Von Novell Open Enterprise Server (OES) existiert nun die zweite Version. Die Serverdienste, die sich sowohl unter Netware als auch unter Linux nutzen lassen, bringen unter anderem die Unterstützung von Xen für die Virtualisierung. Der Beitrag nimmt die Neuerungen und das weiterentwickelte Konzept der Serverplattform unter die Lupe.
Das Leitthema der zweiten OES-Version ist – wenn auch nicht von Novell explizit so formuliert –
der Schritt von Netware zu Linux. Mit dem ersten Release von OES (siehe LANline 5/2005) hatte
Novell bereits sehr viele der klassischen Netware-Dienste wie die NSS (Novell Storage Services)
oder die NCS (Novell Cluster Services) auch auf der Basis von SLES (Suse Linux Enterprise Server)
verfügbar gemacht. Diesen Weg setzt der Hersteller konsequent fort. Das Ergebnis ist eine
Linux-basierende Serverplattform, die Netware-Server immer besser ersetzen kann, auch in den
Bereichen, die eine klassische Domäne von Netware sind – wie insbesondere den
Fileserver-Diensten.
Gleichzeitig unterstützt Novell aber auch mit neuen Migrationswerkzeugen und integrierten
Virtualisierungstechniken den langsamen Übergang von Netware zu Linux noch besser als in der ersten
OES-Version. Mit der Virtualisierung lassen sich Netware-Server als Instanzen auf einem
Linux-System betreiben. Damit kann die Administration beispielsweise auf 64-Bit-Hardware umstellen,
ohne auf Netware verzichten zu müssen. Dies ist für bisherige Netware-Anwender durchaus wichtig, um
nicht unter Zeitdruck das Serverbetriebssystem wechseln zu müssen.
Bei OES 2 wird allerdings auch deutlich, dass Novell nur noch begrenzt in die Netware-Plattform
investiert. Dort finden sich zwar einige funktionale Verbesserungen im Rahmen der neuen Version,
der Schwerpunkt liegt aber in der Verbesserung der Funktionalität auf der Linux-Plattform.
Deutlich erkennbar ist diese Entwicklung aber auch daran, dass Novell weiterhin auf der Basis
von Netware 6.5 arbeitet, das nur durch Support-Packs aktualisiert wurde, während bei der
Linux-Version der Wechsel zu SLES 10 erfolgt ist. Letzteres bringt tatsächlich eine Reihe von
Vorteilen – unter anderem durch eine einfachere Installation.
Diese Strategie auf Betriebssystemebene hat auch zur Folge, dass nur von Linux eine
64-Bit-Version existiert, nicht aber von Netware. Letzteres bedeutet, dass sich 64-Bit-Hardware
ausschließlich mit Linux voll nutzen lässt. Allerdings können die Anwender Netware-Server
virtualisiert auf der 64-Bit-Variante von SLES 10 einsetzen.
Auch wenn Novell nicht offen davon spricht: Die Neuerungen bei OES 2 machen deutlich, dass sich
Netware dem Ende seines Lebenszyklus nähert. Die Migrations- und Koexistenzstrategie eröffnet den
Anwendern jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg einen Übergang sowie den weiteren Betrieb von
Netware-Servern. Außerdem ist die funktionale Übereinstimmung zwischen der Netware- und der
Linux-Version von OES 2 weiter fortgeschritten. Auch bisherige Performance-Nachteile gegenüber
Netware verlieren damit an Gewicht, da der Anwender unter Linux die Potenziale leistungsfähiger
Hardware deutlich besser ausnutzen kann.
Bei der generellen Positionierung des Produkts hat sich im Vergleich zur ersten Version von OES
nichts geändert. OES gilt als Plattform für Unternehmen, die spezifische File- und
Printserverdienste benötigen sowie Verzeichnisdienste, um leistungsfähige Serverplattformen
aufbauen zu können. Hier steht einerseits Netware zur Verfügung, mit seiner über Jahre bewiesenen
Leistungsfähigkeit, und andererseits existieren die Erweiterungen für Standard-Linux-Server, mit
denen bewährte Konzepte von Netware portiert wurden. Letztere machen aus SLES einen spezialisierten
Server für die genannten Einsatzbereiche, mit Vorteilen im Vergleich zur Standardversion von SLES –
und anderen Linux-Varianten.
Novell zielt damit klar auf den Enterprise-Bereich und will einerseits die bestehende
Netware-Anwenderbasis erhalten – und wenn möglich auf die Linux-Variante von OES migrieren – sowie
andererseits ihre eigene Position im Linux-Servermarkt verbessern. OES 2 dürfte dabei sicher ein
gutes Argument sein. Novell ergänzt diese Strategie beispielsweise auch um Initiativen für die
Hochverfügbarkeit und andere im professionellen Serverbetrieb erforderliche Funktionen.
Die wichtigste neue Funktion bei OES 2 stellt zweifelsohne die Xen-Virtualisierung dar, also die
Möglichkeit, mehrere Serverinstanzen auf einem physischen Server zu betreiben. Darüber hinaus
finden sich aber eine Reihe weiterer größerer sowie viele kleine Verbesserungen. Bei den großen
Änderungen sind die neuen Migrationswerkzeuge, das Dynamic Storage Management und die Unterstützung
der "Archive and Version Services" unter Linux erwähnenswert.
Deutlich erweitert wurde auch der NRM (Novell Remote Manager). Dabei handelt es sich um ein
Browser-basierendes Werkzeug für das Servermanagement. Dieses war zwar schon mit der ersten Version
von OES auch für Linux verfügbar, aber doch mit erheblichen funktionalen Einschränkungen. Die
meisten bisherigen Restriktionen sind bei OES 2 beseitigt. Insbesondere existiert nun auch unter
Linux ein "Server Health Monitoring", mit dem sich der Zustand des Servers schnell analysieren
lässt. Darüber hinaus finden sich viele kleine Optimierungen wie die Unterstützung von Cron-Jobs im
NRM für Linux sowie Nachbesserungen dort, wo bisher noch Unterschiede zwischen den beiden
Plattformen existierten.
Die Virtualisierung von Servern hat sich in den letzten beiden Jahren zu einem der wichtigsten
Themen bei der Gestaltung der IT-Infrastruktur entwickelt. Virtualisierungsfunktionen finden sich
als Standard in immer mehr Betriebssystemen – zusätzlich zu den spezialisierten Produkten, die
schon seit einiger Zeit auf dem Markt sind.
Novell hat sich bei OES 2 für die Xen-Virtualisierung entschieden, was in Anbetracht des langen
Engagements des Herstellers in diesem Umfeld auch zu erwarten war. Zudem stellt die
Xen-Virtualisierung auch die Basis für die Zusammenarbeit mit Microsoft dar, wobei es mit Windows
Server 2008 eine gegenseitige Unterstützung der jeweiligen Virtualisierungstechnologien geben
soll.
Als Basis für virtualisierte Systeme dient SLES 10, wobei der Anwender sowohl mit der
OES-Variante als auch ohne OES arbeiten kann. Da Xen einen Hypervisor-basierenden Ansatz nutzt,
handelt es sich bei einem entsprechenden Server um keinen klassischen Host, sondern um das
steuernde System, das sich grundsätzlich auch selbst produktiv einsetzen lässt. Als Child-Systeme
können in dieser Konstellation sowohl normale SLES-10-Server als auch solche mit OES 2 fungieren
sowie Netware-Server mit OES 2. Zukünftig wird auch Windows Server 2008 zu dieser List zählen.
Außerdem sollten sich grundsätzlich alle anderen Systeme mit Xen-Unterstützung nutzen lassen.
Die Implementierung virtualisierter Systeme will gut geplant sein, um ausreichend
Hardware-Ressourcen bereitzustellen und die Funktionen sinnvoll auf Server aufzuteilen. Gerade die
Option, sowohl OES 2 mit Linux als auch mit Netware auf einer gemeinsamen physischen Maschine
betreiben zu können, dürfte sicher für viele bisherige Netware-Anwender interessant sein. Denn –
wie erwähnt – bildet die Virtualisierung auch die Basis für eine schrittweise Migration des
Betriebssystems.
Die zweite wichtige Neuerung ist das so genannte Dynamic Storage Management (DSM). Dabei handelt
es sich um ein neues Konzept im Bereich des Speichermanagements, das insbesondere als Alternative
zu herkömmlichen HSM-Ansätzen konzipiert ist. HSM (Hierarchical Storage Management) erlaubt die
Auslagerung von Daten auf Datenträger mit niedrigeren Kosten nach definierten Regeln. Klassisch
kommen dabei Bandlaufwerke zum Einsatz. Bei HSM ist für den Zugriff auf die ausgelagerten Daten
allerdings ein "Wiedereinlagern" in das System erforderlich. Dies dauert grundsätzlich eine gewisse
Zeit, die einerseits von den für die Auslagerung verwendeten Datenträgern und andererseits von
eventuellen manuellen Eingriffen der Operatoren abhängt.
DSM arbeitet dagegen mit einem zweistufigen Verfahren, das einerseits den primären Speicher und
andererseits einen sekundären Speicher vorsieht. Als primärer Speicher sind insbesondere
performante, hoch verfügbare Speichersysteme wie etwa SANs oder lokale RAID-Systeme konzipiert. Der
sekundäre Speicher muss ebenfalls online verfügbar sein, kann aber beispielsweise aus einfachen,
nicht redundanten Festplatten bestehen, die preisgünstiger sind.
Auf beiden Speichermedien sind grundsätzlich identische Verzeichnisbäume angelegt, wobei ein
Teil der Informationen auf den primären Speichermedien liegt, der andere dagegen auf den
sekundären. Dabei können die Speichersysteme unterschiedlicher Natur sein und sogar mit
verschiedenen Zugriffsprotokollen – also CIFS (Common Internet File System) oder NCP (Netware Core
Protocol) – arbeiten. Wenn Daten auf dem sekundären Speichermedium liegen, lässt sich dennoch
direkt und entsprechend schnell auf diese zugreifen. Das Konzept von DSM bietet damit die Vorteile
von HSM durch die Auslagerung von Daten auf günstigere Speichermedien, ohne die Nachteile dortigen
in Kauf nehmen zu müssen.
DSM ist damit auch keine Alternative zu den so genannten Distributed File Services (DFS) von
Novell, da es eben nicht darum geht, verschiedene Dateisysteme in einer logischen Struktur zu
kombinieren, sondern die Daten aus einer logischen Struktur auf mehrere physische Laufwerke zu
verteilen. DSM und DFS sind damit komplementäre Konzepte, die sich für die Gestaltung der
Storage-Konzepte nutzen lassen.
Bei den Migrationswerkzeugen stellt Novell von den bisherigen SCMT (Server Consolidation and
Migration Tools) auf die "OES Migration Tools 1.0" um, bei denen es sich genau genommen um einen
funktionalen Nachfolger handelt. Die OES Migration Tools 1.0 unterstützen allerdings sehr viel mehr
Quellsysteme, von denen sich Daten und Berechtigungen in das NSS von OES-Servern migrieren lassen,
als dies noch bei den SCMT der Fall war. Im Übrigen bleibt das Grundkonzept aber gleich: Es geht um
eine einfache Übernahme von Informationen hin zu OES, um die Umstellung von Servern so einfach wie
möglich zu gestalten. Als Quellsysteme kommen dabei Netware, Windows und Linux in Frage.
Eines der größten Defizite bei der ersten Version von OES für Linux war die fehlende
Unterstützung der Novell Archive and Version Services. Mit diesen lassen sich beispielsweise
Snapshots von Laufwerken zur Laufzeit durchführen, um geänderte Dateien zu sichern und einfach
wiederherstellen zu können. Auch andere Archivierungsfunktionen stehen zur Auswahl.
Diese Tools stehen jetzt auch bei OES für Linux zur Verfügung. Die Technik setzt auch eine
erweiterte Implementierung der Novell Storage Services voraus, die "Pools" und andere Konzepte
unterstützt. Eine Konsequenz der Erweiterungen bei den NSS ist zudem, dass sich nun unter Linux
auch Software-RAIDs für das NSS und Quotas – also Plattenplatzbeschränkungen für die Benutzer –
nutzen lassen.
Die Novell Archive and Version Services stellen ferner ein gutes Beispiel dar für
Enterprise-Funktionen, die via OES unter Linux verfügbar sind und auf jeden Fall einen Mehrwert im
Vergleich zu Standardvarianten von Linux-Servern darstellen – selbst wenn Fremdprodukte zumindest
einen Teil der Funktionalität abdecken könnten.
Bemerkenswert bei OES 2 sind auch die Änderungen in der Installation. Bei der Linux-Variante
muss der Administrator zunächst SLES 10 einrichten, dessen Installation signifikant einfacher ist
als die der Version 9. Anschließend lässt sich – nachdem der Datenträger als zusätzliche
Installationsquelle manuell definiert ist – die Installation der OES-Dienste durchführen. Diese ist
in das Linux-Tool Yast integriert. Allerdings setzt die Konfiguration teilweise auch die Nutzung
ergänzender, meist befehlszeilenorientierter Werkzeuge voraus. Durch die umfassende Dokumentation
von OES gestaltet sich die Einrichtung der speziellen Dienste jedoch als relativ einfach.
Allerdings muss der Administrator gut planen, welche Dienste in welcher Form genutzt werden sollen,
gerade wenn es um einen gemischten Betrieb der Linux- und Netware-Versionen geht. Dies galt schon
bei der ersten OES-Version und hat sich auch jetzt nicht geändert.
In der Summe stellt OES 2 eine klare Verbesserung im Vergleich zur ersten Version dar. Novell
ist mit dem Konzept von OES auf einem guten Weg, sowohl ihre Position als Anbieter im
professionellen Linux-Servermarkt zu stärken, als auch ihren bestehenden Netware-Anwender einen
sinnvollen Migrationspfad anzubieten. OES 2 ist als Produkt deutlich interessanter, als es bei
flüchtiger Betrachtung vermuten lässt, da es in der Lage ist, das Beste aus zwei verschiedenen
Betriebssystemwelten zu kombinieren.