Redesign als Ausweg
Eine vollständige Neuentwicklung des Anwendungssystems schied frühzeitig aus. Erste Teilprojekte in diese Richtung wurden rasch wieder abgebrochen, da sich der Aufwand vorab nur schwer einschätzen ließ. Auch eine passende Standard-Software gab der Markt nicht her: nicht einmal 60 Prozent des geforderten Funktionsumfangs konnten die verfügbaren Bankenlösungen bieten. »Das war zu wenig für die Anforderungen einer Bankbehörde mit ihren speziellen Schnittstellen zum Bundeshaushalt«, begründet Dress. Als einzig sinnvolle Alternative blieb daher die Modernisierung der bestehenden Anwendungslandschaft, die nach dem Prinzip einer serviceorientierten Architektur (SOA) erfolgen sollte.
Ein grundlegendes Ziel war eine Gliederung des Software-Bestands in drei Schichten: Präsentation, Verarbeitungslogik und Datenzugriff. Weitere Ziele waren die Verkürzung der Prozessdurchlaufzeiten, eine bessere Wartbarkeit und Transparenz des Systems sowie komfortable Benutzeroberflächen auf Basis von Internet-Technologien. Nicht zuletzt gehörte zur Zielsetzung des Teams der Software AG, das die notwendigen Technologien und Beratungsleistungen lieferte, möglichst viel von dem vorhandenen Programmcode zu erhalten und als wieder verwendbare Komponenten weiter zu nutzen. Hierfür sollten Programmfunktionen in Services gekapselt werden, um damit die Grundlage für eine serviceorientierte Architektur zu schaffen.
Um im Zuge des Redesign-Prozesses schnell von ersten Teilergebnissen profitieren zu können, entschied sich das Projektteam, statt einer Big-Bang-Ablösung schrittweise vorzugehen ? in enger Abstimmung mit dem Bundesfinanzministerium. So wurde Navis zunächst auf eine neuere Großrechnerplattform mit dem Betriebssystem z/OS von IBM migriert, danach folgte die Modernisierung der Bereiche Schuldenstammdaten und Querschnittsfunktionen, also zum Beispiel Rechte-, Menü- und Tabellenverwaltung. Die beiden weiteren Aufgabengebiete Forderungs- und Gläubigerverwaltung sind zum Teil bereits redesignt oder in Vorbereitung.
Als Middleware nutzt die BWpV das Produkt Entire X, dessen Funktionalität in die Suite Crossvision der Software AG eingeflossen ist, die für die Realisierung serviceorientierter Architekturen gedacht ist. Entire X bietet die Möglichkeit des bidirektionalen Wrappings von Programmfunktionen, so dass Komponenten aus traditionellen Programmierumgebungen als Services zum Beispiel in .Net- oder Java-Umgebungen genutzt werden können und umgekehrt. Da die Schnittstellen bidirektionale Datenübertragung unterstützen, ist es möglich, Daten auch wieder in das Bestandssystem zurückzuschreiben ? ein kritischer Punkt, an dem viele Integrationsprojekte scheitern.
Dass Navis im Zuge der Neustrukturierung über offene, XML-basierte Standards Services von externen Systemen nutzen beziehungsweise selbst anbieten kann, unterstreicht für Dress die Bedeutung des Projekts: »Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt, der die Entwicklung in der Finanzindustrie generell prägen wird.« Für seine Behörde habe diese Service-Orientierung enorme Bedeutung für künftige Entwicklungen bei der Kooperation mit der Bundesbank, aber auch im Hinblick auf Berichtspflichten an das Parlament. Die organisatorische Verschmelzung von BWpV und Finanzagentur werde dadurch ebenfalls erleichtert.