Das Rechenzentrum als Dienstleistung

Elastizität ist Trumpf

4. Juli 2013, 6:00 Uhr | Stefan Mutschler/wg

IT wird jeden Tag ein Stückchen komplexer. Ihre Beherrschung im Sinne einer bestmöglichen Förderung der Business-Prozesse gestaltet sich zunehmend als Mammutaufgabe, die zu stemmen immer weniger Unternehmen willens oder in der Lage sind. Große Unternehmen nutzen die Dienste eines IaaS-Anbieters (Infrastructure as a Service) gern als flexible Ergänzung des eigenen Rechenzentrums, für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) scheint es zunehmend erwägenswert, komplett auf eigene Rechenressourcen zu verzichten.Die Nutzung von Infrastruktur- und Plattformangeboten als Service (IaaS, PaaS) ist nach wie vor weit davon entfernt, sich in der Masse zu etablieren. Im kürzlich veröffentlichten "Cloud Vendor Benchmark 2013" (www.cloudvendorbenchmark.de) berichtet die Experton Group zwar von gut 4,6 Milliarden Euro, die deutsche Unternehmen bis Ende dieses Jahres für Cloud-Technik, Cloud-Services und damit verbundene Beratungs- und Integrationsdienste ausgeben wollen, doch der Anteil von IaaS und PaaS mache derzeit erst 7,4 Prozent (also etwa 342 Millionen Euro) aus. Die Summe für den Gesamt-Cloud-Markt klingt durchaus stattlich, relativiert sich aber im Lichte der gesamten IT-Ausgaben, bei welchen sie mit gerade einmal fünf Prozent zu Buche schlagen. Experton spricht bei dieser Größe trotzdem von einer Zäsur - offenbar teilt sich die IT so eine Art Fünf-Prozent-Hürde mit der Politik. Ende April dieses Jahres prämierte Experton die per Cloud Vendor Benchmark als führend ermittelten Cloud-Anbieter in Deutschland mit dem "Cloud Leader Award". Dabei kamen in diesem Jahr in erster Linie die "Marktmacher" zum Zuge, also solche Dienstleister, die sich um den Aufbau von Vertrauen in ein bestimmtes, meist neues Handelssegment verdient gemacht haben. Ein zielgruppengerechtes Portfolio und eine überdurchschnittliche Wettbewerbsstärke waren ebenfalls wichtige Bewertungskriterien. Auszeichnungen gingen unter anderem an BT Germany, Claranet, Deutsche Telekom, Host Europe, Microsoft Deutschland, Pironet NDH, QSC, T-Systems International, Tech Data, Telefónica Online Services und Trend Micro Deutschland. Die beiden Telekom-Unternehmen (Deutsche Telekom und T-Systems) wurden separat ausgezeichnet, da sie für die jeweilige Klientel sehr unterschiedliche Angebote bereithalten: Während die Deutsche Telekom den KMU-Markt anspricht, fokussiert T-Systems strikt auf Großunternehmen. Beide können auf Rechenzentren in Deutschland verweisen. Der Cloud-Markt zeigt sich nach den Beobachtungen der Marktforscher ungebrochen dynamisch. Ein klares Zeichen dafür sei die verhältnismäßig hohe Zahl an Start-ups auf diesem Sektor. "Der Cloud-Markt zeigt momentan einen enorm hohen Wettbewerbsdruck", so Steve Janata, Senior Advisor und Co-Autor der Experton-Studie. "Das erfordert viel Flexibilität auf Seiten der Anbieter. Im Zweifelsfall müssen Lücken im Portfolio durch Zukäufe schnell geschlossen werden." Ein wesentlicher Treiber für den Markt sei die Tatsache, dass der "Cloud-Kuchen" noch lange nicht verteilt ist. Dies motiviere Anbieter, weiter ins Risiko zu gehen und frühzeitig in potenzielle Marktsegmente zu investieren. Einer der markantesten Cloud-Aufsteiger war im vergangenen Jahr offensichtlich BT Germany. Der Provider hat 2012 unter anderem ein neues RZ am Standort Frankfurt in Betrieb genommen und die neue Managed-Cloud-Plattform "BT Cloud Compute" eingeführt, die einen ITILv3-konformen Service mit 99,95 Prozent Verfügbarkeit aus lokalen Rechenzentren bieten soll. Auch die Kombination reiner IT-Infrastrukturdienste wie Rechenleistung und Storage mit Netzwerk-Services hob die Bewertung von BT Germany. "Die Flexibilität von BT Cloud Compute kann für viele Unternehmen, die in neue Regionen und Märkte expandieren oder deren Anforderungen sich schnell ändern, entscheidend sein", erläutert Neil Sutton, Vice President Global Portfolio bei BT Global Services. "Sie benötigen einen Service, der lokal erbracht wird, aber gleichzeitig weltweit einheitlich verfügbar ist." Das Self-Service-Dashboard von Cloud Compute befähige sie, Nutzung und Kosten permanent zu überwachen, ähnlich einem Smart Meter, das einen besseren Überblick über den Energieverbrauch im Haushalt ermöglicht. Auch NTT Communications (NTT Com) hat seine Enterprise-Cloud über die vergangenen zwölf Monate globalisiert - mit neuen Rechenzentren in Europa, Singapur, den USA, Australien, Malaysia und Thailand. Für Europa hat die Tochter der japanischen NTT Group allerdings nicht Deutschland, sondern Großbritannien als Standort erkoren. Wie BT verfügt NTT Com jetzt über ein global verfügbares, einheitliches IaaS-Angebot. Dank SDN-Technik (Software-Defined-Networking) als Basis soll sich die Cloud nicht nur zur einfachen, bedarfsgerechten Anbindung privater Netzwerke empfehlen, sondern auch zur flexiblen Erweiterung der Rechenkapazitäten. Ein übersichtliches Portal unterstütze auch hier das einfache Management.   Frischer Wind in der IaaS-Oberliga Die Oberliga der globalen Cloud-Player wird nach wie vor von Amazon Web Services (AWS) angeführt. Das Unternehmen war schon 2002 in diesen Markt eingestiegen - lange bevor der Begriff "Cloud" im IT-Vokabular geläufig war. Alle gängigen Analysten bescheinigen AWS ein unangefochten umfangreiches und klar strukturiertes Portfolio. Eine 2012 in den USA durchgeführte, unabhängige Befragung von knapp 500 IaaS-Anwendern ergab, dass fast jeder fünfte (19 Prozent) bei AWS ist. Zweiter war in diesem Ranking Verizon - mit acht Prozent schon sehr weit abgeschlagen - vor Rackspace mit fünf Prozent. Allerdings zeigt sich auch in der Top-Liga der immense Wettbewerbsdruck - erst jüngst haben Branchenriesen wie Google und Microsoft heftige Attacken gestartet, um den langjährigen Primus vom Thron zu stoßen. Google ist auf diesem Sektor noch eher unbedeutend (in der zuvor erwähnten Befragung kam das Unternahmen noch nicht einmal auf ein Prozent), will aber seine gesamte Marktmacht mobilisieren, um das Cloud-Business an sich zu reißen. Auf seiner Entwicklerkonferenz Mitte Mai in San Francisco öffnete Google seine Compute Engine (GCE) für jedermann und stattete seine Cloud-Plattform mit zahlreichen neuen Funktionen aus. Mit Talaria verleibte sich Google zudem eine Software ein, mit der Google-Server sich deutlich effizienter als bisher betreiben lassen sollen. GCE unterstützt jetzt neben einer SQL-Datenbank (Cloud SQL) und einem Analyse-als-Service-Tool namens Bigquery virtuelle Maschinen (VMs) unter Linux, einen No-SQL-Datenspeicher und granulare Netzwerkfunktionen. Geplant sind außerdem elastische Load Balancer. Alles für den Anfang ganz gut, aber selbst die Entwickler vor Ort sahen Google noch ganz klar in der Rolle eines Herausforderers. Auch Microsofts IaaS-Angebot ist noch vergleichsweise übersichtlich. Azure unterstützt Windows- und Linux-VMs, Video-Transcoding (Media-Services), eine SQL- und eine No-SQL-Datenbank, einen Speicher für unstrukturierte Daten (Blob), Identitäts-Management, Hadoop (Analyse-Service) und ein integriertes Content-Delivery-Netzwerk (CDN). Damit ist Microsoft sicher schon ein gutes Stück weiter als Google, aber dennoch weit davon entfernt, AWS das Wasser abgraben zu können. AWS hat alles im Angebot, was Google und Microsoft bieten, dazu aber noch Dutzende Funktionen, die beide nicht haben. Beispiele sind etwa ein DNS-Service (Route53), hardwarebasierten Speicher für Schlüssel (Hardware Security Module, HSM), Applikations-Management (Opsworks), Performance-Monitoring, einen in Petabyte-Dimensionen skalierbaren Big-Data-Analyse-Service (Redshift), In-Memory-Caching sowie eine Cloud-Kostenanalyse. Auch wenn Google und Microsoft in der Lage sind, über Partnerschaften Teile ihrer Defizite abzudecken: Vorerst scheint die Führungsposition von AWS weit außer Gefahr. Neben den großen Cloud-Generalisten gedeiht eine inzwischen sehr breit gefächerte Szene mit spezialisierteren Angeboten von Hardware-Herstellern, Hostern und Providern. IBM, Fujitsu und HP sind klassische Hardwarelieferanten, die ihre eigenen Infrastrukturprodukte zusätzlich als Service anbieten. Nicht immer ist das von Erfolg gekrönt, wie jüngst der Ausstieg von Dell aus dem IaaS-Geschäft zeigt. Alle vier genannten Hersteller sind - abgesehen von mehr oder weniger erfolgreichen eigenen IaaS-Angeboten - wichtige Partner beim Aufbau von IaaS-Angeboten in der Hosting- und Provider-Szene.   Dell geht, VMware kommt Statt Dell versucht nun mit VMware neuerdings ein Virtualisierungsspezialist, ebenfalls in diesem Markt Fuß zu fassen. VMwares neuer Vcloud Hybrid Service basiert wenig überraschend auf der hauseigenen Virtualisierungsplattform Vsphere. Ziel ist es, den VMware-Anwendern eine einfache Möglichkeit zu bieten, um die Ressourcen des eigenen RZs flexibel um ein Public-Cloud-Angebot zu erweitern. Viele Betreiber von Websites kennen die Herausforderung, wenn der Traffic saisonal bedingt oder durch unvorhersehbare Ereignisse in die Höhe schnellt. Auch periodische Ereignisse wie etwa der monatliche Massenversand von Rechnungen bei einem Stromanbieter eignen sich sehr gut für ein hybrides Cloud-Modell: Nach Abflauen des Peaks lassen sich die externen Ressoucen genauso schnell wieder herunterfahren, wie man sie dazugebucht hat. Der Umgang mit Vsphere ist vielen Unternehmen bereits aus den eigenen Virtualisierungsaktivitäten vertraut. Analysten sehen in der einheitlichen Verwaltung interner und externer Infrastrukturdienste ein großes Plus und stufen VMwares Konzept als sehr erfolgversprechend ein.   IaaS aus der Hosting-Szene Für Hosting-Spezialisten ist IaaS im Grunde eine naheliegende Ergänzung des Service-Angebots. Beispielsweise Profitbricks, Hosteurope, Easynet, Skyway und Rackspace lassen sich hier einordnen. Sie sehen sich im Umfeld der TK- und Internet-Provider, die ebenfalls mit Cloud-Angeboten wie IaaS nach neuen Umsatzquellen suchen. Neben Telekom, BT Germany, QSC und Telefónica Online Services sind derzeit unter anderem Orange, Strato und Tata auf dieser Schiene unterwegs. Um sich vom Wettbewerb abzuheben, suchen sich die Anbieter auch hier gerne ein Steckenpferd, das woanders nicht oder nicht so ohne Weiteres zu bekommen ist. Bei Profitbricks etwa liegt der Schwerpunkt auf Hochverfügbarkeit (HA). Anders als andere Anbieter, die die IPv4-Adresse an eine Virtuelle Maschine (VM) koppeln, weist der hauseigene Netzwerk-Stack von Profitbricks diese Adresse dynamisch einer beliebigen VM zu. Basis dieser Fähigkeit ist das ARP (Address Resolution Protocol), das bislang noch kaum von den Netzwerk-Stacks anderer Cloud-Anbieter unterstützt wird. Ein weiterer Effekt dieses Protokolls ist, dass Linux-HA in seinen Implementierungen wie beispielsweise in Ubuntu oder Debian ohne weitere Anpassungen direkt "out of the Box" nutzbar ist. Als Konsequenz daraus sollen bei dem Berliner Cloud-Anbieter gehostete virtuelle Rechenzentren im selben Maße ausfallsicher sein wie ein dediziertes physisches Hochverfügbarkeits-RZ. Seit Kurzem arbeitet Profitbricks mit Layer8-Solutions zusammen, um Großunternehmen und gehobenem Mittelstand die Optimierung ihrer IT zu erleichtern. Layer8-Solutions visualisiert die Wechselwirkungen von IT und Geschäftsprozessen. Dies soll den Faktor IT in seiner Wirkungsweise und nicht zuletzt seinen Kosten für die Unternehmen transparent machen. Die Host Europe Group hat sich mit ihren jüngsten IaaS-Angeboten wie VMware und zahlreiche weitere Anbieter der elastischen Hybrid Cloud verschrieben. Das Mitte Mai neu vorgestellte IaaS-Produkt "Hybrid Cloud" soll Cloud-typisch genutzte, virtualisierte IT-Infrastrukturen in Kombination mit modular buchbaren Managed-Hosting-Services bereitstellen. Das Angebot trifft für die große Zahl solcher Unternehmen auf den Punkt, deren Geschäft durch unregelmäßige Spitzenzeiten gekennzeichnet ist. Egal für welchen Anbieter sich ein Nutzer entscheidet, in jedem Fall ist der Service-Vertrag (Service Level Agreement, SLA) der Dreh- und Angelpunkt. Diethelm Siebuhr, Geschäftsführer Central Europe bei Easynet Global Services in Hamburg, warnt: "In der Public Cloud sind die Leistungen standardisiert und die Anbieter wenden hier auch standardisiere SLAs an. Nur so lassen sich die Kosten durch den Provider niedrig kalkulieren. Die Public Cloud bietet damit nicht nur wenig Spielraum für individuelle Anforderungen, sondern auch für dynamische Änderungen. Anwender müssen hier sehr gut aufpassen, inwieweit die jeweilige Standardleistung ihre Bedürfnisse und die Änderungen ihres Geschäftsbetriebs erfüllt." Erhöhte Wachsamkeit bei der Begutachtung des Vertrags ist also angebracht. Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente

Die IaaS-Welt, wie die Analysten von Experton sie sehen: Demnach existieren noch zahlreiche Player mit guten Plattformen, die in Deutschland im Moment noch nicht das nötige Standing haben. Bild: Experton Group

"Der Cloud-Markt zeigt momentan einen enorm hohen Wettbewerbsdruck", so Steve Janata, Senior Advisor und Co-Autor der Experton-Studie. Bild: Experton Group

AWS hat sein umfangreiches Angebot sehr übersichtlich strukturiert und mit detaillierten Preisinformationen versehen.
LANline.

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