Bundesnetzagentur soll VDSL-Wettbewerb sichern

Arcor warnt vor "Regulierungsferien"

4. Oktober 2006, 0:05 Uhr | Stefan Mutschler

Eigentlich könnte Arcor jubeln: Mit dem Geschäftsjahr 2005/2006 erreichte das TK-Unternehmen früher als erwartet die Gewinnzone. Bei einem Umsatz von 1,9 Milliarden Euro, der Arcors Position als Branchenzweiter hinter der Telekom festigt, blieb ein Überschuss von 54 Millionen Euro. Dennoch blickt Dr. Stephan Albers nicht ohne Sorge in die Zukunft. Im Rennen um VDSL, der nächsten Stufe der DSL-Breitbandkommunikation und Basis für "Triple Play", fürchtet der Leiter der Arcor-Unternehmenskommunikation schwere Wettbewerbsnachteile.

Die Zeitbombe tickt schon eine ganze Weile im Telekommunikationsgesetz (TKG) – beim Thema VDSL
könnte sie nun möglicherweise explodieren. Stein des Anstoßes ist der Paragraph 9a, den die
Deutsche Telekom erfolgreich auch in die im Mai dieses Jahres vom Bundeskabinett verabschiedete
Neufassung des TKG gerettet hat. Im Juli passierte das neue TKG und damit "9a" auch den Bundesrat.
Das Gesetz gesteht der Deutschen Telekom "Regulierungsferien" für neue Märkte zu, sofern dadurch
der Wettbewerb langfristig nicht behindert wird. Unter Berufung auf diesen umstrittenen Paragraphen
hat sich die Telekom nun bereits mehrfach mit Ankündigungen in Szene gesetzt, wonach sie mit einem
Investitionsvolumen von 3,2 Milliarden Euro ihr DSL-Netz fit für das neue, besonders schnelle VDSL
machen will. Umsetzen will sie die Pläne jedoch nur dann, wenn der Regulierer sich über einen
längeren (nicht näher definierten) Zeitraum heraushält und der Telekom erlaubt, dieses Netz
exklusiv zu nutzen.

Genau das aber wäre nach Auffassung der alternativen Carrier der Super-GAU. "Können die
Telekom-Mitbewerber auch nur kurzfristig in dieser Form attackiert und vom Zukunftsmarkt Breitband
ausgeschlossen werden, dann dürften sie sich langfristig kaum wieder erholen", erklärt Albers das
Dilemma. Trotz im Moment sehr gut florierender DSL-Geschäfte – pro Monat sollen derzeit etwa
100.000 neue Kunden allein bei Arcor hinzukommen – sieht sich Albers ohne Zugriff auf das VDSL-Netz
der Telekom fatal ausgebremst. "Bei DSL als Technologie für den Internet-Zugang und VoIP-Telefonie
werden wir schon bald eine Sättigung erreichen", so Albers. Bereits mittelfristig sollen sich die
Wachstumsraten hier deutlich verringern. Eine auf längere Sicht angelegte Wachstumsstrategie könne
laut Albers nur darauf zielen, über Inhalte (Content) neue Absatzmärkte zu erschließen. Basis dafür
sei aber eine hohe Bandbreite, wie sie nur VDSL in der Fläche bieten kann.

Glasfaser bis zu den Kabelverzweigern

Die Betonung liegt dabei auf "in der Fläche", denn punktuell könnten die alternativen Carrier
ihren Kunden auch kraft Implementation von VDSL-Technik in den Hauptverteilern die hohen Datenraten
anbieten. Da die Reichweite von VDSL über Kupferkabel bei 50 MBit/s auf wenige hundert Meter
begrenzt ist, wäre so nur ein Teil der Bevölkerung adressierbar. Ein kürzlich veröffentlichtes
Gutachten im Auftrag des Bundesverbands Breitbandkommunikation (Breko) kam zu dem Ergebnis, dass
sich DSL-Bandbreiten von mehr als 16 MBit/s nur bei 50 bis maximal 70 Prozent aller derzeitigen
DSL-Nutzer realisieren ließen. Der Großteil der von der Telekom geplanten Investitionen zielt
darauf, die Kupferstrecken auf das benötigte Maß zu verkürzen.

Um dies zu erreichen, müssen die Glasfaseranbindungen von den Hauptverteilern bis zu den
Kabelverzweigern (den berühmten "grauen Kästen" in den Straßen) verlängert werden. In den
Kabelverzweigern selbst muss dafür neben der bisherigen Passivtechnik auch Aktivtechnik installiert
werden, was wiederum eine Stromversorgung sowie verbesserte Isolierung erfordert. In ganz
Deutschland gibt es etwa 8000 Hauptverteiler – allein in den 80 größten deutschen Städten stehen
aber rund 74.000 Kabelverzweiger, in Deutschland sind es insgesamt rund 300.000. Zehn Städte hat
die Telekom bereits für VDSL ausgebaut, weitere 40 sollen mit besagter Investitionssumme
folgen.

Es ist aber nicht nur die Deutsche Telekom, die Geld in den Auf- und Ausbau von
Breitbandinfrastruktur steckt. Auch ihre Konkurrenten "verbuddeln" ein hübsches Sümmchen, nach
Angaben des Branchenverbandes VATM waren es in den vergangenen sechs Jahren mehr als zehn
Milliarden Euro. Bis 2010 sind laut VATM weitere Investitionen in einer Größenordnung von fast acht
Milliarden Euro geplant. Allerdings: "Kein Konkurrent ist wirtschaftlich in der Lage, nach der
Telekom ein zweites Mal Straßen aufzureißen und ein eigenes Anschlussnetz zu verlegen", so Albers. "
Das wäre außerdem städtebaulich und volkswirtschaftlich vollkommen unsinnig."

Gefahrenquelle Regulierungsferien

"Regulierungsferien" würden in Deutschland laut Albers einen Zwei-Klassen-Wettbewerb etablieren:
Auf der einen Seite die Telekom als neuem "High-Speed"-Monopolisten in den Metropolen, auf der
anderen die restlichen Anbieter, die ihren Kunden keinen VDSL-Zugang anbieten können. Albers bietet
an, sein Unternehmen beim Aufbau der VDSL-Infrastruktur angemessen in die Pflicht nehmen zu
lassen.

So wären Arcor und einige weitere Infrastrukturwettbewerber bereit, ein VDSL-gerechtes
Transportnetz aufzubauen und die Infrastruktur-Investitionen dafür deutlich zu erhöhen. "
Voraussetzung ist, dass uns die Telekom ihre zu Monopolzeiten verlegten Glasfasern entbündelt zur
Verfügung stellt oder einen Zugriff auf Leerrohre gewährt, durch die wir dann eigene Glasfasern
verlegen könnten", so Albers.

Schützenhilfe aus Europa: EU-Kommission warnt

Auf nationaler Ebene hat nun die Bundesnetzagentur (BNetzA) die Aufgabe, im Konflikt der
Konkurrenten für faire Wettbewerbsverhältnisse zu sorgen. Ihr Chef Matthias Kurth hat bereits klar
gemacht, dass er der Interpretation des Paragraphen 9a in Sinne der Telekom nicht folgen kann und
will. Er sieht den entbündelten "Bitstromzugang" unabhängig von der eingesetzten Technik und damit
auch für VDSL als gültig an. Entsprechende Anträge hat die BNetzA zur EU-Kommission nach Brüssel
geschickt. EU-Medienkommissarin Viviane Reding hatte die deutsche Regierung schon eindringlich
gewarnt, dass solche Extrawürste wie Regulierungspausen massiv gegen geltendes EU-Recht verstoßen
würden und entsprechende Klagen angedroht. Die Zustimmung zu Kurths Entwürfen gilt daher als
Formsache. Experten erwarten allerdings, dass in diesem Fall die Telekom vor Gericht ziehen wird,
wenngleich dies keine aufschiebende Wirkung haben würde.

IP- oder ATM-Bitstrom?

Ein Punkt, bei dem der Regulierer nach Auffassung der Telekom-Mitbewerber zwar auf dem richtigen
Weg ist, in der konkreten Ausgestaltung aber noch nachbessern sollte, betrifft die Art des
Bitstrom-Zugangs generell. Die BNetzA hat sich hier mit ihren Entwürfen exakt an das gehalten, was
die Telekom anzubieten bereit war – und das ist der Zugang auf IP-Ebene.

"Wir begrüßen es sehr, dass der Regulierer bei dem für den Breitbandmassenmarkt wichtigen
IP-Bitstrom-Zugang endlich tätig wird, umso mehr brauchen wir jetzt eine starke Regulierung auch
beim ATM-Bitstrom-Zugang", so beispielsweise Dr. Bernd Huber, Mitglied der Geschäftsführung bei der
Colt Telecom. "Nur mit klaren Vorgaben der Bundesnetzagentur auch in diesem Bereich wird den
DSL-Wettbewerbern die Möglichkeit gegeben, eigene, innovative Breitbandangebote wie qualitativ
hochwertige IP-Telefonie oder Videokonferenzen für Geschäftskunden bundesweit zur Verfügung zu
stellen."

Die aktuelle Regulierungsverfügung verpflichtet die Deutsche Telekom dazu, den
IP-Bitstrom-Zugang diskriminierungsfrei anzubieten und die Entgelte vorab behördlich genehmigen zu
lassen. Der Verfügungsentwurf zum ATM-Bitstrom-Zugang enthält diese Verpflichtungen nicht. Auch
fehlten Vorgaben im Hinblick auf den Einsatz des ATM-Bitstroms im Geschäftskundenbereich. Eine
stärkere Produktdifferenzierung sei so nicht möglich.

Vor allem aber fehlten verbindliche Qualitätsparameter, die es dem Anbieter erlauben, die im
Geschäftskundenumfeld üblichen definierten Bandbreiten und Verfügbarkeits-Levels sowie die mit ATM
mögliche Priorisierung von Echtzeitanwendungen zu gewährleisten.

Die generelle Öffnung des DSL-Netzes der Telekom für den Mitbewerb ist inzwischen von der EU
beschlossen. Damit werden Anwender künftig einen DSL-Anschluss mieten können, ohne wie bisher einen
Telefonanschluss (meist nur in Verbindung mit einem teuren ISDN-Anschluß, nur die T-Com erlaubt DSL
auch in Verbindung mit einem günstigeren Analoganschluss) mitmieten zu müssen.

Angemessene Preise gefordert

Beim Echo auf die EU-Verfügung scheiden sich die Geister bei den neuen TK-Anbietern.
Insbesondere solche mit eigener Netzinfrastruktur wie Arcor oder Versatel sehen ihre Investitionen
gefährdet, wenn der Preis für Bitstrom nicht im richtigen Verhältnis zu den Entgelten für die
Telekom-Anschlussleitung steht. Wird der Bitstrom zu billig angeboten, profitieren natürlich die
reinen TK-Wiederverkäufer wie 1&1, AOL und Freenet, denn sie haben kein Netz am Bein, das es
aufzubauen und zu warten gilt. Jedem wird es die BNetzA sicher nicht Recht machen können, aber das
Finden "gesunder" Kompromisse ist eben die Aufgabe der Agentur. Auf Regulieren verzichten, wie von
der Telekom gefordert, sollte nicht in Frage kommen – darin sind sich alle Telekom-Mitbewerber mit
der BNetzA und der EU-Kommission einig. Albers: "Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn genau
dort, wo die Liberalisierung eine Erfolgsstory zu werden scheint, die Rückkehr in vergangene
Monopolzeiten eingeleitet wird."

Möglicherweise hat aber die Telekom längst verstanden und sich darauf eingestellt, dass sie das
Rad der Zeit nicht aufhalten kann. Die jüngst angekündigten Offensiven zur kämpferischen
Neugestaltung der Preise für DSL-Angebote sowie die Bündelung von Telefonie, Internet und Mobilfunk
– Triple-Play einmal auf andere Art – deuten darauf hin. Gleiches gilt für die Ankündigung, noch in
diesem Jahr mit einem VDSL-Angebot für Geschäftskunden auf den Markt zu kommen.


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Lampertz GmbH & Co. KG

Matchmaker+