Sprachdienste im NGN eines Carriers

Das Beste aus zwei Welten

25. Januar 2009, 23:00 Uhr | Marc Kahabka/pf Marc Kahabka ist Leiter des Fachbereichs Consulting bei Keymile.

Telekommunikationsanbieter stehen vor großen Herausforderungen: Sie müssen ihre Betriebskosten reduzieren und gleichzeitig ihre Kundenbasis mindestens stabil halten und im besten Fall erweitern. Dies erreichen sie durch die Einführung eines Next Generation Networks (NGNs), das alle Services über IP transportiert. Für den Bereich der Sprachdienste bedeutet dies eine Migration zu flexiblen, skalierbaren und kostengünstigen VoIP-Diensten.

Bewährtes bewahren und Neues gestalten – nach diesem Motto verfahren zahlreiche
Telekommunikationsanbieter. So nutzen in der Sprachvermittlungsstelle viele Carrier noch
64-KBit/s-TDM-Technik (siehe Kasten "Glossar" auf Seite 41). Aufgrund der hohen Investitionskosten
und der langen Abschreibungsintervalle bleibt diese Technik aller Voraussicht nach noch einige
Jahre weiter in Betrieb. Gründe dafür, dass die Netzbetreiber ihr TDM-Sprachnetz noch nicht
vollständig auf VoIP-Technik portiert haben, gibt es einige. Beispielsweise verwenden viele Kunden
zum Telefonieren immer noch analoge Telefonanschlüsse oder ISDN. Wer seine Kundenbasis behalten
will, muss daher auch traditionelle Techniken unterstützen. Aus Sicht des Betreibers jedoch
verursachen die TDM-Dienste Betriebskosten in erheblicher Höhe. Diese zu reduzieren ist das
Anliegen der Telekommunikationsanbieter.

Um den Betreibern einen reibungslosen Einstieg in moderne NGN-Technik zu ermöglichen, nutzen
fortschrittliche IP-MSAN-Konzepte (IP Multi-Service Access Node) eine hybride
Backplane-Architektur. Ein IP-MSAN wie beispielsweise Milegate 2500 von Keymile unterstützt mit der
DSLAM-Funktion IP-Dienste, und darüber hinaus lassen sich klassische Telefoniedienste über POTS
oder als ISDN-Anschluss bereitstellen.

Wie der Begriff IP-MSAN bereits andeutet, enthält diese Art von Access-Lösung zahlreiche
IP-Funktionen. Eine wesentliche ist die VoIP-Gateway-Funktion. Sie wandelt POTS- und
ISDN-Teilnehmerschnittstellen in RTP-Ethernet-Pakete um und macht sie mit H.248/Megaco- oder
SIP-Signalisierung über einen Softswitch beziehungsweise Callserver steuerbar. Diese elegante
Variante der Telefonie spart netzseitig Betriebskosten, da sich Ethernet-Transporttechnik verwenden
lässt. Teilnehmerseitig wird der gleiche Dienst realisiert, den der Kunde von der bisherigen
TDM-Technik gewohnt war. Im Idealfall bemerken die POTS- und ISDN-Teilnehmer bei der netzseitigen
Umstellung von TDM auf IP keinen Unterschied – sie können ihre bisherigen Endgeräte problemlos
weiternutzen.

Unter dem Strich lässt sich mit dem Einsatz eines IP-MSANs parallel zu den neuen Diensten im
Zugangsnetz weiterhin klassische 64-kBit/s-Vermittlungstechnik nutzen. Dieser Weg stellt für den
Betreiber sowohl einen Investitionsschutz, als auch eine Möglichkeit dar, bereits heute im Backbone
die effizientere IP-Technik zu verwenden. Die spätere komplette Umstellung auf IP-Technik sollte
sich ohne Hardwaretausch im IP-MSAN mittels Software-Upgrade über Nacht ins Netz bringen
lassen.

Privathaushalte und SOHO

Die Anforderungen von Privathaushalten und dem Segment Small Office/Home Office (SOHO) bezüglich
Sprachdiensten sind grundsätzlich sehr ähnlich. Findet man im privaten Umfeld heute noch vorrangig
POTS-Telefonanschlüsse, so ist es im geschäftlichen Bereich aufgrund der zusätzlich benötigten
Leistungsmerkmale oft eher ISDN. Beide Techniken erfahren heute eine immer stärkere Konkurrenz
durch VoIP- beziehungsweise Voice-over-DSL-(VoDSL-)Angebote. Dennoch ist es für Netzbetreiber aus
mehreren Gründen auch zukünftig wichtig, POTS- und ISDN-Schnittstellen über die letzte Meile im
Privatkundenumfeld anzubieten:

Investitionsvorgaben: POTS- und ISDN-Anschlüsse sind günstiger als
VoIP/DSL-Anschlüsse, hauptsächlich aufgrund der geringeren Anforderungen an die
Netzabschlusstechnik, aber auch aufgrund tieferer Port-Preise im Zugangsknoten.

Überlange Kupferanschlussleitungen: Die maximale Reichweite für ADSL-Strecken
endet bei zirka sieben Kilometern. Gerade in ländlichen Regionen sind vielfach Leistungslängen über
zehn Kilometer üblich, die sich mit POTS und ISDN problemlos realisieren lassen.

Lifeline-Services: Für Telefonanschlüsse mit extrem hoher Ausfallsicherheit
(Notrufsäulen, Ärzte, Polizeistationen, Feuermelder, Alarmgeber etc.) ist VoIP keine Alternative,
da VoIP-CPEs auf eine lokale Speisung angewiesen sind und sich zudem die Verfügbarkeit des
Breitbandanschlusses aufgrund der paketorientierten Übertragung und Überbuchung nicht garantieren
lässt.

Für die Netzbetreiber ergibt sich mit IP-MSANs dennoch eine Reihe von Vorteilen: Wird der
Backbone komplett auf Ethernet umgestellt, kann die bandbreitenineffizientere SDH-Technik
abgeschaltet werden. Die TDM-Vermittlungstechnik lässt sich durch leistungsfähigere,
kostengünstigere und zukunftssichere Softswitch-Technik ersetzen.

Kleine und mittlere Unternehmen

Viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben eine TDM-Nebenstellenanlage, die mit
2-MBit/s-Schnittstellen an das öffentliche Netz angebunden ist. Obwohl heute moderne TK-Anlagen
(PBX) bereits auf VoIP basieren, halten viele KMU an ihrer vorhandenen TDM-Anlage fest. Daher ist
es aus netzplanerischer und vertrieblicher Sicht sinnvoll, diese Anforderungen über die nächsten
Jahre zu berücksichtigen.

In TDM-Netzen wurden die TK-Anlagen an der Vermittlungsstelle terminiert oder transparent mit
anderen Standorten des Unternehmens verbunden. Daher müssen IP-MSANs mehrere Möglichkeiten der
PBX-Anschaltung vorsehen. Diese sind in Bild 2 farblich hervorgehoben.

Bei der Option 1 (im Bild gelb) erfolgen eine
ISDN-PRA-Signalisierungsterminierung und die Umsetzung in eine VoIP-Signalisierung (SIP oder H.248)
im IP-MSAN. Die Telefonverbindung im Kernnetz ist vollständig IP-basierend, die Nutzdaten werden
geroutet. Das Kernnetz bleibt TDM-frei, es ergibt sich eine optimierte Bandbreitenbelegung, und die
Komplexität sinkt. Allerdings wird in jedem Zugangsknoten VoIP-Funktion benötigt, sobald eine
TDM-PBX am Standort angeschaltet werden muss.

Die Option 2 (im Bild rosa) nutzt einen transparenten Tunnel für
ISDN-PRA-Signalisierung über Circuit Emulation (CESoP). Die Telefoniesignalisierung wird zentral in
einem dedizierten ISDN-PRA-Gateway terminiert und in VoIP umgesetzt. Der Vorteil: Es sind nur
wenige ISDN-PRA-Gateways nötig – im Idealfall nur eines. Neben ISDN-PRA lassen sich auch andere
getaktete 2-MBit/s-TDM-Verbindungen über CESoP führen – zum Beispiel n-x-64-kBits/s-Mietleitungen
oder GSM-Basisstationsanbindungen. Auch bei dieser Option wird in jedem Access-Knoten VoIP-Funktion
benötigt. Die Bandbreite für die TDM-Emulation ist jedoch im Kernnetz zu reservieren.

Die Option 3 (im Bild grün) verwendet einen transparenten Tunnel der
ISDN-PRA-Signalisierung über CESoP zu einer anderen TK-Nebenstellenanlage an einem weiteren
Firmenstandort. Auch hier sind nur wenige ISDN-PRA-Gateways erforderlich. Befinden sich die
Kundenstandorte am selben IP-MSAN, lässt sich das Kernnetz komplett vom Datenverkehr befreien.

Lösungen für Großunternehmen

Für Großunternehmen, speziell solche mit mehreren Standorten, gibt es in den seltensten Fällen
Netzlösungen von der Stange. Vielmehr sind fast immer individuelle Anforderungen zu
berücksichtigen. Daher ist es für einen Telekommunikationsanbieter sinnvoll, am Kundenstandort eine
möglichst flexible Plattform einzusetzen, die nicht nur einen oder zwei Dienste unterstützt.

Recht häufig werden auf dem Campus eines Großbetriebs mehrere Teilnehmerschnittstellen benötigt.
Dazu zählen etwa POTS- und ISDN-Telefonschnittstellen, ADSL2+, E1/G.703 (zur Anbindung getakteter
64-kBit/s- oder 2-MBit/s-TDM-Geräte wie Nebenstellenanlagen, Sensoren, Überwachungstechnik etc.
über Kupferkabel), SHDSL, 100Base-TX (zur Anbindung von 100-MBit/s-LAN-Segmenten, Servern oder
anderen IT-Komponenten über eine Ethernet-Inhouse-Verkabelung), VDSL2 (für Anwendungsfälle, bei
denen aus Gründen der Verkabelung, der Distanz oder des Störbelags keine
Standard-Ethernet-Verkabelung ausreicht) sowie 100Base-FX mit Glasfaserschnittstelle. Wenn diese
Lösungen über einen einzigen Outdoor-Schrank bereitgestellt werden können, lassen sich damit die
meisten Infrastrukturanforderungen abdecken.

Hosted-PBX-Lösungen

Unter dem Begriff "Hosted PBX" versteht man eine Lösung, bei der die Funktion der
Nebenstellenanlage eines Unternehmens in das öffentliche Netz verlagert und vom Service-Provider
über eine Breitbandanbindung (DSL oder Glasfaser) zur Verfügung gestellt wird. Technisch ist dies
in der Regel über eine IP-Centrex-Applikation realisiert, die entweder im Softswitch integriert ist
oder auf einem separaten Applikationsserver läuft.

Für Unternehmensanwender hat dieses Lösungsmodell den Vorteil, dass für Sprachdienste weder
dediziertes Betriebspersonal nötigt ist, noch Investitionen in Technik (TK-Anlage) erfolgen müssen.
Zusätzlich kann das Unternehmen in den Genuss von neuen Diensten kommen, die vorher nicht nutzbar
waren – da zu teuer oder zu aufwändig in der Realisierung.

Bei der Realisierung von Hosted-PBX-Anwendungen im öffentlichen Netz können grundsätzlich alle
bekannten Geschäftskundenapplikationen und Anschaltszenarien zur Anwendung kommen. Die wesentlichen
Aspekte der Nutzung eines IP-MSANs für Hosted-PBX-Angebote sind:

Integration von klassischen POTS- und ISDN-Anschlüssen in IP-Centrex-Gruppen
(Bild 4: links oben "Site A"): Eines der größten Probleme der Carrier bei der Vermarktung einer
unternehmensweiten Hosted-PBX-Lösung bestand bislang darin, dass sich TDM- und VoIP-Endgeräte nicht
ohne Weiteres gemischt verwenden ließen. Da der IP-MSAN die TDM-Teilnehmerschnittstellen in
Richtung IP-Centrex-Server wie "reinrassige" VoIP-Teilnehmer erscheinen lässt, ist das Problem der
gemischten Centrex-Gruppen gelöst.

Bereitstellung einer Hosted-PBX-Lösung über eine Breitbandanbindung (Kupfer
und Glasfaser) inklusive einer ISDN-Fallback-Line (Bild 4: links Mitte "Site B"): Neben der
Bereitstellung des Breitbandanschlusses (DSL oder optisches Ethernet) für Unternehmensstandorte,
über den neben dem Datenverkehr zusätzlich der VoIP-Sprachverkehr der IP-Centrex-Gruppe läuft, ist
der Carrier mittels IP-MSAN in der Lage, eine zusätzliche ISDN-Fallback-Line bereitzustellen.
Dieser Anschluss wird aktiviert, falls die Breitbandstrecke ausfallen sollte. Die netzseitige
Umwandlung in VoIP-Signalisierung erfolgt wiederum im VoIP-Gateway des IP-MSANs, was eine
reibungslose Integration in die IP-Centrex-Gruppe ermöglicht.

Ablösung von TDM-Nebenstellenanlagen im Unternehmensnetz (Bild 4: links unten "
Site C"): Ein wesentliches Hemmnis bei der Einführung eines firmenweiten Hosted-PBX-Dienstes
besteht darin, dass Firmen und Mitarbeiter sich nicht von den existierenden Telefonen oder anderen
Endgeräten trennen wollen oder können – sei es aus finanziellen oder aus technischen Gründen. Ein
IP-MSAN kann mittels POTS- und ISDN-Schnittstellenkarten TDM-Nebenstellenanlagen ersetzen, die
existierenden Endgeräte bleiben erhalten, und netzseitig lässt sich der IP-MSAN in
IP-Centrex-Gruppen und somit auch in eine Hosted-PBX-Lösung integrieren.

Der Siegeszug der VoIP-Technik geht weiter. Der Einsatz von Carrier-Class-IP-MSAN-Technik setzt
die weiter bestehenden POTS- und ISDN-Anschlüsse netzintern in VoIP um. Der Betreiber kann dann
sein Zugangsnetz komplett auf kostengünstigere, skalierbare und zukunftssichere VoIP-Telefonie
migrieren.


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