Six Sigma ergänzt ITIL

Schützenhilfe für das IT-Service-Management

16. April 2009, 22:00 Uhr | Christian Zademack/wg Christian Zademack ist Senior Consultant bei Detecon International im Bereich des IT-Service- and Operations-Managements.

Erfolgsgeschichten wie die von Motorola oder General Electrics haben Six Sigma zu einer der populärsten Vorgehensweisen im Qualitäts-Management (QM) gemacht. Zwar liegen die Wurzeln des Ansatzes in der Fertigungsindustrie, doch er eignet sich für nahezu alle Arten von Prozessverbesserungen. So bietet Six Sigma auch passende Werkzeuge, um den kontinuierlichen Verbesserungsprozess der jüngsten ITIL-Version zu unterstützen.

Vielen IT-Verantwortlichen ist Six Sigmas Nutzenpotenzial noch weitgehend unbekannt. Sie haben sich bislang beinahe ausschließlich auf IT-spezifische QM-Methoden konzentriert. Zum De-facto-Standard hat sich die IT Infrastructure Library, kurz ITIL, entwickelt, die das Design und die Einführung konsistenter IT-Prozesse unterstützt. In dieser Ausrichtung bietet ITIL unter anderem ein umfassendes Rahmenwerk für das IT-Service-Management (ITSM).

Geht es jedoch darum, erfolgreich etablierte Prozesse und deren Service-Qualität weiter zu verbessern, so finden IT-Manager in ITIL keine ausreichende Unterstützung. Die Lücke schließt Six Sigma mit einem breiten Spektrum an erprobten Vorgehensweisen, die sich auch bei zahlreichen IT-Service-Prozessen erfolgreich anwenden lassen.

IT-Nutzen quantifizieren

Die Integration beider Ansätze kommt zur rechten Zeit. In der aktuellen Version 3 schlägt ITIL den IT-Verantwortlichen erstmals vor, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu etablieren. Aufgrund der angelsächsischer Herkunft von ITIL firmiert der Ansatz als "Continual Service Improvement" (CSI). CSI beschreibt, wie sich IT-Services permanent überprüfen und gegebenenfalls verbessern lassen. Auch wenn kontinuierliche Verbesserungsprozesse in weiten Teilen der Industrie längst zum Einmaleins gehören, erweisen sie sich für viele IT-Abteilungen als echter Quantensprung, da IT-Services bisher meist nur fallweise geprüft wurden, statt ihre Kontrolle im Tagesgeschäft fest zu verankern.

Gleichwohl erfordert der Wechsel zu CSI Investitionen, für die die IT-Verantwortlichen ihre Etats aufstocken müssen. Mit ITIL allein werden sie einen solchen Business Case allerdings kaum begründen können. Zwar bietet der Ansatz eine Reihe von Best Practices, doch tut er sich schwer, diese in betriebswirtschaftlich fassbaren Zahlen zu konkretisieren. Seinen Nutzen begründet ITIL beinahe ausschließlich mit IT-Begrifflichkeiten, die dem Finanz-Controlling nicht geläufig sind.

Das Fehlen einer gemeinsamen Sprache stellt die Mehrzahl der IT-Abteilungen vor erhebliche Schwierigkeiten, wenn sie den Wertbeitrag ihrer Arbeit an ihre kaufmännischen Kollegen berichten wollen. Umso problematischer wird die Lage, wenn es sich dann auch noch um ein Projekt handelt, das zunächst einmal "nur" der Qualitätsverbesserung des IT-Service-Managements dienen soll, um dann erst in zweiter Konsequenz die Qualität der IT-gestützten Geschäftsprozesse zu steigern.

Realistischerweise kann der Brückenschlag in die betriebswirtschaftliche Zahlenwelt nur über die Quantifizierung der Nutzenaussagen gelingen. Schlägt zum Beispiel ein IT-Manager ein Projekt vor, um das Beschaffungssystem durch die Einführung von ITIL zu optimieren, so erwarten die Etatgeber vor allem eine Berechnung der erzielbaren Einsparungen. Aufgrund ihres ausgeprägten IT-Bezugs ist eine solche Berechnung mit den ITIL-Methoden allerdings nicht zu leisten. Demgegenüber liefert der Six-Sigma-Werkzeugkasten ebenso präzise wie belastbare Zahlen. Im erwähnten Beispiel ließe sich aufzeigen, wie stark die angestrebte Qualitätsverbesserung jeden einzelnen Bestellvorgang kostenmäßig entlasten würde.

Six Sigma kann diese Zahlen liefern, da die Methodik nicht allein die absolute Qualität der Prozesse im Auge hat, sondern auch ihre wirtschaftliche Qualität. Hierbei meint wirtschaftliche Qualität die optimale Balance zwischen dem Aufwand für eine Qualitätsverbesserung und den Kosten, die sich bei gleichbleibend schlechterer Qualität eines Services ergäben. Six Sigma schaut somit sehr genau darauf, welchen monetären Nutzen eine Qualitätsverbesserung bietet oder bieten kann. Gerade in der IT, die sich stärker denn je gefordert sieht, entsprechende Zahlen beizubringen, kommt der Ansatz wie gerufen.

Six Sigma und ITIL ergänzen sich jedoch nicht nur bei der Bewertung von Nutzen(potenzialen), sondern auch im QM selbst. Insbesondere kann Six Sigma bei der Einführung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses CSI unterstützen, der für das ITSM eine zusätzliche Handlungsebene bedeutet, für die ITIL selbst derzeit noch keine angemessenen Methoden bereitstellt. Unter anderem gilt es, Werkzeuge einzuführen, mit denen sich Qualitätsparameter messen, auswerten und berichten lassen. Hier bietet sich vor allem Six Sigma an. In dessen Werkzeugkasten finden IT-Manager erprobte Vorgehensweisen, Methoden und Tools, um Problemursachen zu identifizieren und Verbesserungsmaßnahmen zu definieren, zu priorisieren und umzusetzen.

Die Six-Sigma-Projekte richten sich am DMAIC-Phasenmodell aus: Define, Measure, Analyze, Improve, Control. Hier liefert jede Projektphase einen methodisch und inhaltlich klar definierten Beitrag zur Erreichung der angestrebten Qualitätsverbesserung. Die fünf Phasen des DMAIC-Zyklus lassen sich mit dem CSI-Ansatz von ITIL in Einklang bringen (Bild 1). So profitieren ITIL-konforme Prozesse unmittelbar vom Six-Sigma-Vorgehen.

Einsatzfelder in der IT

Six Sigmas wichtigstes Ziel besteht darin, die Qualität beliebiger Dienste zu verbessern - seien es nun prozessneutrale Services wie das Management von Support-Anfragen oder prozessspezifische wie die systemtechnische Abwicklung von Bestellungen. Die Optimierung erfolgt entlang der vorab definierten Qualitätskriterien des jeweiligen Services. Dabei strebt Six Sigma eine Null-Fehler-Qualität an, sodass unternehmensweit perfekt kontrollierte Geschäftsprozesse entstehen.

Wie in fast allen Technikbereichen lässt sich auch in der IT das Pareto-Prinzip anwenden, um die Projekte mit dem höchsten Verbesserungspotenzial zu identifizieren. Denn auch im ITSM zeigt sich, dass 20 Prozent der Parameter eines Prozesses 80 Prozent der Probleme verursachen. Welches Fünftel jeweils betroffen ist, können IT-Verantwortliche anhand des Pareto-Charts überprüfen, das sie im Werkzeugkasten von Six Sigma vorfinden.

Six Sigma eignet sich zur kontinuierlichen Messung von Service-Vereinbarungen (Service Level Agreements, SLAs) und wesentlichen Prozesskennzahlen (Key Performance Indicators, KPIs). Da Abweichungen frühzeitig aufgedeckt werden, ist ein proaktives SLA-Management möglich. Zudem lässt sich Six Sigma auch bei der Festlegung der SLAs einsetzen. IT-Qualitätsparameter sind dann nicht mehr isolierte Zahlenwerte, sondern Parameter eines Gesamtprozesses, bei denen die integrale Auswertung aller Parameter ein realistisches Bild der tatsächlichen IT-Qualität liefert.

Bei der Suche nach geeigneten Einsatzfeldern von Six Sigma stellt sich weniger die Frage, "ob", als vielmehr "wo" IT-Verantwortliche beginnen sollen. Wichtig ist, dass die Prozesse eine statistisch ausreichende Datengrundlage hervorbringen. Ob Six Sigma greifen kann, entscheidet sich in erster Linie an der Wiederholfrequenz des zu analysierenden Prozesses.

Diese Anforderung zeigt sich zum Beispiel am Prozess der Systemspezifikation, die sich in den meisten Unternehmen nicht oft genug ereignet, als dass eine Six-Sigma-gestützte Analyse statistisch belastbare Aussagen treffen könnte. Demgegenüber fallen in Beratungsunternehmen, in denen das Management von Pflichtenheften zu den Kernkompetenzen zählt, Daten in ausreichender Menge an. Hier ließe sich mit Six Sigma unter anderem der Prozessschritt untersuchen, wie viele Interviews mit den zukünftigen Anwendern einer Software gebraucht werden, um deren Anforderungen hinreichend herauszufinden.

Aufgrund ihrer großen Transaktionsvolumina und hohen Wiederholfrequenz kristallisieren sich in der IT drei Hauptgebiete heraus, in denen das zahlenorientierte und statistische Vorgehen von Six Sigma den höchsten Mehrwert erbringt: Operations- und Infrastruktur-Management, Applikationsentwicklung und Support.

Im Hinblick auf ITIL eignen sich vor allem die Prozesse Incident-, Availability- und Capacity-Management für Six Sigma. Dabei widmet sich das Incident-Management dem geregelten Umgang mit Schwierigkeiten, die im Kontext der IT-Systeme auftreten und von Anwendern gemeldet werden. Das Availability-Management wiederum sichert die Verfügbarkeit von IT im Hinblick auf vordefinierte Service-Levels. Im Einklang mit diesen Service-Levels plant und steuert das Capacity-Management die Dimensionierung der einzusetzenden IT-Ressourcen, um eine definierte Menge an IT-Vorgängen in einer Mindestqualität - beispielsweise im Hinblick auf maximal zulässige Antwortzeiten - zu gewährleisten. Im Vergleich zu Six-Sigma-Projekten in der Fertigungsindustrie sind die in der IT erzielbaren Verbesserungen meist signifikant größer. Dies lässt sich damit erklären, dass der Ansatz in der IT noch Neuland ist und deshalb eine entsprechend große Hebelkraft entwickelt.

Fazit: Chancen und Risiken

In der IT üben Qualitätsmängel sehr oft enorme Hebeleffekte auf die Kundenzufriedenheit und die Geschäftsziele aus. So haben bereits minimale Probleme in einem hochvolumigen Transaktionssystem oft gravierende Auswirkungen zur Folge. Hier erweitern Six-Sigma-Methoden und -Werkzeuge die Möglichkeiten von ITIL, Risiken frühzeitig zu erkennen und proaktiv geeignete Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Six Sigma hilft IT-Service-Managern, die jeweils lohnendsten Ziele für ihre aktuelle Optimierungsarbeit zu identifizieren. Beispielsweise lässt sich präzise aufzeigen, wann die fortwährende Optimierung einer Datenbank keine spürbare Qualitätsverbesserung mehr bringt. Stattdessen bieten sich dann andere Faktoren an, etwa die Verbesserung des Netzdurchsatzes.

Zudem finden IT-Verantwortliche Werkzeuge vor, mit denen sie den kaufmännischen Wertbeitrag ihrer Projekte errechnen können. Auch hier erweist sich Six Sigma als wertvolle Ergänzung, da man damit im Gegensatz zu ITIL Business Cases so verfassen kann, dass auch ein rein betriebswirtschaftlich denkender Controller sie nachvollziehen kann.

Trotz seines hohen Nutzenpotenzials hat das Zusammenspiel von Six Sigma und ITIL auch Grenzen. Zunächst sollten interessierte Unternehmen bedenken, dass beide Methoden sehr fortgeschrittene QM-Ansätze darstellen, die eine entsprechende (Lern-)Kompetenz bei den zuständigen Mitarbeitern erfordern. Zudem braucht das (IT-Service-)Management einen langen Atem, da sich der Nutzen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses erst nach und nach einstellt. Erste Erfolge sollten den Blick auf ein wirklich nachhaltiges Vorgehen nicht verstellen. Damit der Verbesserungsprozess nicht etwa nur ein Strohfeuer ist, muss er zu verbindlichen organisatorischen Konsequenzen führen.

Zudem sollten Unternehmen kommunikative Vorkehrungen dafür treffen, dass alle Beteiligten ihr Gesicht wahren können. Die Gefahr, Schaden zu nehmen, ist groß - denn insbesondere der Six-Sigma-Ansatz kann Defizite und Lücken vorbehaltlos offen legen. Ein probates Mittel ist, die von Six Sigma angeregten Verbesserungsmaßnahmen in das betriebliche Vorschlagswesen einzubetten. Auf diesem Weg können die Verantwortlichen die Optimierung als Erfolg für sich verbuchen.


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