Mit IMS (IP Multimedia Subsystem) soll jeder nur denkbare multimediale Breitbandservice unabhängig vom Zugangsnetz seinen Weg zum Kunden finden und dabei auch profitabel sein. Doch sollen diese Erwartungen Wirklichkeit werden, müssen Service-Provider und Netzbetreiber ihr Portfolio insgesamt flexibler austarieren und auch untereinander besser verzahnen. Gelingen kann das nur, wenn sich IMS als ein Baustein unter vielen nahtlos in ein IP Next Generation Network einfügt.
Leicht waren die letzten Jahre nicht für die Telekom-Branche. Besonders die Mobilfunksparte muss
die exorbitanten UMTS-Lizenzen sowie hohe Investitionskosten für den Aufbau neuer 3G-Netzwerke
verkraften. Aber auch im Fest- und Kabelnetz hat sich der Wettbewerb verschärft: Preisdruck und
Abwanderung von Sprachminuten zu Mobilfunk und Voice over IP schmälern die Erträge aus
traditioneller Sprachtelefonie. Zusätzlich treibt der anhaltend hohe Konkurrenzdruck die Kosten für
die Neukundenakquisition stetig weiter in die Höhe. Selbst mit Tiefstpreisen lässt sich Kundentreue
auf Dauer nicht erkaufen. Um Konsumenten zu halten, schauen viele Anbieter ohnehin nicht mehr
allein darauf, was unterm Strich beim Einzelservice übrig bleibt, sondern auf die Gewinnung von
Marktanteilen, insbesondere im Wachstumsmarkt der Breitbandanschlüsse.
Gleichwohl wollen und können weder Service-Provider noch Carrier das Ziel eines in der Summe
profitablen Portfolios bis in die ferne Zukunft aufschieben. Sie setzen deshalb verstärkt auf
Triple Play Services – zum einen, um sich durch neue Dienste zusätzliche Umsatzquellen zu
erschließen und vorhandene Infrastrukturen effektiver zu verwerten, zum anderen aber auch, um die
Konsumenten stärker an sich zu binden. Laut "IDC Consumer Survey 2005" wollen knapp 66 Prozent der
befragten Triple-Play-Kunden ihren derzeitigen Anbieter innerhalb der nächsten zwölf Monate nicht
wechseln. Triple Play Service kann demnach durch engere Kundenbindung den ARPU (Avarage Revenue per
User) erhöhen und gleichzeitig die Kundengewinnungskosten reduzieren.
Allerdings benötigen gebündelte Sprach- und Datendienste aus einer Hand eine entsprechend
gebündelte Infrastruktur – wofür der Markt inzwischen allgemein die Architektur eines IP Next
Generation Networks (IP NGN) favorisiert. Ziel eines IP NGNs ist es, das klassische Schema
verschiedener Netze je Kundengruppe (etwa Privat- oder Geschäftskunden) oder Service (nur Daten,
nur Sprache oder nur TV-Programme) zu überwinden. Stattdessen soll jede Art von Anwendung mit
garantierter Dienstgüte (Quality of Service, QoS) über ein integriertes Netz angeboten werden.
Dabei sind, dort wo es sinnvoll ist, vor allem vorhandene Zugangsnetze einzubinden. Den ersten
Schritt in Richtung IP NGN haben viele Netzbetreiber bereits hinter sich, nämlich mit dem Aufbau
eines IP/MPLS-Kernnetzwerks (Internet Protocol Multi-Protocol Layer Switching).
Für IP NGN sind verschiedene Definitionen im Umlauf. Allen Begriffsbestimmungen gemein ist die
starke Betonung von Echtzeit-Multimedia-Übertragung, personalisierten Diensten sowie der Rolle, die
das Internetprotokoll dabei spielen soll. Hinter IP NGN steht die Idee eines universellen
IP-Netzwerks, das alle Applikationen heutiger Daten-, TV-, Mobilfunk- und Telekommunikationsnetze
übernehmen wird. Für Konsumenten ebenso wie für Firmenkunden. Ein IP NGN ist nicht mehr eine von
einem Hersteller proprietär integ-rierte Lösung, wie es die heute betriebenen Netze vielfach sind.
Vielmehr geht es um eine flexible und skalierbare Plattform, die mit den Anforderungen des Markts
wächst: eine Plattform, die neue Inhalte, Services und Kundengruppen ohne Zeitverzug und zu
geringen Neuinvestitionen einzubinden vermag und die selbst keine hohen operativen Kosten
verursacht. So gesehen verkörpert ein IP NGN nur das konsequente Weiterdenken der Idee von der
Netzwerk- und Dienstekonvergenz, die generell auf eine Reduktion von OPEX und CAPEX sowie auf eine
deutlich schnellere Time to Market zielt.
Dafür genügt es jedoch nicht, "lediglich" die angebotenen Video-, Sprach- und Datendienste in
einer gemeinsamen Infrastruktur zusammenzuführen. Vielmehr müssen auch sämtliche
Netzwerkfunktionen, die von diesen Diensten genutzt werden, integ-riert und über verschiedenste
Zugangsnetze bereitgestellt werden. Um nun auch noch das ganze Spektrum der anvisierten
Kundengruppen via IP NGN kostengünstig mit unterschiedlichen Mediendiensten versorgen zu können,
benötigen Netzbetreiber zudem weitaus effizientere Steuerungsinstrumente als bisher. Denn die Basis
des IP NGN ist die Vermittelung von Paketen. Das bedeutet nicht, dass sich herkömmliche
Punkt-zu-Punkt-Verbindungen (Circuits) mit fest zugeordneten Bandbreiten nicht abbilden lassen, sie
verlieren jedoch im Verhältnis zu den anderen Verkehrsarten an Bedeutung. Paketvermittelung
speziell auf Basis des Ethernet-Protokolls dominiert heute im Unternehmen und im Heimbereich,
weshalb es nur logisch ist, dass die Provider auf den Medienbruch am Rand ihrer Netzwerke
verzichten, um Kosten und Komplexität zu verringern. Zusätzlich können Netzbetreiber ihre Backbones
effektiver als bisher nutzen, stehen andererseits aber auch vor neuen Herausforderungen in puncto
Planung, Skalierbarkeit, Zuverlässigkeit und Management.
Hinzu kommt, dass sich QoS weitaus differenzierter abstufen lassen muss als in der
Vergangenheit: Weil mit der Ablösung traditioneller Festverbindungen nun auch Sprach- und
Multimediaverkehr durch solche Netzsegmente fließt, die zuvor nur den Transport vergleichsweise
unempfindlicher Datenströme regeln mussten, werden nun auch entsprechende Paket- und
Datenflussklassen benötigt. Darüber hinaus muss es in einem dynamischen Markt dynamische
QoS-Klassen geben, Bandbreite und andere Servicecharakteristiken müssen sich also dynamisch
verändern lassen. All diese Ansprüche adressiert im Wesentlichen die Serviceebene eines IP NGNs.
Deren Integrationskraft sorgt für den Schutz früher geleisteter Investitionen, die in der darunter
liegenden Netzwerkschicht gebunden sind, und ebenso für Universalität und Mobilität der
Dienste.
Viel Geld ist in den letzten Jahren in den Aufbau mobiler 3G-Netze geflossen. Kein Wunder also, dass es ursprünglich die Mobilfunkbetreiber waren, die große Hoffnungen in IMS setzten und dessen Entwicklung initiiert und vorangetrieben haben. Immerhin verspricht das IP Multimedia Subsystem durch seine klare Orientierung auf SIP (Session Initiation Protocol) die notwendige Einheitlichkeit, um attraktive Dienste wie Presence-, Push to Talk-, Click to Dial-, Instant Messaging- oder Chat-Services kostengünstig aufsetzen, managen und auch abrechnen zu können. Zwar fußen die Standardisierungsbemühungen um IMS, die vom 1998 gegründeten Third Generation Partnership Project (3GPP) koordiniert werden, noch in der alten Welt von GSM, doch stellt das Grundkonzept von IMS gleichwohl einen fundamentalen Paradigmenwechsel im Mobilfunk dar. Denn erstmals (und in unverkennbarer Analogie zum Konzept des IP NGN) liegt IMS ein All-IP-Ansatz zugrunde. Bewusst definiert IMS keine konkreten Services und Anwendungen; vielmehr stellt es die dafür erforderlichen Mechanismen bereit, und zwar sämtlich auf IP-Basis.
Im IMS herrscht strikte Trennung zwischen der Steuerung von Diensten und den Diensten selbst. Dank dem so genannten Multimedia-Call-Modell lassen sich verschiedene multimediale Services in einer Session zusammenfassen und synchronisieren. Da alle Services auf separaten Applikationsservern laufen, werden neue Anwendungen unabhängig vom Transportnetzwerk implementiert - was für hohe Flexibilität sorgt, das Entwicklungstempo beschleunigt und die Kosten dafür niedrig hält. Die Architektur eines IMS setzt sich aus folgenden fünf Kernbausteinen zusammen:
CSCF (Call Session Control Function): Dabei handelt es sich um SIP-Server, die für das Call- und Session-Management inklusive Authentifizierung und Autorisierung verantwortlich sind und zudem als Informationsquelle für Charging-Systeme dienen.
Home Subscriber Server (HSS): Eine Weiterentwicklung von HLR, dem
Home Location Register im GSM: HSS verwaltet die Kundenprofile und ist für Benutzeridentifikation und Zugangsautorisierung zuständig.
Multimedia Resource Function (MRF): Stellt Zusatzdienste wie Konferenzschaltung, Interactive Voice Response (IVR) Services sowie Media Transcoding bereit.
Media Gateways wandeln Media-Codecs und Protokolle um, insbesondere an der Grenze zwischen Circuit- und Packet-Switched-Netzen.
IMS Applikationsserver: Sie stellen die eigentlichen SIP-Dienste bereit.
Dass derzeit noch vergleichsweise wenig Mobilfunkanbieter IMS im großen Maßstab einsetzen, hat verschiedene Gründe: Da ist zum einen die noch nicht komplett abgeschlossene Standardisierung von IMS. Zum anderen fehlt es an einem breiten Angebot an preisgünstigen Endgeräten sowie überzeugenden Interoperabilitätsbelegen für die noch junge Technologie.
Zwar lassen SIP und IP hier eigentlich nur Gutes erwarten, doch bergen theoretische Annahmen immer ein Restrisiko für Investitionen. Tatsache bleibt, dass es Mobilfunkbetreibern oftmals noch lukrativer erscheint, Telefonie via 2G- und 3G-Netze auf herkömmliche Art zu transportieren als per Voice over IP. Zudem zielt IMS in erster Linie auf Echtzeitdienste, addressiert also nicht den gesamten, wachsenden Anteil an Datendiensten im Mobilfunknetz.
Ähnliches gilt für die Festnetzbranche. Einerseits gibt es hier ein großes Interesse an der IMS-Technologie, andererseits wird schon heute ein Großteil der Einnahmen über Nicht-Echtzeitanwendungen erzielt: über E-Mail, Spiele, Streaming Video, andere Download-Dienste oder über virtuelle private Netze (VPN). Diesen Wertschöpfungsanteil gilt es zu schützen, weshalb ein IP NGN sowohl die IMS-Standards für neue Multimedia-Dienste, aber auch die wichtigen nicht auf IMS basierenden Dienste unterstützen muss.
Während die Einführung von IMS auf Seiten der Mobilfunkbetreiber nur langsam anläuft, hat sie sich bei Festnetzbetreibern stark beschleunigt, seit ETSI TISPAN die Erweiterung von IMS in Festnetze definiert hat. TISPAN definiert im ersten Release unter anderem die Anbindung von Endgeräten ohne SIM-Karte, die QoS-Kontrolle im DSL Access sowie die Simulation/Emulation von PSTN-Diensten im IMS.
Festnetzbetreiber und integrierte Betreiber mit Fest- und Mobilnetz nutzen IMS um Fixed Mobile Convergence (FMC) zu ermöglichen. Auch für Kabelnetze wird IMS in Zukunft eine große Rolle spielen, da der Packet-Cable-Standard sich ebenfalls in Richtung IMS entwickelt.
Sollen sich Investitionskosten für IMS schnell refinanzieren, muss die Serviceschicht vorhandener Netze entsprechend flexibilisiert werden.
Hierfür stellt beispielsweise Cisco mit dem Service Exchange Framework (SEF) sowohl die nötigen
Tools als auch eine durchgängige Methodik bereit. Das beginnt bereits in der Planung. So geben etwa
differenzierte Verkehrsprofile je Anwendung genaue Auskunft darüber, welche Verkehrsströme wie
profitabel sind und inwieweit möglicherweise weniger rentabler Traffic für den Erhalt von
Kundenbeziehungen von Bedeutung ist. Erst eine Zusammenschau solcher Informationen liefert ein
vollständiges Bild der Ist-Situation und damit eine Basis, um das Servicespektrum mit IMS neu
ordnen.
In der Praxis verursachen Peer-to-Peer- und Download-Dienste von Privatkunden oft den
Hauptanteil am Verkehrsaufkommen heutiger Netze. Problematisch nur, dass Internetzugänge meist
pauschal berechnet werden und der Markt zurzeit keine Preiserhöhungen verträgt. Betreiber suchen
deshalb nach neuen Modellen, die sowohl den Kundenbedürfnissen Rechnung tragen als auch bessere
Margen bieten.
Sobald ein Netz in der Lage ist, unterschiedliche Inhalte exakt voneinander zu unterscheiden,
bieten sich auch neue Optionen für flexiblere Abrechnungsmodelle und personalisierte
Paketangebote.
Für Kunden hat dies den Vorteil, dass sich Servicepakete weit differenzierter als bisher
individuell zusammenstellen lassen. Provider können im Gegenzug eine exklusive Stammkundschaft
aufbauen und durch entsprechende Premiumdienste dauerhaft an sich binden.