Derzeit setzen viele Unternehmen neue Projekte zur Desktop-Virtualisierung auf. Dabei sind es nicht zwangsläufig die großen Unternehmen, die vorneweg marschieren: Auch kleine bis mittelgroße Unternehmen haben die Chancen einer einheitlichen Desktop-Verwaltung im Backend erkannt. Ein hybrider Ansatz kann helfen, komplexe Client-Infrastrukturen zu verschlanken.
Die Herangehensweisen respektive die Motive für den Einsatz von Virtualisierungslösungen sind höchst unterschiedlich. Es sind vor allem folgende Ausgangssituationen zu beobachten:
1. Ein Unternehmen standardisiert die Frontend-Systeme und stellt Applikationen, die auf dem standardisierten Fat Client nicht mehr lauffähig, aber trotzdem erforderlich sind, per Virtualisierungslösung zur Verfügung.
2. Ein Unternehmen standardisiert die Frontend-Systeme und stellt alle Applikationen über eine Virtualisierungslösung zur Verfügung, sodass im Frontend nur noch Thin Clients (TC) zum Einsatz kommen.
3. Ein Unternehmen stellt einzelne Applikationen, die an einem bestimmten Stichtag in einer einheitlichen Version für alle Nutzer vorliegen müssen, per Virtualisierungslösung bereit.
4. Ein Unternehmen stellt einzelne Applikationen, die zur Zusammenarbeit mit Dritten benötigt werden und beispielsweise nur auf einem anderen Betriebssystem als dem im Unternehmen eingesetzten laufen, per Virtualisierungslösung bereit.
5. Ein Unternehmen gewährt externen Fachkräften wie Beratern oder Call-Center-Mitarbeitern per Virtualisierungsplattform Zugriff auf unternehmensinterne Applikationen, ohne dass diese auf den Geräten der Externen installiert werden müssen oder Daten das Unternehmen verlassen.
6. Zwei auf einem Endgerät benötigte Applikationen behindern sich gegenseitig zum Beispiel durch unterschiedlich benötigte Release-Stände von Java oder ODBC-Treibern, sodass entweder eine oder beide Applikationen nur virtualisiert auf den Endgeräten laufen sollen.
Die Lösungsansätze in der Praxis haben interessanterweise gemein, dass zumeist immer nur in eine einzige Richtung der Virtualisierung geplant und umgesetzt wird. Dies führt entweder zu einer sehr starken Einschränkung der Anwender - es wird "überstandardisiert", und Applikationen sind sehr stark an die neue Infrastruktur anzupassen. Oder aber es führt dazu, dass nur Teilbereiche im Unternehmen betrachtet werden können. Damit bleiben Potenziale auf der Strecke, oder es existieren gar in unterschiedlichen Unternehmensteilen mehrere Virtualisierungslösungen unabhängig voneinander - schlimmstenfalls basierend auf gänzlich unterschiedlicher Technik. Dies treibt die Kosten vermeidbar in die Höhe - die IT muss eine Applikation so unter Umständen in unterschiedlichen Virtualisierungsumgebungen testen und bereitstellen.
Dabei konkurrieren unterschiedliche Techniken der Desktop-Virtualisierung mit der Bereitstellung der Applikationen auf dem Fat Client. Zu den Lösungen gehören die klassische Darstellung der Applikationen auf einem Terminal-Server sowie die Abbildungen eines virtuellen Desktops im Backend (Virtual Desktop Infrastructure, VDI), die damit auch die beiden Pole der Virtualisierungstechniken abstecken. Dazu kommt noch die Möglichkeit, eine Applikation zu isolieren und auf den virtuellen oder physischen Desktop zu "streamen".
Da einem Nutzer einer virtualisierten Applikation, die auf einem Terminal-Server bereitgestellt wird, kaum oder gar keine Gestaltungsmöglichkeiten bleiben, sich individuell einzurichten, gilt es, die Benutzer bei erstmaliger Einführung dieser Technik auf die neue Situation vorzubereiten.
Denn der lieb gewonnene "eigene" PC am Arbeitsplatz gehört damit der Vergangenheit an. Dies wird zwar in vielen Standardisierungsprojekten mit Fat Clients genauso propagiert - aber in der Regel bei Weitem nicht so rigoros gelebt, wie durch die Technik des Terminal-Servers erzwungen.
Belohnt wird dies häufig mit sehr niedrigen Kosten für die gesamte Infrastruktur, wenn auch auf Kosten des Komforts für den Einzelnen. Die Nachteile dürfen natürlich nicht verschwiegen werden: Es gibt Applikationen, die nicht auf dem Terminal-Server laufen oder dafür zumindest eine kostspielige Umprogrammierung erfordern. Dabei ist im letzteren Fall natürlich zu Beginn nicht sicher, dass die Umprogrammierung zum Erfolg führt - im schlimmsten Fall stellt man nach erheblichem Aufwand fest, dass sich die Applikation auch nach Änderungen nicht mit der Virtualisierungsmethodik anfreunden möchte.
Selbst bei erfolgreicher Umprogrammierung ist nicht gesagt, dass in Zukunft Kosten eingespart werden können. Denn es kann durchaus sein, dass für die Zukunft zwei Varianten der Applikation zu pflegen sind, wenn weiterhin auch Fat Clients im Unternehmen zum Einsatz kommen und für diese die gleiche Applikation auch bereitzuhalten ist.
Auch Standardanwendungen sind nicht unbedingt kompatibel zu einer Virtualisierung mittels Terminal-Server - selbst Microsoft hat das eine oder andere Programm in seinem Portfolio, das auf dem Terminal-Server nicht läuft oder zumindest nicht schnell aufzusetzen ist, zum Beispiel den Media Player mit DRM.
Derlei Unbill entsteht in der Regel nicht, wenn ein Unternehmen die Applikationen im Backend mittels VDI vorhält. Hier erhält der Anwender weiterhin die gewohnte Arbeitsumgebung nahezu unverändert, und er kann - wenn gewünscht - sogar wie bisher Änderungen an seiner Arbeitsumgebung vornehmen: Beispielsweise wäre die Anzeige des Hintergrundbilds vom eigenen Labrador weiterhin möglich. Eine Koexistenz mit Fat Clients - zum Beispiel bei einem hohen Anteil von Laptops unter den Endgeräten - ist viel einfacher und mit weitaus weniger Aufwand zu realisieren: In der Regel lassen sich schon existierende Pakete der Softwareverteilung mit wenigen oder gar keinen Änderungen auch für die virtuellen Desktops nutzen.
Außerdem haben Unverträglichkeiten zweier Anwendungen nicht zur Folge, dass die IT eine Lösung für die gesamte Infrastruktur finden muss. Vielmehr muss sie analog zu einer Situation bei Fat Clients gegebenenfalls nur für einen einzelnen Anwender oder eine kleine Anwendergruppe Sorge tragen.
Der Nachteil liegt jedoch in den Kosten. Die Infrastruktur im Rechenzentrum ist für eine VDI-Lösung um einiges umfangreicher zu planen. Gegebenenfalls sind je nach Lizenzierungsmodell auch die Lizenzkosten höher, weil zusätzliche Lizenzen (zum Beispiel das Client-Betriebssystem) erforderlich sind oder einzelne Lizenzen wie bei den Fat Clients fest einem - wenn auch virtuellen - Desktop zugewiesen werden müssen.
Die dritte erwähnte Variante der Virtualisierung, die Isolierung einer Applikation verbunden mit Streaming, spielt keine eigenständige Rolle: Sie kommt entweder zusätzlich zu einer Virtualisierungslösung wie oben beschrieben zum Einsatz oder dient dazu, Applikationen gerade für Stichtagsumstellungen oder bei Unverträglichkeit mit anderen Applikationen virtualisiert auf Fat Clients zu transportieren.
Um die Vorteile der verschiedenen Ansätze hinsichtlich Technik und Kosten nutzen zu können, kommt der hybride Ansatz zur Desktop-Virtualisierung ins Spiel. Er kombiniert die drei zuvor beschriebenen Virtualisierungstechniken im Desktop-Bereich, angereichert auch um eine Virtualisierung der Server und die Kombination verschiedener Zugriffsverfahren auf die Virtualisierungsinfrastruktur. Die Abbildung auf Seite 41 veranschaulicht diesen Ansatz.
Ein Kernstück des Ansatzes ist die Lösung zur Virtualisierung der Server. Im zentralen Speicher der Lösung liegen zunächst einmal die Images der verschiedenen Server-Rollen. So sind beispielsweise je nach Größe der Infrastruktur und Anzahl der Anwendungen mehrere Terminal-Server-Rollen, Desktop-Server und vorgefertigte Images von unterschiedlichen Desktops zum Beispiel auf Basis verschiedener Betriebssysteme denkbar. Ein virtueller Server wird dann immer bedarfsgerecht zur Laufzeit gestartet und der Server-Farm zugefügt oder wieder abgestellt. Auf diese Art kann die Anzahl an Terminal-Servern und VDI-Servern je nach aktueller Nachfrage täglich oder sogar stündlich variieren - und dies bestenfalls auf Standard-Hardware aufgesetzt.
Die Präferenz für die Bereitstellungslogik einer Applikation sollte sich stets an den Kosten orientieren. Dies erfordert natürlich eine TCO-Betrachtung. Auch wenn - wie oben beschrieben - einmal höhere Kosten anfallen, um eine Applikation auf einem Terminal-Server bereitstellen zu können, so können sich die Kosten doch relativ schnell amortisieren, wenn auf diese Weise alle Benutzer zum selben Zeitpunkt auf eine neue Version wechseln können (und müssen).
Antizipiert wird dabei, dass die Variante Terminal-Server tatsächlich die günstigste Variante ist, eine Applikation zu virtualisieren. Es gibt Unternehmen, denen es gelungen ist, alle Applikationen des "Hausgebrauchs" auf diese Weise bereitzustellen - wenn auch in der Regel erst nach Einführung einer strikten Applikations-Governance - ohne die im Übrigen kein Virtualisierungsprojekt gestartet werden sollte. Tendenziell ist aber festzuhalten, dass mit einer steigenden Anzahl eingesetzter Softwareprodukte und höherer Diversifikation im Unternehmen die Wahrscheinlichkeit sinkt, sämtliche Endbenutzersoftware auf Terminal-Servern virtualisieren zu können. Im zweiten Schritt sollte ein Unternehmen daher versuchen, diejenigen Applikationen, die nach durchgeführten Tests nicht sofort auf dem Terminal-Server virtualisierbar sind, zu isolieren und per Streaming-Lösung bereitzustellen - und zwar nicht direkt auf dem Client, sondern über den Terminal-Server. Dies bedeutet, dass weiterhin der Terminal-Server die Bereitstellung übernimmt und nur einzelne Applikationen zusätzlichen Aufwand benötigen, um in der gleichen Umgebung wie die auf Terminal-Server darstellbaren Applikationen den Endbenutzer zu erreichen. Dies hat erstens den Vorteil, die Terminal-Server-Farm zusätzlich auszulasten und dadurch die durchschnittlichen Kosten pro Anwender gegebenenfalls zu senken. Zweitens muss die IT-Abteilung nicht für einige wenige Applikationen weiterhin Fat Clients betreiben. Diese beiden Maßnahmen dürften in vielen Unternehmen einen Großteil aller vorhandenen Client-Applikationen abdecken.
Sollten beide erstgenannten Wege fehlschlagen oder beispielsweise Anwendungen auf Betriebssystemen aufsetzen, die nicht dem Unternehmensstandard entsprechen, dann lassen sich diese schließlich in der VDI-Umgebung der Virtualisierungsinfrastruktur darstellen. Dabei ist hervorzuheben, dass eine Virtualisierung natürlich immer nur auf eine Art und Weise stattfinden soll und muss: Applikationen, die schon über Terminal-Server oder Isolierung virtualisiert sind, werden keinesfalls nochmals in einer VDI-Umgebung betrachtet - sondern auf die gewählte Art und Weise in die Umgebung eingebracht. Dies bedeutet, dass die Anwender einer über VDI bereitgestellten Applikation alle anderen Applikationen in ihren virtuellen Desktops per Terminal-Server-Zugriff erhalten. So können beispielsweise Nutzer einer Applikation, die VDI benötigt, bei deren Ablösung durch ein Produkt, das auf einem Terminal-Server lauffähig ist, sofort den dedizierten virtuellen Desktop abgeben und müssen nur noch auf die präferierte Virtualisierungsplattform zugreifen.
Der hybride Ansatz verhindert, dass ein Unternehmen ein vielversprechendes Virtualisierungsprojekt nicht starten kann, weil die eine oder andere Technik zu teuer wäre. Der Ansatz ermöglicht zudem die Integration von im Unternehmen bereits bestehenden Virtualisierungstechniken und damit die Vereinigung unter einer gemeinsamen Plattform.