Auf Arbeitgeberseite wiederum ist die Sorge um bröckelnde Produktivität der große Bremsklotz am Siegeswagen der „Work from Home“-Idee: Während sich laut Bitkom die Mehrzahl der Werktätigen zu Hause für produktiver hält, stellten bei einer Ifo-Institut-Umfrage vom Herbst 30 Prozent der Unternehmen konstante Produktivität fest, 27 Prozent beklagten eine rückläufige. Man könnte allerdings argumentieren, dass angesichts eklatanter Erschwernis durch eine Pandemie und Nachhilfestunden für Maximilian-Alexander selbst gleichbleibende Produktivität schon ein beachtlicher Erfolg ist.
Bei der Bitkom-Umfrage gab jeder Fünfte (22 Prozent) zu Protokoll, Home-Office komme für ihn nicht in Frage, „weil im Unternehmen allgemein eine starke Präsenzkultur vorherrscht“. Diese „Präsenzkultur“ jedoch ist in Zeiten einer grassierenden Seuche mit zeitweise über 1.000 Toten am Tag schlicht eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für seine Beschäftigten – und zudem geradezu asozial all jenen gegenüber, die sich Nahverkehrsmittel mit Berufstätigen teilen müssen, die ebenso gut zu Hause arbeiten könnten.
Eine solche „Präsenzkultur“ ist laut Fachleuten häufig schlicht historisch gewachsen – sprich: längst unnötig – oder aber ein Symptom für mangelnde Möglichkeiten der Erfolgskontrolle. Hier wäre es also dringend geboten, von Kontrolle der Präsenz zu einer Zielvereinbarung über die Leistung pro Tag, Woche, Monat oder Quartal zu kommen – unabhängig davon, wo und wie die Arbeitnehmer diese Leistung erbringen. In anderen Fällen ist ein Hindernis, dass Arbeitgeber ihrer Belegschaft keine internen Unterlagen mit nach Hause geben wollen. Wären doch nur Scanner und digital gestützte Workflows mit Fernzugriff auf zentral gespeicherte Unterlagen schon erfunden! Oder sollte es derlei Technik gar schon seit Jahrzehnten geben? Hat dem Chef wohl keiner gesagt.
Vor diesem Hintergrund kommt schnell die Frage nach einem „Recht auf Home-Office“ auf, eine schon früher von Arbeitsminister Hubertus Heil angestoßene Debatte. Anlässlich der Verschärfung des „Lockdown light“ zum „Lockdown nicht mehr ganz so light“ erklärte Heil nun: „Wenn keine zwingenden betrieblichen Gründe dagegensprechen, müssen Arbeitgeber ihren Beschäftigten Home-Office anbieten.“
Arbeitgeberverbände protestieren hier gerne reflexartig und betonen aufgeregt, dass jemand, der in einem Schlachtbetrieb arbeitet, ja wohl schlecht seine Arbeit mit nach Hause nehmen könne. In der Tat eignet sich Remote Work längst nicht für alle Berufsbilder. Allerdings wäre folgendes Gedankenspiel doch reizvoll: Die Schlachtbetriebe müssen bundesweit aufgrund hoher COVID-Infektionsraten (ganz zu schweigen von miserablen Arbeitsbedingungen) schließen, sodass die Verbraucher wieder zur Hausschlachtung übergehen müssen, wie meine Nachbarn hier im oberbayerischen Hinterland sie noch von früher kennen. Der Anteil der Vegetarier würde wohl noch sprunghafter ansteigen als die COVID-Infektionszahlen Ende 2020.
Unabhängig von diesen Gedankenspielen eines kulinarisch isolierten Vegetariers in der tiefsten bayerischen Schweinsbratenprovinz hat Cisco kürzlich in einem Blog-Post mit dem etwas großspurigen Titel „Home-Office geht überall“ Szenarien beschrieben, in denen die Digitalisierung auch jenseits des klassischen Büros Fernarbeit ermöglicht. Zu den genannten Beispielen zählen die vorausschauende Wartung in der Industrie (wo zumindest die Diagnose aus der Ferne möglich ist, wenn schon nicht die Reparatur) oder auch eine App, mit der Landwirte Gesundheits-, Melk- und Ruhedaten ihrer Kühe remote kontrollieren können – auch hier: bequem von zu Hause aus machbar, solange kein Eingreifen erforderlich ist.
Ob das von Hubertus Heil vorgeschlagene generelle „Recht auf Home-Office“ ein Fortschritt oder aber nur ein Bürokratiemonster wäre, sei dahingestellt. Fakt ist: Zumindest für die Dauer einer bedrohlichen Pandemielage ist es nun da. Wünschenswert wäre allerdings eine Einbettung in einen bundesweit einheitlichen Pandemieplan. Ein weiteres Gedankenspiel: Ab Warnstufe Orange haben alle Arbeitgeber die Pflicht, Arbeitnehmern Remote Work zu ermöglichen, wo immer die Tätigkeit es zulässt; ab Warnstufe Rot muss der Arbeitgeber den lokalen Betrieb ruhen lassen und die verbleibende Belegschaft in bezahlten Urlaub schicken – diese Kombination würde bewirken, dass Arbeitgeber ein Eigeninteresse hätten, möglichst vielen Beschäftigten Remote Work zu ermöglichen.