Nutzen von ITIL für das KMU

Nicht nur für die "Oberen Zehntausend"

12. Juli 2006, 23:15 Uhr | Lothar Buhl, Dierk Söllner/wg Lothar Buhl ist Geschäftsführer von Masters Consulting. Dierk Söllner ist Organisationsberater bei MOD IT.

Die britische Sammlung praxisbewährter IT-Prozesse ITIL (IT Infrastructure Library) findet hier zu Lande inzwischen wachsenden Anklang. Dieser Artikel stellt die Einsatzmöglichkeiten für ITIL in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dar und gibt einige praktische Hinweise.

Ausgangspunkt und Grundlage für ITIL (siehe Kasten "Was ist ITIL?") sind die Paradigmen des
IT-Service-Managements (ITSM), die sich in folgenden Kernaussagen darstellen lassen: Die Position
der IT ist die eines Lieferanten für seine Kunden; die einzige Daseinsberechtigung für die IT ist
ihr Beitrag zum geschäftlichen Erfolg ihrer Kunden. Die Leistungen, die die IT liefert, müssen mit
den Kunden vereinbart sein – und zwar so, dass gemessen werden kann, ob die IT die vereinbarten
Leistungen auch wirklich liefert. Dies führt zu einer versachlichten Kommunikation zwischen dem
IT-Dienstleister und dem Kunden. Die Anwender benötigen nicht IT-Systeme, sondern Funktionalität,
die sie in ihrer Arbeit unterstützt: IT-Services, die alle Aspekte der zu liefernden Funktionalität
umfassen – also Hardware, Software, Netzwerk bis hin zur Unterstützung durch einen Service-Desk.
Die IT-Abteilung wandelt sich von einem Technik- zu einem Servicelieferanten. Dafür müssen
verschiedenste IT-Organisationseinheiten zusammenarbeiten. Dies erfordert die Steuerung der nötigen
Abläufe und damit die Definition von IT-Prozessen.

Public Domain Framework

ITIL ist als Rahmenwerk zu verstehen, in dem Experten ihre Erfahrungen niedergeschrieben haben
und abgestimmte Empfehlungen für die Gestaltung von IT-Prozessen geben. Diese Empfehlungen können –
müssen aber nicht – vollständig umgesetzt werden. Die Ausrichtung einer IT-Organisation an ITIL ist
kein Selbstzweck: Effiziente IT-Prozesse sind das eigentliche Ziel. ITIL setzt darauf, eine
Geschäftsbeziehung zwischen IT und Kunden aufzubauen. Diese Beziehung wird in
Service-Level-Vereinbarungen (SLAs) abgebildet und zieht sich mit einer serviceorientierten
Ausrichtung der IT-Organisation durch alle Bereiche. ITIL ist für alle Unternehmensgrößen "gültig"
und gibt keinerlei größenorientierte Vorgaben. Konsequenterweise fokussiert ITIL das Was – weniger
das Wie, denn die eigentliche Umsetzung der Konzepte ist für jede IT-Organisation individuell.

Die gezielte Steuerung der IT-Prozesse ermöglicht eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung –
sowohl der Prozesse selbst als auch der gelieferten IT-Services. Voraussetzung ist die Messbarkeit
der Prozesse wie auch der gelieferten Services. Bild 1 zeigt die Zusammenhänge im Überblick.
Dargestellt sind insbesondere

die Schnittstelle zwischen IT-Organisation und Kunden,

die Lieferung geschäftsprozessrelevanter Anwendungen in Form von
IT-Services,

die Steuerung von deren Erbringung über eher allgemeingültige IT-Prozesse
und

die Abbildung der Services auf die bestehende Organisation der IT über
individuelle Verfahren.

Insgesamt beschreibt ITIL in drei zentralen Büchern elf Prozesse. Die fünf operativen Prozesse
sind als "Service Support" zusammengefasst. Zu jedem Prozess gibt ITIL konkrete Tipps, nennt
praxisrelevante Erfolgsfaktoren und legt neben den Vorteilen auch mögliche Schwierigkeiten in den
Prozessen und bei ihrer Einführung dar.

Beispiel Incident-Management

Das Incident-Management hat als einer der operativen Prozesse unter anderem die Aufgabe, den
Kontakt zum Anwender zu halten. Es zielt auf die schnellstmögliche Wiederherstellung eines
IT-Services, falls dieser nicht in der vereinbarten Form verfügbar ist. Dieser Prozess hat die
Aufgabe, hohe Erreichbarkeit zu gewährleisten, Störungsmeldungen der Anwender aufzunehmen,
ausreichend gut zu klassifizieren und für eine Lösung in definierter Qualität und Zeit zu sorgen.
Dafür schlägt ITIL folgende Best-Practice-Ansätze vor, die auch kleinen IT-Organisationen einen
Mehrwert bringen.

Zunächst ist die Servicewiederherstellung von der Ursachenforschung zu trennen: Für einen
Endanwender ist es unerheblich, warum ein Drucker nicht druckt – er will einfach nur drucken. Im
Rahmen der Störungsbeseitigung reicht es also im ersten Schritt völlig, ihm dies auf einem
alternativen Drucker zu ermöglichen. Damit sind zwei wesentliche Dinge erreicht: Erstens ist der
Anwender zufrieden, da er weiterarbeiten kann; zweitens hat die IT Zeit gewonnen, die Ursache der
Störung ohne zeitliche Belastung des Anwenders zu ermitteln und zu beseitigen. Die Umsetzung dieses
Konzepts beginnt damit, dass die Spezialisten sich jederzeit bewusst machen, was gerade das Ziel
ist: Geht es primär darum, dem Anwender das Weiterarbeiten zu ermöglichen, oder habe ich die Ruhe,
nach der Störungsursache zu suchen?

Sodann ist laut ITIL ein Service Desk als "Single Point of Contact" (SPoC) einzurichten: Alle
Anwender bekommen genau eine Anlaufstelle, um Störungen zu melden oder ihre Fragen zur IT zu
platzieren. Dies ermöglicht es, alle Störungen an zentraler Stelle zu koordinieren, statt die (in
kleinen Organisationen wenigen) Spezialisten ständig mit ungeplanten Tätigkeiten zu belasten. Für
den Erfolg dieses Konzepts ist es allerdings wichtig, dass die Anwender den SPoC auch akzeptieren.
Dazu müssen sie in der Arbeit des Service-Desks einen Mehrwert erkennen. Schafft es die IT nicht,
diesen Nutzen zu verdeutlichen, wird das Incident-Management das vorgegebene Ziel nicht
erreichen.

Den Mehrwert dieser – und auch anderer notwendiger – Aktionen im Rahmen der serviceorientierten
Ausrichtung erreicht man durch konsequentes, zielgruppenspezifisches Marketing, sowohl während der
Projektlaufzeit als auch später beim Betrieb der Prozesse.

Vorteile der Ausrichtung an ITIL

Auf den ersten Blick mag ITIL für KMU unhandlich wirken. Bei genauerer Betrachtung können jedoch
auch kleinere IT-Organisationen die zu Grunde liegenden Paradigmen Gewinn bringend umsetzen: Auch
für diese Klientel ist die klare Ausrichtung der IT an den Geschäftsprozessen ihrer Kunden
essenziell. Das Verhältnis zu den Kunden wird sich allein dadurch schon verbessern. Die Forderung
nach messbarer Beschreibung der erbrachten Services führt auch in kleinen IT-Organisationen dazu,
die Leistung der IT besser steuern und auch besser darstellen zu können. Dies wiederum liefert eine
gute Antwort auf die Frage, der sich wohl jede IT-Organisation irgendwann gegenübersieht: Könnte
ein externer Lieferant nicht dieselbe Leistung zu einem besseren Preis oder zum gleichen Preis eine
bessere Qualität liefern?

ITIL ermöglicht es zudem, anhand des Best-Practice-Ansatzes die bestehende IT-Organisation
kontinuierlich zu optimieren. Als Ergebnis wird die IT an Bedeutung für das Unternehmen gewinnen,
denn sie erhält damit die Chance, das Geschäft aktiv mitzuentwickeln, statt nur auf
Geschäftsanforderungen zu reagieren. Für IT-Organisationen, die ihre Leistungen externen Kunden
liefern, ist eine Ausrichtung nach ITIL schon deshalb erwägenswert, weil die Kunden eine effiziente
Organisation der IT fordern und jede Leistung mit anderen Angeboten vergleichen werden.

Entscheidend bei der Einführung prozessorientierter Strukturen sind nicht die Prozesse oder die
Verfahren selbst, sondern die Menschen. Denn was nützen die besten Prozesse, wenn sie nicht gelebt
werden? Bei einer ITIL-Einführung handelt es sich also nicht um ein IT-Projekt, sondern um ein
Organisationsprojekt. Daher braucht die ITIL-Einführung auch im KMU ein methodisch sauberes
Vorgehen in Form eines (Reorganisations-)Projekts. Dies bedeutet nicht zwangsläufig eine Änderung
der Aufbauorganisation, wohl aber eine Ausrichtung der gesamten Organisation (und damit aller
IT-Mitarbeiter) an den organisationsübergreifend definierten Prozessen. Für die Durchführung eines
solchen Projekts hat sich folgendes Vorgehensmodell (Bild 2) bewährt:

1. Vision entwickeln/Ziele ableiten: Die ITIL-Einführung in einer IT-Organisation muss einer
klaren Vorstellung folgen, was die Neuausrichtung erreichen soll. Dies bindet IT-Mitarbeiter wie
Kunden ein und motiviert zur Mitarbeit. Aus der Vision werden dann messbare Projektziele
abgeleitet. Sie werden von Beginn an überwacht.

2. Bewusstsein schaffen: Die ITIL-Einführung braucht sowohl Unterstützung vom Management als
auch die Begeisterung in der IT-Mannschaft. Auf diesen Aspekt ist besonderer Wert zu legen,
beispielsweise durch Einführungsveranstaltungen oder ITIL-Simulationen.

3. Ist-Analyse: ITIL ist aufgrund seines Best-Practice-Ansatzes nichts grundlegend Neues.
Insofern sind in jeder IT-Organisation schon ITIL-Ansätze vorhanden. Diese gilt es aufzunehmen und
zu beschreiben, um damit ein Soll-Konzept, die nächsten Schritte und erforderliche Maßnahmen zu
bestimmen.

4. Prozessdesign: Auf der Basis der umzusetzenden ITIL-Prozesse modelliert das Projektteam die
künftigen Abläufe. Dabei ist besonders darauf zu achten, die Vorgaben nicht einfach starr zu
übertragen, sondern pragmatisch auf die kleine oder mittlere IT-Organisation anzuwenden. Die
Tauglichkeit der Abläufe ist hier das entscheidende Kriterium. Darum sind (Vertreter der)
Mitarbeiter einzubinden, die die Abläufe später umsetzen sollen.

5. IT-Verfahren implementieren: ITIL beschreibt den Rahmen, in dem IT-Services erbracht werden.
Die im vorigen Schritt entwickelten Prozesse sind nun in Handlungsanweisungen, Checklisten,
Arbeitsplatzbeschreibungen und weitere Vorgaben umzusetzen und in der IT-Organisation zu
etablieren. Dabei muss ein Unternehmen funktionierende Verfahren nicht "aus Prinzip" ändern.
Vielmehr sollte es bewährte Strukturen in die optimierten Abläufe einbauen. Dieser Schritt
entscheidet über den Erfolg des Projekts.

6. Qualitätssicherung/Review: Wie in jedem Projekt sind gesammelte Erfahrungen auszuwerten und
die Ergebnisse für künftige Projekte festzuhalten. Ein wichtiges Kriterium für einen neu
eingeführten ITIL-Prozess ist das Funktionieren der ständigen Verbesserung. Dazu gehört, die
Effizienz des Prozesses regelmäßig zu messen und die aus der Analyse der Messungen abgeleiteten
Maßnahmen zu ergreifen.

Die erfolgreiche Einführung prozessorientierter Strukturen ist von vielen Faktoren abhängig.
Somit gibt es auch viele Fehlerquellen, die ein solches Projekt behindern oder sogar zum Scheitern
bringen können.

Die häufigsten Fehler

So betrachten viele Unternehmen die Einführung von ITIL als IT-Projekt, nicht als
Organisationsprojekt. Dann kommen Methoden von IT-Projekten zum Einsatz, die die besonderen Aspekte
einer Neuorganisation ausblenden. Das Projekt läuft Gefahr, an den Widerständen der IT-Mitarbeiter
zu scheitern. Oft fehlt auch der Ausgleich zwischen strategischen Zielen und sinnvollen
kurzfristigen Erfolgen (Quick Wins). Quick Wins sind für ein ITIL-Projekt wichtig, denn schnell
erzielbare Verbesserungen können die Außenwirkung des Projekts positiv prägen. Sie sind allerdings
nur erste Schritte auf dem Weg zu den eigentlichen Projektzielen.

Eine weitere Fehlerquelle: Ein Unternehmen konzentriert sich ausschließlich auf einen oder
wenige Prozesse. Sinnvollerweise führt man nicht alle elf Prozesse auf einmal ein, denn dies würde
wegen der zahlreichen Veränderungen die Organisation überfordern. Allerdings sind die
Abhängigkeiten zwischen den Prozessen so groß, dass die Anforderungen der später einzuführenden
Prozesse von Beginn an zu berücksichtigen sind. Häufig fehlt auch eine Steuerung während der
Implementierung. Ein ITIL-Projekt läuft nicht von alleine: Eine rechtzeitige und permanente
Koordination ist wegen der Komplexität und Vielschichtigkeit unabdingbar. Viele Projektteams führen
auch keine Messungen zur Dokumentation des Fortschritts durch. Da es sich in aller Regel um länger
laufende Projekte handelt, ist es wichtig, deren Fortschritt nachweisen zu können. Andernfalls
besteht die Gefahr, dass das Management irgendwann nicht mehr bereit ist, weitere Aktivitäten zu
unterstützen und zu finanzieren.

Besetzt ein Unternehmen das Projektteam falsch, besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter mit dem
benötigten Know-how fehlen. Diese Personen sind oft in andere Projekte und das Tagesgeschäft
eingebunden. Oft mangelt es auch am Marketing. Die Menschen in der IT-Organisation sind der
entscheidende Faktor einer ITIL-Einführung. Menschen lehnen aber naturgemäß Unbekanntes gerne ab.
Um sie zu gewinnen, sind Marketing und – noch wesentlicher – Information über das Vorgehen und die
(Zwischen-)Ergebnisse essenziell.

Schädlich für ITIL-Projekte ist zudem mangelnde Unterstützung durch die Geschäftsleitung: Hilft
das Management nicht aktiv mit, die Mitarbeiter zu überzeugen, fehlt dem Projekt die nötige
Nachhaltigkeit. Auch in schwierigen Projektphasen bedarf es der Rückendeckung durch den
ITIL-Verantwortlichen.

Zu Beginn wird mitunter nur ein kleines Team gebildet, gefolgt vom "Big Bang". Durch
frühzeitiges Einbinden der Mitarbeiter in die Definition der Abläufe lässt sich vorhandenes
Know-how nutzen und Motivation erzeugen. Schreibt man den Mitarbeitern hingegen vorgefertigte
Abläufe vor, lehnen diese die Abläufe wahrscheinlich ab: "Mich hat ja keiner gefragt!"

Oft wird auch der Aufwand für das Projekt unterschätzt. Da im KMU die Aufgaben sowieso nur auf
wenige Schultern verteilt sind, fehlen häufig Vertretungspersonen, die in der Projektlaufzeit für
ihre Kollegen im Tagesgeschäft einspringen können. Das Projekt verursacht eine erhebliche
Zusatzbelastung, die zu Reibungen im Tagesgeschäft führen kann. Hier ist eine deutliche
Unterstützung durch das Management notwendig: bereits zu Beginn durch eine realistische Zeitplanung
wie auch im Laufe des Projekts durch konsequentes Verfolgen des Plans. Hier ist es hilfreich,
mindestens in Form von Coaching externe Leistungen in Anspruch zu nehmen. Ein erfahrener Coach kann
Probleme frühzeitig erkennen und in der Folge sicherstellen, dass das Projektteam zielgerichtet
arbeitet. Die eigentliche Entwicklung der ITIL-konformen Abläufe und die Umsetzung in individuelle
IT-Verfahren kann nur durch die IT selbst erfolgen und lässt sich durch externe Berater bestenfalls
begleiten.

Ein Tool-gestützter Workflow ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. ITIL fordert eine effiziente
Umsetzung der Prozesse und damit implizit auch eine entsprechende Softwareunterstützung. Der Markt
bietet folgerichtig diverse Softwarepakete für das ITSM. Deren Hersteller möchten gerne beweisen,
dass ITIL-konforme Prozesse mit ihren Lösungen abbildbar sind. Allerdings sind die fraglichen
Zertifikate mit Vorsicht zu genießen, denn die unternehmensindividuellen IT-Verfahren bestimmen die
Anforderungen an die Software – und nicht umgekehrt. Generell empfiehlt sich der Einsatz von
Softwarepaketen, die mehrere ITIL-Prozesse unterstützen, denn zwischen den Prozessen ist intensive
Kommunikation nötig, die in integrierten Paketen bereits abgebildet ist (siehe Kasten "
ITIL-Prozesse erfordern geeignete Tools"). Die Kernaussagen von ITIL sind auch für kleine
IT-Organisationen nützlich. ITIL ist auch für kleinere IT-Abteilungen umsetzbar. Wichtig ist es,
eine pragmatische Vorgehensweise zu verfolgen. Je kleiner die IT-Organisation, desto mehr Rollen
und unterschiedliche Aufgaben hat der einzelne Mitarbeiter. Unbürokratische und trotzdem
ITIL-konforme Prozesse lassen sich also gerade auch in kleinen und mittleren Unternehmen
implementieren. Daher sollte sich ein KMU nicht die Frage stellen, ob es ITIL einführt, sondern wie
es ITIL einführt.


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