt. « Außerdem besitze er den Mut, alte Zöpfe abzuschneiden.

Mittlerweile schätzt der VfB-Präsident diesen Posten sogar höher ein als den des IBM-Chefs. Ohnehin war die Laufbahn in der ITBranche nicht zwingend vorgezeichnet. Nach dem Wirtschaftsstudium bewarb sich der gebürtige Leonberger in Stuttgart bei IBM und Daimler. Der IT-Konzern lud den Absolventen als Erster zu einem Gespräch ein, und der nahm den Job an. »Dass sie damals beim Daimler nicht schneller waren, bereuen die noch heute«, feixt Staudt. Freilich, er kennt den eigenen Wert, mitunter sogar auf Heller und Pfennig. Als der VfB-Chef einmal mit Gymnasiasten über die Voraussetzungen einer Managerkarriere sprach, bezeichnete er seine Worte als Ratschläge, für die man »in einem Wochenendseminar locker 2.000 Euro hinlegen muss«. Über Geschäftssinn verfügte schon der Jugendliche, der eines seiner Hobbys als Einnahmequelle zu nutzen wusste: »Ich spiele Trompete, und das meiste Geld gab es bei Beerdigungen.«

Bei allem unternehmerischen Instinkt, die Karriere als Topmanager in der Industrie wurde dem Sohn eines Schneiders nicht an der Wiege gesungen. Sein frühes Engagement wies sogar in eine andere Richtung. Eine politische Heimat fand der Jugendliche nämlich bei den Jusos. »Die anderen erschienen mir damals zu seicht.« Bereits mit 22 Jahren zog der Nachwuchspolitiker für die SPD in den Böblinger Kreistag ein. Die Neigung zu den Sozialdemokraten erklärt Staudt selbst mit der Herkunft aus kleinen Verhältnissen. Auch wenn ihn Wikipedia als »überzeugten Wirtschaftsliberalen « etikettiert, das Parteibuch besitzt er immer noch. »Wenn Sie einmal dabei waren, kommen Sie davon nicht mehr los.«

Beständigkeit zählt zweifellos zu den Wesenszügen Staudts, der bei aller Weltläufigkeit einen bodenständigen Stil kultiviert. So ist er übrigens auch der Trompete treu geblieben. Im Repertoire wichen die pietistischen Trauerchoräle später urbaneren Klängen wie »My Funny Valentine« oder »Hello Dolly«. Auch als VfB-Präsident greift er gelegentlich zum Instrument, trat damit schon in der SWR-Sendung »Sport im Dritten« auf. Unlängst musste erneut der Trompeter auf die Bühne, als Staudts offizielle Biografie »Der rote Netzwerker« im Stuttgarter Theaterhaus vorgestellt wurde. »Da blamiere ich mich dann wieder «, unkte er zuvor, nicht ganz frei von Koketterie. Wie bei allem was der Manager tut, legt er auch als Musiker höchste Maßstäbe bei sich selbst an. Doch einer wie er überlässt nichts dem Zufall: Die Zeit zum Proben mit der alten Swing-Combo nimmt er sich, egal wie voll der Terminkalender ist. Und natürlich hat sich der VfBChef nicht blamiert!

Der Mensch

Erwin Staudt wird am 25. Februar 1948 in Leonberg geboren. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften beginnt er 1973 bei IBM, wo er seit 1982 verschiedene Führungspositionen übernimmt. 1998 steigt der Manager zum Vorsitzenden der IBM-Geschäftsführung auf, bis er im Januar 2003 von dem Posten abberufen wird. Im Juni 2003 wählen ihn die Mitglieder des VfB Stuttgart zum Vereinspräsidenten. Seit September 2003 übt er die Funktion hauptamtlich aus. Staudt wird im Juli 2007 für weitere vier Jahre im Amt bestätigt.

Das Unternehmen

Der Verein für Bewegungsspiele (VfB) Stuttgart wird 1893 gegründet. Fünf Mal erringt die Fußballsparte die Deutsche Meisterschaft, zuletzt 2007. Als Wirtschaftsunternehmen treten Tochtergesellschaften wie die VfB Stuttgart Marketing GmbH und die VfB-Shop Vertriebs- und Werbe-GmbH auf. In der laufenden Saison 2007/08 rechnet der Verein erstmals mit einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro.


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