Helpdesk-Mitarbeiter verlassen sich bei der Fehlersuche allzu oft auf Trial and Error (Versuch und Irrtum) und auf ihre Intuition, statt konsequent systematisch und analytisch vorzugehen. Dies betrifft junge Nachwuchskräfte ebenso wie alte Helpdesk-Hasen. Dabei steckt im strukturiert und zielgerichtet geführten Support-Gespräch ein enormes Optimierungspotenzial, das es auszuschöpfen gilt.
Supporter Mustermann hat wieder einmal einen Anwender an der Strippe mit der Aussage: "Ich kann
nicht drucken." – "Hm, Ihr Drucker geht also nicht. Haben Sie bereits überprüft, ob der Drucker
angeschaltet ist?" – "Ja." – "Papier ist auch im Schacht?" – "Ja." – "Eine Fehlermeldung ist wohl
nicht gekommen!?" – "Nein." – "Dann kann es ja eigentlich nur noch an Ihrem Programm liegen. Aus
welchem Programm wollen Sie drucken?" – "Aus Word." – "Dann klicken Sie mal den Button ?Datei? an.
Haben Sie?" – "Hab ich." – "Dort gehen Sie auf das Untermenü ?Drucken?." – "Ja." – "Welcher Drucker
wird dort angezeigt?" – "HP Laserjet 4000 Plus." – "Ist das der Drucker, über den Sie ausdrucken
wollen?" – "Ja." – "Hm, da weiß ich im Moment auch nicht weiter. Ich mach‘ mich schlau und ruf Sie
dann zurück! Einverstanden?" – "Ja, aber bitte sobald wie möglich!" – "Klar doch."
Das Beispiel verdeutlicht, was Supporter bei der Fehlersuche falsch machen können:
Problembestandsaufnahme? Fehlanzeige! Der Supporter weiß lediglich, dass der Anwender nicht drucken
kann. Gleichwohl steigt er sofort in die Fehlersuche ein. Funktionierte der Drucker überhaupt schon
einmal? Wenn ja, wann zuletzt? War zwischenzeitlich jemand anders am PC des Anrufers und hat
womöglich die Einstellungen unter Word oder Windows verstellt? Ist der Laserjet überhaupt ein
Netzwerkdrucker? Hat er Verbindung zum Server? Kann der Anwender nur diese doc-Datei nicht drucken
oder auch andere Dateien nicht? Geht das Drucken von diesem PC auf diesen Drucker überhaupt? Solche
und andere Fragen zum Problemverständnis fehlen. Da kann nicht verwundern, dass die Fehlersuche
unsystematisch und unvollständig ist.
So oder ähnlich verläuft der Alltag der Fehlersuche bei so manchem Supporter. Die Fehler der
Supporter bei der Fehlersuche ähneln sich, egal ob im Softwarehaus, im Systemhaus oder im
IT-Anwendungsunternehmen wie im Beispiel oben. Der Kasten auf Seite 42 gibt dazu einen groben
Überblick.
Die Fehlersuche im IT-Support basiert also überwiegend auf "Trial and Error" – systematisches
und analytisches Vorgehen bei der Fehlersuche im IT-Support ist eher die Ausnahme denn die Regel.
Trial and Error ist nicht per se eine schlechte Methode der Fehlersuche. Die Methode hat ihre
Existenzberechtigung: Bei einfachen und bekannten Anwenderproblemen kommt der erfahrene Supporter
so häufig schnell zum Ziel. Neuen, jungen Supportern fehlt jedoch häufig die Erfahrung und
Intuition, um Trial and Error erfolgreich einzusetzen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als
systematisch und analytisch vorzugehen. Bei schwierigen und unbekannten Anwenderproblemen hilft
zudem auch dem langjährigen Supporter seine Erfahrung und Intuition nicht weiter. In solchen Fällen
muss auch der "alte Hase" systematisch und analytisch vorgehen.
Jede Methode zu ihrer Zeit: Der Anfänger im IT-Support sollte lernen, systematisch-analytisch
statt spontan-intuitiv vorzugehen, bei einfachen und schweren, bei bekannten und unbekannten
Anwenderprob-lemen. Auf diese Weise wird er mehr Lösungen in kürzerer Zeit finden. Sein
systematisch-analytisches Denken und Handeln wird trainiert und im Laufe der Zeit zu einer
Selbstverständlichkeit, deren er sich gar nicht mehr bewusst ist.
Irgendwann wird aus dem Junior-Supporter ein Senior-Supporter. Er hat viele Erfahrungen
gesammelt und gespeichert, die er bei Bedarf aus seinem Langzeitgedächtnis abrufen kann. Er muss
dann keine bewusste Komplexitätsreduktion mehr betreiben und die Fehlerursachen konzentriert und
angestrengt durchchecken. Er weiß intuitiv, welche Fragen er gleich zu Beginn der Fehlersuche zu
stellen hat, um ganze Ursachenbereiche auf einmal ausschließen zu können.
Auf den ersten Blick mag dies wie Trial and Error aussehen, bei genauerer Betrachtung ist es das
aber nicht: Der erfahrene Supporter reaktiviert lediglich Fehlersuchstrategien, die er früher schon
ein- oder mehrmals erfolgreich angewandt hat. Er muss sich die Struktur potenzieller Ursachen des
gemeldeten Problems nicht mehr veranschaulichen, notieren, visualisieren: Er hat die
Problembeschreibung vor Augen, und sucht dazu das passende Bild aus der Vergangenheit. Hat er
dieses Bild im Gedächtnis gefunden, hangelt er sich mehr oder weniger systematisch daran entlang.
Für ihn ist es Intuition. Tatsächlich ist es Lernen, Speichern und fallbezogenes Wiederaufrufen.
War allerdings die Fehlersuche des langjährigen Supporters auch früher schon unsystematisch und
chaotisch, dann wird er keine passenden Bilder im Gehirn finden, weil nie welche abgespeichert
wurden. Chaotisches Denken und Handeln lässt sich eben nur schwer als Bild ablichten und
abspeichern.
Daraus folgt: Nicht jeder langjährige Supporter ist ein erfahrener Supporter im hier gemeinten
Sinn. Wer schon als Support-Anfänger überwiegend Trial and Error praktizierte und nicht
systematisch und analytisch vorging, hat damals keine Fehlersuchstrategien im Langzeitgedächtnis
abgespeichert. Er praktiziert heute wie damals echtes Trial and Error. Nach fast 15 Jahren
Support-Training und Support-Coaching und über 2000 beobachteten Supportern aus Softwarehäusern,
Systemhäusern und IT-Anwendungsunternehmen schätzen wir diese Gruppe der chaotischen
Senior-Supporter auf mehr als 50 Prozent aller Senior-Supporter. Zusammen mit den Junior-Supportern
haben also weit mehr als 50 Prozent aller Support-Mitarbeiter Qualifizierungsbedarf in puncto "
systematische Fehlersuche", auch wenn sie dies selbst nicht so sehen.
Selbst der beste Senior-Supporter scheitert mit seiner Erfahrung und Intuition, wenn es sich um
ein völlig neues und noch dazu um ein komplexes Problem handelt. Weiteres Trial and Error führt
unter diesen Bedingungen nur dazu, dass der Zeitaufwand eskaliert, während gleichzeitig die
Lösungswahrscheinlichkeit sinkt. Spätestens dann braucht auch der alte Hase Komplexitätsreduktion
und sequenzielles Abarbeiten. Spätestens dann muss auch er sich die Ursachenkomplexe und
zugehörigen Einzelursachen visualisieren und systematisieren, um das Unüberschaubare überschaubar
zu machen.
Ganz oben auf der Maßnahmenliste zur Optimierung der Fehlersuche steht die Forderung an den
Teamleiter IT-Support, den Leiter IT-Services und den Leiter IT, sich dieses Themas erst einmal
anzunehmen und sich bewusst zu machen, welch enormes Verbesserungspotenzial darin steckt.
Bislang bekommen nur wenige Support-Chefs hautnah mit, wie ihre Mitarbeiter Support-Gespräche
führen und wie sie während des Telefongespräches oder danach die Fehlersuche betreiben. Kaum ein
Chef setzt sich neben seine Mitarbeiter und hört zu, schreibt mit, gibt Feedback und macht
Verbesserungsvorschläge, schon gar nicht regelmäßig. Das Mitschneiden und Auswerten von
Telefongesprächen zwecks Qualitätsverbesserung findet zwar in Call-Centern, kaum aber in
Support-Organisationen statt. Support-Leiter bekommen in der Regel nur dann einen Eindruck von der
Gesprächsführung und Fehlersuche ihrer Mitarbeiter, wenn Kunden sich beschweren. Besonders
repräsentativ und aussagekräftig sind solche Eindrücke nicht.
Was sollte der Support-Chef noch unternehmen? Es folgen einige Vorschläge:
Der Support-Leiter sollte Bewusstsein für mehr systematische Fehlersuche bei den Mitarbeitern
wecken und Wege aufzeigen, wie man selbst während eines laufenden Support-Gesprächs unter Zeitdruck
so vorgehen kann. Es bietet sich an, ein Inhouse-Training für systematische Fehlersuche mit allen
Supportern durchzuführen.
Das gelernte Wissen bleibt blanke Theorie, wenn es nicht kontinuierlich geübt und eingefordert
wird. Es geht um eine Verhaltensänderung der Support-Mitarbeiter, und diese ist nicht dadurch zu
erreichen, dass der Support-Chef einfach "einen Hebel umlegt". Nachhaltige Verhaltensänderung
bedarf regelmäßiger Anstöße. Ein Tipp: Jährlich finden zwei Coaching-Tage statt, an denen ein
externer Coach alle Supporter am Arbeitsplatz bei Live-Gesprächen beobachtet und ihnen anschließend
im Gespräch Rückmeldung gibt, was gut war und was wie verbessert werden muss.
Pro Supporter und Monat werden zehn Support-Gespräche zufällig ausgewählt und digital
aufgezeichnet, am besten automatisiert. Gemäß den gesetzlichen Anforderungen wird der Anrufer im
Ansagetext informiert: "Unsere Support-Gespräche können zwecks Qualitätsverbesserung aufgezeichnet
werden." Der Teamleiter IT-Support hört sich alle zehn Aufzeichnungen an und wertet diese mittels
standardisierter Checkliste aus. Die Ergebnisse wandern in die Personalakte und objektivieren die
jährliche Leistungsbeurteilung des Mitarbeiters. Zugleich wählt der Teamleiter IT-Support das beste
und schlechteste Support-Gespräch je Supporter aus, spielt diese dem Betroffenen im monatlichen
Mitarbeitergespräch vor, gibt Feedback zu Positivem und Verbesserungswürdigem. Alternativ übernimmt
dies ein externer Coach.
Der Teamleiter IT-Support führt regelmäßig einmal in der Woche eine Teambesprechung durch.
Ständiger Tagesordnungspunkt ist das Support-Gespräch oder die Fehlersuche der Woche. Der
Teamleiter führt die besten Gespräche aus den Mitschnitten des vergangenen Monats vor. Diese werden
gemeinsam im Team analysiert und dienen als Vorbild für alle zukünftigen Gespräche. Auf diese Weise
bleibt professionelle Gesprächsführung und systematische Fehlersuche permanent ein Thema, und dies
über Jahre hinweg.
Jährlich einmal findet am Freitag und Samstag ein Workshop zur Ausarbeitung von Checklisten zur
Fehlersuche statt. Im Halbstundentakt erarbeiten Teams gemeinsam neue Checklisten zu neuen
Problemen. Die Ergebnisse dokumentiert und visualisiert der Moderator laufend am Flip-Chart.
Arbeitsgruppen aktualisieren ältere Checklisten. In der kommenden Woche baut der
Systemverantwortliche die Checklisten ins Helpdesk-System ein. So stehen sie allen Supportern zur
Verfügung. Insbesondere für Junior-Supporter ist der Rückgriff auf diese Checklisten hilfreich. Die
geführte Fehlersuche gibt Sicherheit und erlaubt die Annahme und Bearbeitung von Support-Fällen,
die sich der Nachwuchsmitarbeiter andernfalls noch nicht zugetraut hätte. Die Checklisten
navigieren aber auch erfahrene Supporter auf kürzestem Weg zum Fehler, insbesondere dann, wenn
diese eine Fehlersuche zu Hardware oder Software betreiben sollen, bei der sie sich nicht so gut
auskennen.
Gemäß den Support-Gesprächsphasen werden unterschiedliche Eingabefelder im Helpdesk-System
eingerichtet, nämlich ein Feld für die Bestandsaufnahme, eines für die Ursachenanalyse und ein
weiteres für die Problemlösung. Sind alle drei Felder als Mussfelder eingerichtet, dokumentieren
die Supporter endlich auch das, was heute noch sträflich vernachlässigt wird: die Ursachenanalyse.
Deren Dokumentation ist aber eine entscheidende Voraussetzung für den Aufbau einer
Support-Datenbank, die dem Helpdesk-Mitarbeiter bei der Recherche nach ähnlichen Fällen der
Vergangenheit wirklich weiterhilft.
Der Chef sucht sich jeden Monat aufs Neue die besten Dokumentationen zur Fehlersuche aus dem
Helpdesk-System heraus und stellt sie per Laptop und Beamer in der Teambesprechung vor. Die
verantwortlichen Mitarbeiter werden vor versammelter Mannschaft gelobt und prämiert. Auf diese
Weise wird die vielfach ungeliebte Helpdesk-Dokumentation regelmäßig thematisiert in der
Überzeugung: "Steter Tropfen höhlt den Stein."
Jährlich führt der Chef eine Leistungsbeurteilung aller Supporter durch, selbst dann, wenn die
Geschäftsleitung oder das Personalwesen dies nicht vorschreibt. Wichtigstes Kriterium der Leistung
jedes Supporters ist dessen Gesprächsführung und Fehlersuche. Denn Anwenderprobleme
serviceorientiert anzunehmen sowie kompetent und schnell zu lösen ist das Kerngeschäft jedes
Supporters. Damit sind professionelle Gesprächsführung und systematische Fehlersuche
Kernqualifikationen jedes Supporters.
Das Verbessern der Fehlersuche bringt dem Support-Team und jedem einzelnen Supporter die
Steigerung der Sofortlösungsquote, also der Zahl der gleich im ersten Anlauf gelösten Incidents
relativ zur Zahl der gemeldeten Incidents. Zugleich sinken die durchschnittliche Lösungszeit und in
der Folge die durchschnittliche Gesprächsdauer.
Durch effektive Fehlersuche und Fehlerlösung lassen sich Produktivitätsreserven von bis zu 50
Prozent im IT-Support erschließen. Ein weiter steigendes Nachfragevolumen im IT-Support kann mit
geringerem Personalzuwachs bewältigt werden. Vor allem aber steigen die Lösungsqualität des
IT-Supports und in der Folge auch die Kundenzufriedenheit und das Image der Support-Truppe. Allein
schon deswegen sollten Helpdesk-Teams in dieser Hinsicht aktiv werden.
1. Unzureichende Problembestandsaufnahme
mangelnde Aufmerksamkeit für den Anwender und sein Problem
selektive Wahrnehmung während der Problembeschreibung durch den Anwender
Supporter stellt keine oder zu wenig Fragen
keine Frage nach oder keine Reproduktion der Fehlermeldung
keine Frage danach, ob und wann das betreffende Gerät zuletzt funktionierte
Supporter verwendet falsche Frageform (geschlossene statt offener Fragen, Suggestivfragen etc.)
kein Nachhaken bei unzureichenden Antworten des Anwenders
keine Absicherung, ob das Problem des Anwenders richtig verstanden wurde
vorschneller Einstieg in die Fehlersuche
2. Unzureichende Problemursachenanalyse
kein Überblick über Fehlerquellen
keine Struktur oder Systematik in der Fehlersuche
keine Zeit sparende Reihenfolge beim Ursachencheck
wildes Hin- und Herspringen bei der Fehlersuche
Übersehen potenzieller Fehlerursachen
Doppelcheck einzelner Fehlerursachen
Verrennen und Festbeißen in Sackgassen
vorschnelles Aufgeben und Vertrösten des Anwenders
Mehraufwand durch Nachbearbeitung des Support-Falls
Remote Support: thematisches Vagabundieren
zu frühes Aufgeben zugunsten von "Turnschuh-Support"