ITSM bindet IT in die Wertschöpfungkette ein

Technik und Business verbinden

19. August 2007, 23:15 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner

Die Best-Practice-Sammlung ITIL (IT Infrastructure Library) ist der Dreh- und Angelpunkt zahlreicher ITSM-Initiativen (IT-Service-Management). Sie ist kürzlich in Version 3 erschienen - Deutschland-Start war am 13. Juni. In Version 3 orientiert sich ITIL deutlich stärker am Geschäftsnutzen der IT und führt das Konzept des Service-Lifecycles ein. Erste Kommentare aus der Branche zur aktuellen Fassung der Best Practices waren überwiegend positiv. Es gibt aber auch Kritik.

Mit Version 3 zeigt sich die ITIL-Empfehlungssammlung deutlich geschäftsprozessnäher und
dynamischer. Wie Hans-Peter Fröschle, Geschäftsführer des deutschen Ablegers des IT Service
Management Forums (ITSMF e.V.) bei einer ITSM-Tag von Computer Zeitung und LANline Ende Juni in
München erläuterte, steht bei v3 der Geschäftsnutzen, den die IT erbringen soll, wesentlich stärker
als noch bei v2 im Vordergrund. Das Plus an Dynamik – das sich schon in der grafischen Darstellung
widerspiegelt (Bild 1) ergibt sich aus der Neukonzeption von IT-Services als in stetem Wandel
begriffen: Gegenüber dem eher statischen Servicebegriff der v2 unterliegt ein IT-Service in ITIL v3
einem Lebenszyklus (Lifecycle). Dieser reicht von der Entwicklung der Serviceausrichtung (Service
Strategy) und dem Service Design über seine Einführung (Service Transition) und den Betrieb
(Service Operation) bis zur kontinierlichen Optimierung gemäß sich ändernder Business-Anforderungen
(Continual Service Improvement) – oder aber dem Ausrangieren eines Dienstes, wenn dieser den
Geschäftsprozess nicht mehr adäquat unterstützt.

Dementsprechend wurden nun die ITIL-Bücher auch auf fünf Werke eingedampft, die jeweils einen
dieser fünf Schritte abdecken. Die Bücher sollen laut ITSMF e.V. ab nächstem Jahr auch auf Deutsch
verfügbar sein: Service Transition und Service Operation ab Mitte Januar, Service Strategy und
Continual Service Improvement ab Mitte März, Service Design schließlich ab Ende April 2008. Zu
beziehen sind die deutschen ITIL-Bücher dann beim ITSMF unter itilv3-deutsch@itsmf.de zu 128 Euro
pro Band (Druck- oder PDF-Version), also zu den gleichen Konditionen wie die englischen
Originale.

Zeitgemäßes Update

Der Kern von ITIL v2 ist zwischen 1997 und 1999 entwickelt worden. "Seitdem hat sich viel getan,"
erklärte ITSMF-Geschäftsführer Fröschle bei seinem Vortrag auf dem ITSM-Tag mit Blick auf Trends
wie Virtualisierung, Grid Computing und SOA (Service-Oriented Architecture). Zudem sei die IT
zunehmend geschäftskritisch. So sei es allmählich Zeit für eine Überarbeitung geworden, zumal
gelte: "Best Practice ist eine dynamische Entwicklung."

Der Experte konstatierte, dass die Unternehmen sich bislang in Sachen ITIL vor allem mit Service
Support und Service Delivery befasst haben, also mit den beiden Bereichen, die ITIL v3 nun unter
Service Operation zusammenfasst. Der Fokus verschiebe sich in ITIL aber jetzt auf die dynamischen
Aspekte des Service-Lebenszyklus, mithin zum Continual Service Improvement. Dieses war laut
Fröschle auch in v2 schon enthalten, erstrecke sich in v3 aber nun quer durch alle fünf Bücher: "
Den Satz ‚Das ITIL-Projekt ist abgeschlossen‘ wird es unter v3 noch viel weniger geben können,"
betonte der ITSMF-Chef. Er bemängelte zudem den häufig geäußerten Wunsch, ITIL schlüsselfertig ("
out of the box") geliefert bekommen zu wollen: "IT und ITSM müssen als strategisches Projekt
behandelt werden," erklärte er. Es gehe gerade darum, keine alltägliche ("Commodity-") Leistung zu
bieten, sondern "es besser zu machen als out of the box." Werde IT zur austauschbaren
Selbstverständlichkeit, dann heiße es: "Aufpassen!"

Der IT-Service-Begriff von ITIL v3 ist nicht nur dynamischer, sondern auch stärker am Geschäft
des Unternehmen orientiert als der der Vorgängerversion. Zwar hat, so Fröschle, bereits ITIL v2 mit
dem Buch "The Business Perspective" versucht, den Geschäftsbezug (IT-Business-Alignment)
herzustellen, doch dieses Werk ist laut Fröschle "ein ziemlich flaches Buch", das "so gut wie nicht
gelesen" wurde. Bei ITIL v3 hingegen ist, wie Bild 1 zeigt, die Servicestrategie die Nabe, um die
sich alles dreht. Das Service-Portfolio-Management erlangt somit große Bedeutung: Beim Continual
Service Improvement geht es schließlich darum, die IT-Services immer möglichst eng am
Geschäftsnutzen auszurichten und kontinuierlich nachzujustieren. Fröschle schränkt jedoch ein: "
Messwerte dafür, ob oder zu welchem Grad dieses IT-Business-Alignment geglückt ist, werden nicht
vorgeschlagen."

Neue Begrifflichkeit

Zunächst definiert ITIL den Begriff "Service" selbst: "Ein Service ist ein Mittel, um den Kunden
Wert zu liefern, indem er Ergebnisse ermöglicht, die die Kunden ohne Eigentümerschaft spezifischer
Kosten und Risiken erzielen möchten." Diese Begriffsbestimmung ist auffällig generisch. Fröschle
merkte dazu an: "Die Definition ist so allgemein gehalten, dass sie auch auf einen Friseur
zutrifft." Die Stoßrichtung von ITIL weist hier klar über den reinen IT-Bezug hinaus in eine
Zukunft, in der auch Bereiche außerhalb der IT anhand von ITIL strukturierbar sind. Dabei ist diese
Definition der IT-Leistung aber laut Fröschle so klar kundenorientiert, dass man "sie sich als
IT-Mensch auf’s Kopfkissen sticken" sollte. Patrick Schneider, Business Development Manager Service
Management bei CA, kritisierte bei der Veranstaltung jedoch die "inkonsistente Servicedefinition"
der ITIL-Sammlung. Fröschle gestand zu, dass einige Stellen zum Beispiel des Service-Strategy-Buchs
"mit der heißen Nadel gestrickt" sind – nicht unproblematisch für ein Empfehlungswerk, das gerade
die strategischen Aspekte des ITSM stärker hervorheben möchte.

In manch anderer Hinsicht hingegen wird ITIL wieder seiner aus v2 schon vertrauten Rolle
gerecht, durch Schaffung einer klar umrissenen Begrifflichkeit als Mittler zwischen den
verschiedenen Welten der IT und der Fachabteilungen zu fungieren. ITIL v3 führt dabei einige neue
oder abgeänderte Begriffe ein; an diese wird die ITIL-Gemeinde sich erst noch gewöhnen müssen. ITIL
v3 unterscheidet nun zwischen "Utility" und "Warranty": Utility ist das, was der Kunde erhält,
Warranty die Art und Weise, wie dies erbracht wird. Wichtig ist dabei laut ITIL, den Bereich zu
treffen, in dem Utility und Warranty sich in Balance befinden.

Beim Service Design führt ITIL v3 diverse neue Begriffe ein, um die Aggregation und Auswertung
von Informations-Pools besser zu umschreiben: SKMS (Service Knowledge Management System) bezeichnet
nun die bisherige CMDB (Configuration Management Database) in einem umfassenden Sinn als
Metadatenbank, CMS (Configuration Management System) im engeren Sinn als Abbild der
IT-Infrastruktur. Zu den aufgabenspezifischen Repositories Service Desk System, Capacity Management
Information System (CMIS) und Availability Management Information System (AMIS) gesellt sich nun
als Neuling das Security Management Information System (SMIS), die Supplier and Contracts Database
(SCD) für die Lieferantenbeziehungen und das Application Portfolio für die Anwendungsebene.
Insgesamt hat sich das Datenbankkonzept von ITIL damit im Sinne einer Föderation
aufgabenspezifischer Repositories weiterentwickelt. CA-Spezialist Schneider warnt aber davor,
diesen Daten-Pool als eine riesige Datenbank, als "Super-CMDB" aufzufassen: "Auf gar keinen Fall
sollte man eine dicke Datenbank aufbauen."

Aufklärungsbedarf

Der Knackpunkt bei ITSM-Projekten ist und bleibt laut Sönke Nissen, Direktor des Help Desk
Institute Europe, die Einstellung der Mitarbeiter. Er bemängelt, dass Mitarbeiter oft unfreiwillig
in ITIL-Schulungen sitzen, und ihnen nicht klar ist, warum ihr Unternehmen überhaupt ITIL einführt.
Außerdem kommt ITIL v3 zu einer Zeit auf den Markt, da zahlreiche Unternehmen noch tief in
ITIL-v2-Projekten stecken. Hier gilt es, den Anwendern klarzumachen, dass ihre bislang eingeführten
Prozesse und erworbenen Qualifizierungen weiter verwertbar sind. Viele kleinere Unternehmen
wiederum schrecken immer noch vor einer Strukturierung ihrer IT-Ablaufe nach Best-Practice-Vorbild
zurück. Dierk Söllner, ITSM-Berater bei MOD IT, betont aber, auch für kleine IT-Abteilungen sei
ITIL "umsetzbar": "Sechs Rollen reichen für alle Prozesse – sofern man alle Prozesse braucht."
Dabei sollte ITIL, so die Experten einhellig, nie Selbstzweck sein, sondern stets Hilfsmittel.

ITIL v3 spielt den großen Anbietern wie BMC, CA, HP und IBM in die Hände, die ITIL durch
umfassende Produktsuiten abbilden und stets durch eigene Best Practices ergänzt haben. Sie können
sich nun durch den stärkeren Business-Bezug in v3 bestätigt sehen – und liefern sich derzeit einen
Wettlauf, wer das umfassendste geschäftsorientierte ITSM liefert, das je nach Anbeiter mal
Business-Service-Management, mal Business-Process-Management, mal Business Technology Optimization
heißt. Die großen Vier kaufen weiter fleißig zu, um das Portfolio vor allem durch höhergradige
Automation zu ergänzen. So erwarb BMC im Juli den Run-Book-Automation-Anbieter Realops, einen
Spezialisten für Prozessautomation, während HP fast zeitgleich die Akquisition von Opsware
ankündigte, die auf komplett automatisiertes RZ-Management abzielt. Ebenso dynamisch zeigt sich der
ITSM-Markt aber auch bei den kleineren Anbietern, die eher auf den Mittelstand zielen. So bietet
Realtech nun eine eigene Business-Process-Managementlösung, IET Solutions ergänzte seine ITSM-Suite
um das Modul Availability-Management, und ITSM-Spezialist Touchpaper integriert mit seiner
ITBM-Suite 7.2 nun Telefonsysteme in die Service-Desk-Abläufe, um Anrufer direkt mit der
Incident-Historie und der Incident-Neuanlage zu verknüpfen.

Mit OTRS ITSM 1.0 liegt nun auch eine Service-Desk-Lösung auf Open-Source-Basis für Teilbereiche
von ITIL vor. Die Lösungen, die ein nach Best Practices organisiertes IT-Service-Management
unterstützen, entwickeln sich also rege weiter. ITSM-Experte Söllner warnt allerdings zurecht
eindringlich davor, ITIL lediglich als eine Frage der Tool-Auswahl zu begreifen. ITIL ist und
bleibt ein strategisches Projekt für das gesamte Unternehmen – erst recht mit ITIL v3.


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