Glosse: Social-Media-Experiment führt zu GEZänk

19. Februar 2010, 13:11 Uhr |

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, rät der Volksmund. Er sollte aber auch um sein Glashaus herum keine Wurfgegenstände bereitlegen. Oder gar Katapulte parken. Dies gilt auch im Bereich Social Media: Im Web 2.0 ist das interaktive Glashaus nur einen virtuellen Steinwurf weit entfernt.

Viele Unternehmen schrecken vor dem Thema Social Media zurück, weil sie verbalen oder gar
multimedialen Vandalismus befürchten. In aller Regel sind diese Befürchtungen – das stellen
Unternehmen dann oft zur eigenen Überraschung fest – allerdings völlig unbegründet. Eine Ausnahme
bilden Unternehmen, Institutionen und Organisationen, die bei nennenswerten Teilen der Bevölkerung
ausnehmend unbeliebt sind, aus welchen Gründen auch immer – also etwa Politessen, das Finanzamt,
die Gebühreneinzugszentrale  (GEZ) der Radio- und TV-Sendeanstalten oder der "Kundenservice?
der Deutschen Telekom.

Derartige Außenseiter dürften kaum hoffen, auf Facebook nennenswert über eine zweistellige Zahl
von Fans hinauszukommen – außer sie arbeiten mit unlauteren Mitteln – wie laut Medienberichten der
Deutsche Bauernverband oder die
Süddeutsche Zeitung – und erklären sich damit
praktisch bereit, sich "#socialmediafail? auf die Stirn tätowieren zu lassen.

Vor diesem Hintergrund ist es eher unwahrscheinlich, dass Politessen sich zusammentun, um ein
Wiki namens politessen-beschimpfung.de aus der Taufe zu heben. Und das Finanzamt wird hoffentlich
nie unsere Steuergelder dafür verschwenden, das Diskussionsforum sag-dem-finanzamt-deine-meinung.de
aufzusetzen oder auf Facebook Fans einsammeln zu gehen.

Ganz anders hingegen die GEZ: Unter
www.gez-meine-meinung.de haben die Gebühreneinzieher Anfang
Februar – voll am Puls der Zeit, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen eben ist – ein
Social-Software-Portal freigeschaltet. Allerdings
nur von Montag bis Freitag und von 8 bis 22 Uhr (außer an
NRW-Feiertagen)
, denn es ist ein moderiertes Forum, und als GEZ-Moderator hat man eben
geregelte Arbeitszeiten, da muss sich der Kunde schon danach richten.

Seither diskutiert die Web-2.0-Szene – mal amüsiert, mal verärgert, gerne auch mal sarkastisch,
aber durchaus auch konstruktiv (siehe
hier und
hier) – über das Social-Media-Gebaren der
Geldeintreiber für das (überwiegend) öffentlich-rechtliche Sendegeschehen – und darüber, wie
eklatant die GEZ Ausmaß und Härte der zu erwartenden negativen Kommentare unterschätzt hat. Man
wollte ein Forum für den Meinungsaustausch der Teilnehmer untereinander bieten – um dann selbst als
Zielscheibe zahlreicher Verbalattacken dazustehen.

Die Forumsbetreiber haben einen Verhaltenskodex veröffentlicht – was sinnvoll und auch gar nicht
zu beanstanden ist – und mussten feststellen: Einige Diskutanten verschafften – wer hätte das je
gedacht? – ihrem angestauten Unmut über die als gesetzlich sanktioniertes Raubrittertum empfundene
GEZ-Aktivität reichlich unverblümt Luft – oft schon in der Wahl ihres Alias für das Forum. Und so
sahen sich die GEZ-Moderatoren genötigt, einige Beiträge sowie selbstverliehene beleidigende
Teilnehmernamen zu löschen. Was den Moderatoren – auch dies war abzusehen – geradezu zwangsläufig
den Vorwurf der Zensur einbrachte und die Debatte natürlich erst recht aufheizte. Ein klassischer
Social-Media-Fehlstart – nur diesmal eben mit "Ladenöffnungszeiten? und auf Kosten der
Gebührenzahler.

Das PR-Team von US-Präsident Obama – dessen Wahlkampf für effektive Social-Media-Nutzung hoch
gelobt worden war – kommuniziert auf
www.whitehouse.gov mit dem US-Volk auf einer Web-2.0-fähigen
Drupal-Plattform – nutzt diese aber als reines Push-Medium für Informationen (wie
hier schon einmal erwähnt). Denn
Obamas Kommunikationsprofis wissen: Ein Forum hätte enorme Anziehungskraft für die Steinewerfer aus
dem republikanischen Lager. Also lassen sie die Finger davon.

Denn Social Software ist kein Allzweckwerkzeug für jeden Kommunikationsbedarf. Dass die GEZ sich
auf eine Social-Software-Plattform eingelassen hat, war deshalb, nun ja: mutig. Nicht intelligent,
aber mutig.

Denn abgesehen davon, dass die GEZ auf die erwartbaren Flames nicht angemessen vorbereitet war,
fehlt der Plattform gez-meine-meinung.de die Antwort auf eine zentrale Frage: Warum gibt es das
Forum überhaupt?

Die GEZ-Kritiker im Web 2.0 – "internetaffine Zielgruppen?, die die GEZ laut eigener
Pressemitteilung mit dem Forum erreichen wollte – sind häufig verärgert darüber, dass der
Gebühreneinzug auf TV-taugliche Computer ausgedehnt werden soll. Und diesem Ärger machen sie schon
längst in diversen Foren Luft, etwa in der Facebook-Gruppe "Gegen GEZ? mit über 1.500
Mitgliedern.

Dabei hätte das Thema – dies hat die GEZ immerhin erkannt – durchaus eine grundlegende und
ernsthafte Debatte verdient. Denn einerseits bewahren uns staatlich subventionierte Medien eine
gewisse informationelle Grundsicherung: Mir sind "tagesthemen?, "heute journal? oder "hart aber
fair? allemal lieber als das, was viele US-Fernsehstationen ihrem Publikum als "Nachrichtensendung?
oder "Polit-Talk? vorsetzen. Andererseits ist im Web-2.0-Zeitalter – in dem jeder Anwender Sender
und Empfänger zugleich ist – nicht mehr vermittelbar, wieso zum Beispiel ein Blogger selbst Inhalte
gratis produzieren, dann aber verkrustete Beamtenapparate für ein antiquiertes Subventionsfernsehen
bezahlen soll. Aus Sicht der Fernsehmacher eine Zwickmühle, die aber jene oft gar nicht erst
erkennen, die eine Wikinomics-Mentalität bereits verinnerlicht haben oder gar mit ihr aufgewachsen
sind.

Social-Software-Plattformen sind sinnvoll und nützlich, wenn ein Unternehmen oder eine
Organisation den Anwendern damit Werkzeuge liefern kann, um sich besser zu vernetzen und produktiv
auszutauschen – wie das etwa in
Microsofts Technet oder in
IBMs zahlreichen Communities passiert. GEZ-Gegner können sich aber
auch ohne Hilfe der GEZ ganz gut selber vernetzen. Aus ihrer Sicht kommt deshalb nun eine
Kontrollinstanz daher, macht eine "Social?- Plattform auf und will damit die Debatte
kontrollieren.

Dies muss natürlich erst einmal zum Eklat – oder zumindest zum Sturm im Wasserglas – führen.
Wenn die GEZ Glück hat, verfliegt irgendwann der Reiz, auf gez-meine-meinung.de Flames zu posten,
und es kommt mit einigem Zeitverzug doch noch ein Debättchen in Gang, wenngleich in einem
ramponierten Glashaus.

Sinnvoller wäre es jedenfalls gewesen, die GEZ hätte sich in den diversen bestehenden Foren auf
die sowieso schon längst laufende Diskussion mit den Web-2.0-Anwendern eingelassen. Natürlich nur
werktags von 8 bis 22 Uhr (außer an NRW-Feiertagen).

LANline/
Dr. Wilhelm Greiner


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