Neuer Mobilfunk kommt über Datendienste

Generationswechsel wird greifbar

30. Juni 2010, 5:00 Uhr | Stefan Mutschler/jos

Fast genau zehn Jahre nach der legendären Versteigerung der Lizenzen für UMTS-Frequenzbänder in Deutschland bahnt sich nun erneut ein Generationswechsel im Mobilfunk an: Soeben wurden die Frequenzbänder für die UMTS-Nachfolgetechnologie LTE (Long Term Evolution) versteigert, und die Provider planen nun, zunächst ihre mobilen Datenservices damit aufzupeppen. Die einschlägigen Hersteller entwickeln in Rekordzeit die dafür nötige Ausrüstung. Ein Blick ins Nokia Siemens Networks (NSN) Development Center in Ulm zeigt, was der Stand der Dinge ist.

Das Iphone schuf nicht nur eine völlig neue Art mobiler Endgeräte – es löste mit seiner
App-gesteuerten Online-Freudigkeit auch eine wahre Datenlawine im Mobilfunknetz aus. "Im Gefolge
des berühmten Apfeltelefons gibt es heute jede Menge datenintensive Telefone – und dank
entsprechend angepasster Tarifpolitik bei den Providern machen ihre Besitzer davon inzwischen auch
regen Gebrauch", so Thorsten Robrecht, Head of LTE Product Management bei NSN. "Hinzu kommen noch
die rapide steigende Zahl an Laptops mit eingebauten 3G-Funkmodulen sowie die Neigung vom immer
mehr Anwendern, sich über soziale Netzwerke permanent auszutauschen. Alles zusammen bescherte uns
im ersten Halbjahr 2009 das fünffache Datenvolumen wie in der ersten Jahreshälfte 2008." Doch die
Kurve des Verkehrswachstums verlaufe dabei keineswegs linear, sondern exponentiell. Analysen von
NSN deuten darauf hin, dass 2015 etwa 100 Mal mehr Daten über die Mobilfunknetze fließen als
heute.

Auch wenn die aktuellen UMTS-Techniken wie HSPA/HSPA momentan noch ganz gut mit den gestiegenen
Netzbelastungen fertig werden – auf lange Sicht würde sich das Netz als Flaschenhals erweisen. Das
wiederum würde für die Provider wichtige neue Profitchancen ausbremsen, denn viele der gerade
anrollenden Daten-Services kämen wieder zum Erliegen. Für eine rasche Implementation von LTE
spricht aber auch eine gegenüber UMTS um 30 Prozent höhere Spektraleffizienz. Dies bedeutet, im
gleichen Frequenzspektrum lassen sich sofort 30 Prozent mehr Anwender bedienen – ein absolutes Plus
in Sachen Wirtschaftlichkeit. Da trifft es sich gut, dass der Umstieg von UMTS auf LTE in vielen
Fällen eine reine Softwareangelegenheit ist – zumindest bei den Basisstationen der aktuellen
Generation (bei NSN wird diese seit etwa zwei Jahren ausgeliefert). Und auch bei den Wartungs-,
Betriebs- und Management-Kosten verspricht LTE für Provider hohe Einsparungen: "Während heutige
Mobilfunknetze sehr komplexe Gebilde mit vielen Netzelementen und einem Mix unterschiedlicher
Technologien darstellen, gibt es mit den All-IP-LTE-Netzen nur noch zwei Netzelemente. Damit
reduzieren sich die Signalwege, was Fehler- und Verzögerungsquellen minimiert und die Kontrolle
vereinfacht", weiß Robrecht.

Der LTE-Experte hat auch für Anwender gute Nachrichten. Sie betreffen die Datenraten und – für
ein flüssiges Surf-Erlebnis fast noch wichtiger – die Verzögerungszeiten (Latenzen). Die Datenraten
fangen in der aktuellen LTE-Generation bei etwa 150 MBit/s an – die gängigen
UMTS/HSDPA-Implementationen liegen in Deutschland derzeit bei 14,4 MBit/s. Die in Labors bereits
realisierten Maximalwerte liegen bei UMTS/HSPA bei 112 MBit/s, bei LTE über einem Gigabit pro
Sekunde. Die Verzögerungen liegen bei LTE sogar unter den Werten für DSL (10 bis 20
Millisekunden).

Digitale Dividende

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung neben den Mobilfunk-Frequenzbereichen um 1,8, 2
und 2,6 GHz die durch die Digitalisierung des Fernsehens (DVB-T) frei gewordenen Frequenzbänder im
800-MHz-Bereich (zwischen 790 und 862 MHz) in die Versteigerung gepackt. Die Gewinner dieser
Frequenzen mussten sich im Rahmen der von Angela Merkel persönlich protegierten Initiative "
Digitale Dividende" verpflichten, sie zunächst zur Breitbandversorgung von Gemeinden oder Städten
mit höchstens 5.000 Einwohnern zu nutzen, dann derjenigen zwischen 5.000 und 20.000 Einwohnern,
danach bis 50.000 Einwohnern und erst zuletzt Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern. Erst wenn
jeweils 90 Prozent Versorgung in einer Stufe sichergestellt ist, darf der Ausbau in der nächsten
Stufe weitergehen. Damit dieses Spektrum für LTE nutzbar ist (bislang ist das weltweit allein in
Deutschland geplant), mussten die existierenden LTE-Standards eigens erweitert werden. "Das ist
erst letzten Dezember geschehen – bereits heute können wir das passende Equipment bieten",
veranschaulicht Robrecht das Entwicklungstempo bei LTE. "Die Mühe hat sich allemal gelohnt, denn
auf Basis dieser niedrigen Frequenzen überträgt LTE Daten bis zu 100 Kilometer weit – gute
Datenraten sind bis etwa 25 Kilometer erzielbar – und das ist natürlich ideal für die
wirtschaftliche Versorgung von ländlichen Regionen."

Voice-over-LTE

LTE ist eine reine IP-Technik und als solche nicht ohne weiteres für den Sprachverkehr tauglich.
Seit etwa zwei Jahren beschäftigen sich Arbeitsgruppen damit, auch Sprach- und SMS-Verkehr auf
LTE-Netzwerken abzubilden. Den "Zuschlag" seitens der GSM-Alliance (GSMA) erhielt kürzlich die "One
Voice"-Initiative, deren Arbeit binnen eines Jahres in einen "Voice over LTE"-Standard (VoLTE)
münden soll. Bemerkenswert ist die breite, globale Unterstützung von VoLTE seitens der Hersteller,
Provider und relevanten Organisationen. Dem Gegenvorschlag VoLGA (Voice over LTE via Generic
Access) wird von den meisten Playern höchstens eine kurzfristige Interimsrolle eingeräumt. Damit
gäbe es erstmals ein global einheitliches Mobilkommunikationssystem.

Unter dem Strich erwartet NSN einen Roll-out von LTE in zwei Phasen: Ab zweitem Halbjahr dieses
Jahres sollen datenzentrische LTE-Dienste starten – erst ein Jahr später sollen Telefonie-Services
auf LTE-Basis folgen.

Marathon-Poker um LTE-Frequenzen

Es scheint wieder etwas länger zu dauern: Am 12. April startete im Dienstgebäude der
Bundesnetzagentur in Mainz die Versteigerung der Frequenzen für den LTE-Breitbandmobilfunk – am 7.
Mai mittags summierten sich die Gebote nach 153 Runden auf insgesamt rund gut 3 Milliarden Euro.
Nach wie vor sind alle vier der angetretenen Bewerber im Rennen – Erste MVV Mobilfunk
Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH (E-Plus), Telefónica O2 Germany GmbH & Co. OHG, T-Mobile
Deutschland GmbH und Vodafone D2 GmbH – ein Ende der Versteigerung ist nicht abzusehen.

Mehr als 50 Milliarden Euro so wie im Jahr 2000 bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen werden
diesmal sicher nicht zusammenkommen. Zumindest haben Experten vor Versteigerungsbeginn einhellig
Einschätzungen abgegeben, wonach der Gesamtbetrag deutlich im einstelligen Milliardenbereich
bleiben wird.

Zu einem harten Kampf könnte es letztlich zwischen E-Plus und O2 kommen. Die beiden
Mobilfunkbetreiber hatten nach Bekanntgabe des Versteigerungsverfahrens bereits gegen ungerechte
Bedingungen geklagt und sogar von der EU Unterstützung erhalten. Die Klage wurde dennoch abgewiesen
– die Bundesnetzagentur will lediglich im Nachgang der Versteigerung die Wettbewerbsbedingungen
untersuchen und gegebenenfalls korrigieren. Worum es geht, sind die begehrten Frequenzen im
800-MHz-Bereich. Hier könnten sich T-Mobile und Vodafone zwei Drittel der sechs zur Verfügung
stehenden Frequenzpakete à 10 MHz sichern, sodass für E-Plus und O2 nur noch ein Drittel bliebe,
das sie sich teilen müssten.


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