British Telecom (BT) will mit dem Projekt "21st Century Network" (21CN) der erste Carrier sein, der komplett auf ein Netzwerk der nächsten Generation umstellt. Die Veranstaltung "21st Century Communications World Forum" bot dem Carrier kurz nach dem Abschluss der Lieferantenverträge eine Plattform, um einen Ausblick auf den Projektverlauf zu geben. Zahlreiche Provider, Equipment- Anbieter und Analysten diskutierten auf der Kongressmesse das Potenzial von Next-Generation Networks (NGNs) sowie technische Problemstellungen.
Im vergangenen Jahr hatte BTs Hausmesse rund 2500 Besucher angezogen; diesmal konnte Matt Bross,
Group CTO bei BT und Chairman der Veranstaltung des International Engineering Consortiums (IEC),
sogar auf 2700 Anmeldungen verweisen. Die Relevanz des NGN-Themas brachte er auf die Formel: "
Kommunikation ist ein Input für die Weltwirtschaft, wie Energie es früher war." Das gestiegene
Interesse an der Carrier-Kongressmesse dürfte aber wohl vor allem darauf zurückzuführen sein, dass
BT im Sommer 2004 einen dramatischen Einschnitt verkündet hatte: BT will als erster führender
Carrier (Incumbent, Ex-Monopolist) sein gesamtes Netzwerk auf eine IP/MPLS-Basis umstellen – also
sein klassisches Telefonnetz (PSTN) und TDM-Verbindungen zu Grabe tragen. Die Umstellung vom
leitungs- zum paketvermittelten Netz (Datendienste sowie Voice over IP, VoIP) soll innerhalb von
fünf Jahren abgeschlossen sein – für Carrier-Verhältnisse ein rasantes Tempo. An Kosten
veranschlagt BT 10 Milliarden Pfund, also zirka 15 Milliarden Euro.
Paul Reynolds, als CEO von BT Wholesale 21CN-Auftraggeber, nannte die Motivation für dieses
drastische Vorgehen: "Man kann einen Abgrund nicht in zwei Sprüngen überwinden." So befinde sich BT
nun im Stadium einer "massiven Reorganisation für konvergentes Business". Reynolds will die
Entwicklung neuer Produkte "radikal beschleunigen", das Erlebnis der Kunden "radikal verbessern"
und zugleich die Kosten "radikal senken". Schließlich seien heute mit Anbietern wie Google und
Skype Konkurrenten mit – man ahnt es – "radikal neuen" Geschäftsmodellen auf dem Markt. Die
etablierte Carrier-Gemeinde betrachtet die junge Anbietergeneration als Damok-lesschwert: Skype und
Co. nutzen IP-Netze für flexibel und schnell eingeführte Kommunikationsdienste, ohne aber in eigene
Infrastuktur investieren zu müssen. Besonders in den USA sehen die Netzbetreiber Google sowie
IP-Telefonie à la Skype und Vonage bereits als bedrohliche Konkurrenz zum eigenen Geschäft. Diverse
Carrier arbeiten deshalb daran, von Diensteanbietern Durchleitungsgebühren zu erheben – ein nicht
nur in den USA sehr umstrittenes Konzept.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Reynolds auf kurze "Time to Market" für neue
Services drängt und in den letzten Monaten bei den Verhandlungen mit an 21CN interessierten
Ausrüstern mit harten Bandagen kämpfte. Nach Feldversuchen will der britische Incumbent bereits im
November die ersten Anwender in Wales auf die neue Plattform migrieren. Bis 2007 soll BT in 170
Ländern mit eigenem MPLS-Netz vertreten sein (was im Ausland oft schon der Fall ist). Die Ausrüster
indes müssen die NGN-Investitionen zwischenfinanzieren: Geld soll erst fließen, wenn auch BT an den
neuen Services verdient.
Nach langwierigen Verhandlungen für das mit großem PR-Aufwand vermarktete 21CN einigte sich BT
Ende 2005 mit vier der geplanten acht Hersteller auf Zulieferverträge: Ciena, Huawei, Lucent und
Siemens Communications. Im März folgten die Verträge mit den restlichen vier Konzernen: Alcatel,
Cisco, Ericsson und Fujitsu. Über diese acht hinaus sind noch zahlreiche weitere Anbieter als
Geräte-, Software- oder Komponentenlieferanten am Projekt beteiligt. Siemens zum Beispiel nutzt
Juniper als Lieferanten von Metro-Routern.
Auf dem Weg zum funktionierenden NGN-basierten Geschäftsmodell sieht Christian Unterberger,
President Fixed Networks Communications bei Siemens Com, einige Herausforderungen:
Servicezusammenstellung, Skalierbarkeit, Einfachheit, Reichweite (die Idee, jederzeit von jedem
Gerät aus kommunizieren zu können, sei bislang nur "eine Vision", so Unterberger), die schnelle
Markteinführung sowie die noch anzufachende Nachfrage der Anwender.
Beim VDSL2-Rollout der T-Com, an dem Siemens mit seiner Surpass-Familie und als Vertriebspartner
von Juniper-BRAS-Geräten (Broadband Remote Access Server) beteiligt ist, sei hingegen mangelnde
Akzeptanz nicht zu beobachten: Bei 500 bis 1000 Neuanschlüssen pro Woche bilde nicht die Technik,
sondern höchstens die Leistungskraft der Carrier-Organisation den Engpass. Ein wichtiger Punkt für
hohe Akzeptanz sei die anwendergerechte Verwaltung der Services: Zum Beispiel müssten Eltern auch
ohne großes technisches Vorwissen in der Lage sein, Kontrollfunktionen für den Internet-,
Telefonie- oder TV-Zugang ihrer Kinder einzurichten. Durch solche Selbstbedienungsfunktionen könne
ein Carrier dann wiederum Betriebskosten sparen, da das eigene Personal solche Änderungen nicht
mehr freischalten muss.
Beim Thema Services richte sich das Augenmerk der Netzbetreiber zu stark auf die Suche nach der "
Killerapplikation", so die Kritik von Andreas Müller-Schubert, President Fixed Network Solutions
Communications bei Siemens Com. Es gehe nicht um eine "Killerapplikation", sondern um einen "
Killercocktail": "Das Service-Bundle zählt" – auch wenn einige der Services für den Carrier gar
keinen Umsatz brächten ("Fat Tail"). Durch den Einsatz intelligenter Service-Delivery-Plattformen
lasse sich aber dieser Fat Tail profitabel gestalten: wenn via Automation Services schnell und
einfach zu- und wieder abschaltbar seien.
Neben diesen Punkten (und der Übernahme von Lucent durch Alcatel, die sich während des World
Forums anbahnte) waren eine Reihe weiterer Themen allgegenwärtig: Das Spektrum reichte von IPTV und
Triple Play über Carrier Ethernet, Wimax und Fixed-Mobile Convergence (FMC, also dem
Zusammenschluss von Mobil- und Festnetzkommunikation) bis zum IP Multimedia Subsystem (IMS) und
seinem Festnetzpendant Tispan. IMS bietet eine Plattform zur Trennung von Service- und
Transportebene. Damit wird erstens der Service unabhängig vom zu Grunde liegenden Transport,
zweitens versprechen sich die Carrier von IMS eine beschleunigte Einführung neuer Dienste. So wird
IMS teils schon als Wunderwaffe im Kampf gegen die Skypes und Googles dieser Welt gehandelt.
Stéphane Téral, Analyst bei Infonetics, attestierte VoIP zwar noch Mängel bei der
Zuverlässigkeit im Vergleich zu herkömmlicher Telefonie, stimmte ansonsten aber in den einhelligen
Chor der Teilnehmer ein, die die IP-Basis als goldene Brücke in die TK-Welt der Zukunft sehen. Auch
FMC sei definitiv "auf der Agenda" der Carrier. Steve Signoff, Vice President Business Development
bei Sprint Nextel, hob das Thema Mobilität hervor: Die CIOs seien von 1985 bis 1995 damit
beschäftigt gewesen, die Macht, aber auch die Gefahr des PCs zu bändigen; von 1995 bis 2005 habe
das mächtige/gefährliche Internet im Fokus gestanden – und diese Rolle übernehme im nun laufenden
Jahrzehnt die Mobilität mit ihrem Potenzial und ihren Risiken. Dennoch stellte er fest: "Die
Akzeptanz von Mobilität bei den Unternehmen nimmt zu."
Zahlreiche Hersteller – über 50 waren vor Ort – nutzten die Ausstellung für
Produkt-ankündigungen, so zum Beispiel Ericsson mit seinem integrierten Breitbandportfolio, ECI mit
neuen Outside-Plant-Geräten der Familie Hi-Focus Minishelf oder Thomson, deren Cirpack-Softswitches
ebenfalls IMS-fähig werden sollen.
Die IEC-Folgeveranstaltung soll Ende März 2007 in Mailand stattfinden. Sie wird "C5 World Forum"
heißen (Customer-Centric Converged Communication and Content) und sich damit noch deutlicher weg
von einer BT-Veranstaltung und hin zu einer übergreifenden, umfassenden Carrier-Messe
entwickeln.