Business-Process-Management

Transparenz durch normalisierte KPIs

16. Dezember 2009, 13:48 Uhr | Dr. Kuersad Goegen/wg

Es gibt starke Bestrebungen, IT-Infrastrukturen zu vereinheitlichen und Datenströme sowie Prozesse zu homogenisieren. Dennoch ist ein gegenteiliges Resultat zu beobachten: Durch die Konvergenz von Fremdtechniken mit der Datentechnik entstehen immer komplexere IT-Infrastrukturen. Key Performance Indicators (KPIs) sind der Schlüssel, um den Überblick zu behalten.

Ein Prozess wie das Nachbestellen einer Ware abhängig vom Lagerbestand lag früher möglicherweise
bei einer Person, die diesen unregelmäßigen zyklischen Vorgang mit etwas Arithmetik und einem
Telefon optimal aufrechterhalten konnte. Heute dagegen stehen hinter solch "einfachen? Prozessen
ganze Applikationswelten. Die Wechselwirkungskette hieß früher: "Bestand im Lager zählen? und bei
Unterschreitung eines kritischen Werts "Ware nachbestellen?; heute hingegen ist der Ablauf bei
Weitem nicht mehr so durchsichtig.

Die kausalen Zusammenhänge, angefangen bei technischen Sensoren, Applikationsfarmen und
Datenbanken bis hin zu nicht-technischen Bewertungen, sind selbst bei einfachen Teilprozessen auf
einen Blick kaum mehr zu erfassen. Die Antwort auf die Frage "Was muss ich unternehmen, damit der
Prozess besser läuft?? konnte im obigen Fall noch heißen: "Eine fähigere Person beauftragen". Heute
muss man, um die gleiche Frage zu beantworten, aus dem Blickwinkel eines Geschäftsprozesses nach
abstrakten Stellschrauben in einer komplexen Wirkungskette suchen, die wiederum signifikanten
Einfluss auf andere Teilprozesse haben können. Bereits die Identifikation solcher KPIs stellt hohe
Anforderungen an die Fachabteilungen, die dazu abteilungsübergreifend kommunizieren müssen.

Dabei ist Transparenz mindestens ebenso essenziell wie im Fall der IT-Sicherheit. Bezogen auf
komplexe Abläufe bedeutet Transparenz, die kausale Auswirkung der Änderung des Zustandes eines
Teilsystems auf das Ganze zu verstehen.

Wahl geeigneter KPIs entscheidend

Was aber sind KPIs? Gibt es Standard-KPIs, die allgemeingültig sind? In der Tat kann das
Auffinden eines KPIs ein komplexer Vorgang sein, weil Gültigkeitsbereiche und Blickwinkel eine
starke Rolle spielen. Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht dies sehr plastisch: Aufgrund der
schwindenden Rohstoffreserven ist der Druck auf die Automobilindustrie gewachsen, schadstoffarme
Autos herzustellen. Denn die Größe "CO2-Ausstoß pro gefahrenen Kilometer? ist zu einem KPI im
Prozess der Kaufentscheidung vieler Mitbürger geworden.

Auf diesem KPI baute auch die Argumentationskette für die "Abwrackprämie? der Bundesregierung
auf. Diese versprach doppelten Nutzen: in der Wirtschaftskrise die Autoindustrie und die Konjunktur
zu stützen und zugleich die Umwelt durch reduzierten CO2-Ausstoß zu entlasten. Eine umfassendere
Sicht auf die Problematik zeigt jedoch, dass die ökologische Bilanz ganz anders aussieht, wenn man
die bei der Automobilherstellung anfallende CO2-Menge mit berücksichtigt. Hiernach wäre es
sinnvoller, alte Autos bis zu ihrem "natürlichen? Ende zu fahren und dann erst durch neue zu
ersetzen. Man hätte also den KPI "CO2-Ausstoß pro gefahrenen Kilometer? um den KPI "CO2-Ausstoß
durch die Herstellung? ergänzen und auf die Laufzeit anwenden müssen.

Eine formale Definition könnte lauten: Ein Key Performance Indicator ist ein messbares
Kriterium, das entweder allein oder im Zusammenspiel mit anderen KPIs eine gesicherte, auf einen
definierten Zeitraum bezogene Aussage über die Qualität eines komplexen Systems oder Prozesses
erlaubt. Daraus lässt sich anschaulich ableiten, dass es für komplexe IT-Infrastrukturen kaum
generelle KPI-Sets geben kann, die Allgemeingültigkeit besitzen. In der Regel ist ein ganzes Bündel
von Messkriterien nötig, um eine belastbare Aussage über die Qualität eines komplexen Prozesses zu
erhalten.

KPIs in ihren wechselseitigen Abgrenzungen müssen jedes Mal aus den vorliegenden
Geschäftsprozessen und deren Zielen abgeleitet werden (Top-down). Ihre Identifikation und
Überwachung erfolgt aus dem Gesamtdatenbestand der IT (Bottom-up) und erfordert bereits hohe
Transparenz der zugrunde liegenden IT-Infrastruktur. Anschließend liefern diese KPIs Transparenz
bezüglich des "Gesundheitszustands" der Geschäftsprozesse.

Transparenz durch Normalisierung

In der heutigen IT-Welt haben wir uns mit hoch integrierten und dynamischen
Netzwerkstrukturen auseinanderzusetzen. Der treibende Faktor bei diesem Prozess ist
Kostenreduktion, die Folgen sind die Verschleierung kausaler Zusammenhänge – zum Beispiel der
Tatsache, dass der Ausfall eines Druckers eine Wertschöpfungskette stärker beeinträchtigen kann als
ein Stromausfall im Rechenzentrum.

Unbedingte Voraussetzungen, um diese funktionalen Zusammenhänge erkennen zu können, sind die
Aktualität, die Vollständigkeit sowie die Vergleichbarkeit (Normalisierung) des
IT-Infrastruktur-Datenbestands: Gibt zum Beispiel ein Sensor die Temperatur in Fahrenheit und ein
anderer sie in Grad Celsius an, so sind diese Zahlenwerte erst dann vergleichbar, wenn sie nach
einem Normalisierungsprozess in derselben Einheit notiert sind. Dies klingt simpel, ist in der
Praxis aber häufig eine Quelle für Störfälle.

Zudem ist die Automatisierung der Datenerhebung und somit die Aktualität des Ist-Zustands ein
weiteres Muss, um hinreichende Transparenz der IT-Infrastruktur zu gewährleisten. Erst wenn diese
Voraussetzungen erfüllt sind, ist die IT bereit, im Dialog mit den Fachabteilungen wichtige KPIs zu
überwachen.

Prozessüberwachung einführen

Das Umsetzen einer transparenten und damit proaktiven Überwachung von Geschäftsprozessen
erfordert die Kommunikation über Abteilungs- und Standortsgrenzen hinweg und erfolgt in Schritten.

1. Beschreibung der Geschäftsprozesse unter dem Blickwinkel des Geschäftziels: Zunächst
müssen die Fachabteilungen im Zusammenspiel mit der Geschäftsführung die wichtigsten
Geschäftsprozesse unter dem Top-down-Ansatz identifizieren und beschreiben. In dieser Phase sollte
die Beschreibung völlig losgelöst von der Technik erfolgen, damit nicht schon vorab technische
Bedenken die Sicht auf das Geschäftsziel limitieren. Dabei sind die Prozesse unter Berücksichtigung
einer Weiterentwicklung zu bewerten.

2. Zusammenführung technischer und nicht-technischer Sichten: Ist der erste Schritt
vollzogen, kann der Austausch über die Umsetzung zwischen Fach- und IT-Abteilung erfolgen.
Insbesondere sind nun die technische Machbarkeit zu prüfen und einzelne Objekte oder Teilprozesse
als KPI zu identifizieren. Voraussetzung für die anschließende Überwachung ist es, dass die
gefundenen KPIs einem Bewertungsschema unterliegen.

3. Zuordnung und Überwachung der KPIs: Jetzt erfolgt die Zuordnung der KPIs zu den einzeln
beschriebenen Geschäftsprozessen. Eine wichtige praxisbezogene Regel ist die Verbindlichkeit einmal
definierter KPIs: Häufig veränderte Rahmenbedingungen und die Hinzunahme weiterer Indikatoren
innerhalb kurzer Zeit verhindern verlässliche Aussagen über die Prozess-Performance. Daher sollte
eine gründliche Recherche nach den besten KPIs nicht unter Zeitdruck erfolgen. Einmal vereinbarte
Messkriterien sind nach einer zu definierenden Einschwingphase von allen Beteiligten strikt
einzuhalten.

4. Definition neuer Rollen und Qualifikationen: Essenziell für die anschließende Umsetzung
sind die Kommunikation, die Akzeptanz und damit die Identifikation betroffener Personen mit den
Prozessen. Dies ist am einfachsten durch die Definition neuer Rollen und Qualifikationen innerhalb
einer Organisation umzusetzen. Bekannte Rollen sind in diesem Zusammenhang Chief Process Officer,
Enterprise Architect oder Business Process Expert.

5. Proaktive KPI-Überwachung und Business-Service-Management (BSM): Bei der Überwachung der
Geschäftsprozesse kommt Software-Tools die entscheidende Rolle zu. Sie müssen aus der
Bottom-up-Betrachtung immer einen aktuellen, vollständigen und normalisierten Datenbestand
garantieren. Aus diesen Daten müssen sich überwachbare Business-Services komponieren lassen, die
rein technische Anwendung haben oder aber einem Geschäftsprozess zuzuordnen sind. Die Daten müssen
aber auch die Lücke zwischen den Anforderungen der Fach- und der IT-Abteilung überwinden, indem die
beschriebenen Prozesse leicht modelliert und den Business-Services mit deren
Rückkopplungsregelwerken zugeordnet werden können.

Zudem sollte die eingesetzte Software die Verbindung zwischen BSM und ITSM
(IT-Service-Management, darunter Incident, Problem, Change- und Configuration-Management) möglichst
direkt und ohne Medienbruch gewährleisten. Anschließend bietet ein automatisiertes Reporting die
Grundlage dafür, dass ein Unternehmen nach gewisser Zeit die Geschäftsprozesse und KPIs neu
bewerten und gegebenenfalls optimieren kann. Das Reporting bildet auch die Grundlage für die SLAs
(Service Level Agreements) und damit für die Verantwortlichkeiten der Abteilungen.

Die Umsetzung dieser Schritte ermöglicht es, die Überwachung einzelner Geschäftsprozesse
nacheinander einzuführen. Dies garantiert die Nachvollziehbarkeit der Wirkungsketten und deren
Überprüfung unter unterschiedlichen Randbedingungen. Die Einführung des
Geschäftsprozess-Monitorings ist damit aber nicht endgültig abgeschlossen. Denn das
Business-Process-Management (BPM) ist selbst ein Prozess, der fortwährend zu pflegen ist.

Dr. Kuersad Goegen ist Product Manager bei Realtech.


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