IP-TK-Anlagen als strategische Business-Lösung

Unified Communications

17. Dezember 2007, 23:00 Uhr | Stefan Mutschler/pf

Der Trend zur IP-gestützten Telekommunikation setzt sich bei Carriern ebenso wie in den Unternehmen konsequent fort. Firmen nutzen bei ihren TK-Anlagen inzwischen sogar immer mehr "reinrassige" IP-Lösungen. Dabei geht es meist um eine Konsolidierung der Kommunikationsinfrastrukturen samt Management, zunehmend aber auch um neue Anwendungen beziehungsweise eine neue Kommunikationsphilosophie. Das Stichwort lautet Unified Communications im Dienst des Kerngeschäfts.

Hybride IP-/TDM-Anlagen (TDM: Time Division Multiplexing) dominieren zwar nach wie vor das
Szenario, ihr Wachstum liegt mit 15 Prozent (gemessen an der Zahl der Anschlüsse weltweit) aber nur
mehr bei gut der Hälfte dessen reiner IP-TK-Anlagen. Deren Wachstum im Vergleich zum Vorjahr lag
Mitte 2007 bei 29 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt der "IP Telephony Enterprise Report" für das
zweite Quartal 2007 von der Dell´Oro Group. Demnach summierten sich die Verkäufe von
IP-TK-Anschlüssen im zweiten Quartal 2007 auf 38 Prozent der insgesamt verkauften Anschlüsse. Das
größte Stück dieses Kuchens (23 Prozent) ging auf das Konto von Cisco, 16 Prozent auf das von
Nortel und 14 Prozent auf das von Avaya. Bei den weltweiten Umsätzen mit IP-basierendem Equipment
(Anlagen plus Telefone) liegt Cisco mit 24,5 Prozent ebenfalls an der Spitze, gefolgt von Avaya
(19,2 Prozent) und Nortel (14,7 Prozent). Den Kampf um Platz vier hat in diesem Quartal Siemens
(6,5 Prozent) gegen Alcatel-Lucent (6,1 Prozent) für sich entschieden. Weitere namhafte Anbieter
von reinen IP-TK-Anlagen beziehungsweise IP-Telefonen sind unter anderem 3Com, Aastra (in
Deutschland vertreten durch Aastra Detewe), Ericsson, Inter-Tel, Mitel, NEC, Polycom und Toshiba.
Zumindest auf dem deutschen Markt sind nach wie vor spezialisierte Technologieschmieden wie
Innovaphone und Swyx weitere wichtige Player. Bei den hybriden Anlagen ist Avaya nach Umsätzen
klarer Weltmarktführer (25,9 Prozent), vor Siemens (21,2 Prozent) und Nortel (16,2 Prozent).

Unified Communications als Auswahlkriterium immer wichtiger

Dem allgemeinen Trend folgend, IT stärker als bisher meist üblich in den Dienst der Kernprozesse
des Unternehmens zu stellen, geht es auch bei der Auswahl eines IT-gestützten Kommunikationssystems
inzwischen mehr um solche übergeordneten strategischen Aspekte als um einzelne Produkt-Features.
Als wichtigsten Trend für die nächsten Jahre haben die Marktauguren hier das Thema Unified
Communications (UC) identifiziert: Die IP-TK-Anlage erweitert die Rolle einer klassischen
Telefonnebenstellenanlage hin zu einer universellen Kommunikationsanlage, in der idealerweise
sämtliche Formen der elektronischen Kommunikation integriert sind.

Bis heute sind Kommunikationsgeräte und -anwendungen wenig sinnvoll aufeinander abgestimmt:
Einer Untersuchung von Sage Research zufolge (2006) nutzen Geschäftsleute heute im Schnitt 6,4
verschiedene Endgeräte (IP- und Festnetztelefon, Videokonferenzsystem, Mobilfunkhandy, Notebook,
PDA, Fax etc.). Gleichwohl sind vor allem mobile Mitarbeiter bei 56 Prozent der befragten
Unternehmen zumindest einmal in der Woche nicht auf Anhieb erreichbar. Täglich scheitern erste
Kontaktversuche bei immerhin noch 36 Prozent der Firmen. Im gleichen Kontext fand Forrester
Research heraus (2005), dass die mangelnde Erreichbarkeit entscheidungsbefugter Mitarbeiter bei 27
Prozent aller amerikanischen Unternehmen mehrfach in der Woche Terminschwierigkeiten und
Verzögerungen von Geschäftsabläufen verursacht – Produktivitätsverlust und entgangene Umsatzchancen
sind die fast zwangsläufige Folge.

In einem in diesem Jahr erschienenen Report mit dem Titel "Unified Communications in Deutschland"
geht Berlecon Research davon aus, dass der Markt für Unified Communications schon im Jahr 2008
deutlich wachsen wird. Die Lösungen der einzelnen Anbieter seien in ihrer Funktionalität teilweise
sehr ähnlich. Allerdings wiesen sie bei der Unterstützung von Fremdanbietern sowie an der
technischen Basis wesentliche Unterschiede auf, die bei der Entscheidung für einen Anbieter
berücksichtigt werden sollten. Berlecon empfiehlt Unternehmen daher, im Vorfeld zu prüfen, ob die
Unified-Communications-Lösung in eine über die Jahre gewachsene ITK-Infrastruktur integrierbar
ist.

Dell´Oro erwartet, dass Unified Communications nach und nach einen erheblichen Einfluss auf die
Verkäufe von IP-TK-Anschlüssen haben wird: Unternehmen wollen demnach bereits bei ihren aktuellen
Infrastrukturinvestitionen sichergehen, ein möglicherweise innerhalb der nächsten fünf bis zehn
Jahre anliegenden UC-Rollout unterstützen zu können. Dell´Oro sieht in UC sogar die
Schlüsseltechnologie, an der sich das Ranking der Anbieter von IP-TK-Anlagen in den kommenden
Jahren neu bemessen wird. Mit zunehmender Reife der UC-Lösungen – insbesondere von IBM (inklusive
Sametime, Lotus Notes und Websphere) sowie Microsoft – sollen viele Call-Control-Funktionen, die
bisher in der TK-Hardware sitzen, in diese Software wandern. Die Marktforscher erwarten eine
deutliche Zunahme von Partnerschaften der Anlagenhersteller mit IBM oder Microsoft – ähnlich wie es
im vergangenen Jahr Nortel mit Microsoft und in diesem Jahr Siemens mit IBM vorgemacht haben.
Außerdem sollen UC-Lösungen schon bald auch den Mittelstand erobern. Vereinfachte Installation und
Wartung sollen dabei helfen.

Ein gutes Beispiel dafür dürfte die an den Mittelstand gerichtete UC-Komplettlösung "Hipath
Openoffice" sein, die Siemens anlässlich der Systems 2007 in München vorgestellt hat. Das Besondere
an dieser Lösung ist die Appliance-Architektur: Alle Applikationen sind vorkonfiguriert auf einer
leicht zu installierenden Hardwareplattform. Jede Benutzerlizenz beinhaltet Siemens Openscape
Office, eine für die Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmen ausgelegte
Unified-Communications-Suite. Einige ihrer Funktionen eignen sich durchaus gut als Referenz für
eine allgemeine Checkliste von UC-Lösungen: Dazu zählen etwa eine Präsenzanzeige, die Einbindung
von Drahtlosnetzen, ein Plug-in für die Integration in Microsoft Outlook sowie Message-Boxen für
Sprach- und Faxnachrichten. Unternehmen, die Lotus Notes einsetzen, sollten auf eine entsprechende
Schnittstelle achten – bei der neuen Siemens-Lösung ist diese erst in Planung. Features wie die
Aufzeichnung von Anrufen sowie das Wählen eines Telefonkontakts aus jeglicher Anwendung heraus
zählen heute eigentlich zum Standard. Wünschenswert sind außerdem ein Anrufjournal und eine
Auto-Attendant-Funktion zur Begrüßung und Weiterleitung von Anrufern – ebenfalls Bestandteil der
Hipath-Openoffice-Lösung.

Für mittlere bis große Unternehmen hat Siemens kürzlich eine neue Version ihrer
Hipath-4000-Plattform vorgestellt (Version 4). Zu den wesentlichen Kriterien, die Siemens in dieser
Liga adressieren will, gehören beispielsweise virtuelle Rufnummernpläne (wichtig für die
Integration von Zweigstellen sowie die Unterstützung historisch gewachsener Rufnummernpläne),
durchgängige Verschlüsselung mittels TLS-Mechanismen (Transport Layer Security) sowie die
Unterstützung von SRTP (Secure Real-time Transport Protocol) und PKI (Public Key Infrastructure).
Ferner zählen ein Voice-Mail- und CTI-Client (Computer Telephony Integration) sowie Schnittstellen
für die einfache Integration von SAP-, Siebel- und Microsoft-Anwendungen dazu. Hipath 4000 V4 lässt
sich außerdem mit der Hipath-Mobileconnect-Lösung kombinieren, die es dem Nutzer erlaubt, mit
Dual-Mode-Endgeräten sowohl in drahtlosen lokalen Netzen (WLAN) als auch in Mobilfunknetzen zu
telefonieren und dabei ohne Gesprächsabbruch von einem Netz in das andere zu wechseln. Bei dem auf
große Unternehmen zugeschnittenen Flaggschiff Hipath 8000 ist dies bereits seit längerem
möglich.

Cisco wiederum verfolgt einen UC-Ansatz, der insbesondere den Zugang zu sämtlichen
Kommunikationsformen über alle Medien- und Standortgrenzen hinweg vereinheitlichen soll. Der
Hersteller verweist in puncto UC auf seine Stellung und Expertise bei der Netzwerkinfrastruktur,
denn die Grundidee von Unified Communications leite sich unmittelbar aus der Architektur des von
Cisco entwickelten "Intelligent Information Networks" (IIN) ab. Dies ist ein sicher berechtigtes
Argument, denn als Folge der Zusammenführung von Sprache und Daten via UC kann laut diverser
Anwenderstudien die Performance von Anwendungen im Netz deutlich sinken. Laut einer Untersuchung
von Network General beispielsweise registrierten fast 40 Prozent der beteiligten Firmen
Performance-Einbußen von Anwendungen, die sie auf die Konvergenz der Kommunikationslösungen in
ihrem IP-Netz zurückführten. IIN sei, so Cisco, von der Basis her bereits für UC ausgelegt und
setze den Konvergenzgedanken bis in die Service- und Anwendungsebene der Infrastruktur fort.

Die zentrale Vermittlungsintelligenz für IP-Kommunikation im "intelligenten Netz" stellt der
Cisco Unified Callmanager 5.0 dar. Die für ihn reklamierten Schlüsseleigenschaften – Skalierbarkeit
und Verteilbarkeit auf unterschiedliche Standorte – markieren elementare Entscheidungskriterien für
mittlere und große Unternehmen. Verschiedene Server lassen sich zu einem Cluster verbinden, der
jeweils bis zu 30.000 Nutzer versorgt. Zweiter Hauptbestandteil der Cisco-UC-Lösung ist der "
Unified Personal Communicator". Die Software bündelt Telefon-/Videoanrufe, Webkonferenzen, das
Abspielen von Voice Mails und den Zugriff auf unternehmensweite Kontaktverzeichnisse unter einer
gemeinsamen Bedieneroberfläche. Mit dem "Unified Mobility Manager" schließlich sollen sämtliche
Kommunikations-Features des Unternehmens auch unterwegs oder im Home Office zur Verfügung stehen.
Komplettiert wird das Kommunikationsportfolio von Cisco durch Lösungen wie "Unified
Videoconferencing" und "Unified Meetingplace Express", womit sich Telefon-, Video- oder
Webkonferenzen im Geschäftsalltag unkompliziert und situationsgerecht einsetzen lassen sollen.

Anlagenanschluss mit SIP-Trunking

Ein weiteres Thema, das im Zusammenhang mit IP-TK-Anlagen immer wichtiger wird, ist die
Unterstützung von SIP-Trunking. Dieses bezeichnet die SIP-basierende (Session Initiation Protocol)
Verbindung zwischen der Telefonanlage und einem TK-Provider, also gewissermaßen das IP-Pendant zu
einem ISDN-Anlagenanschluss, wie er bislang auch in IP-Systemen üblich und nötig ist. Erst langsam
kommen die Provider mit SIP-Trunk-Services für Unternehmen auf den Markt. Dies bedeutet
beispielsweise durchwahlfähige Anlagenanschlüsse, die Direct Dial-in unterstützen, – das
Provider-seitige Gegenstück zum SIP-Trunking der TK-Anlage. Auch die Integration von Fax über
SIP-Trunking (erfordert beim Provider und in der Kommunikationslösung die Unterstützung des
T.38-Standards) bieten die bislang kaum an. Der Zukunftstrend ist jedoch klar erkennbar und sollte
bei aktuellen Kaufentscheidungen berücksichtigt werden.

Mit SIP-Trunking entfallen die bisher nötigen Gateways vor Ort, die die Stimme zwischen ISDN und
IP transformieren. Das Ergebnis ist damit im Idealfall eine durchgängige IP-Kommunikation von Ende
zu Ende, was Marktforschern zufolge wiederum zu einer insgesamt steigenden Sprachqualität führen
wird. Bis zur breiten Durchsetzung von SIP-Trunking wird es allerdings noch eine Weile dauern.
Erfahrungen beispielsweise aus den USA zeigen, dass viele Carrier und Service-Provider bei
SIP-Trunk-Services für Unternehmen offenbar ihr eigenes Süppchen kochen. Mit der Interoperabilität
ist es (noch) nicht weit her, und diese Tatsache erweist sich für die Entwicklung des Markts
zurzeit als Bremsklotz. Mit der in Zukunft erwarteten Harmonisierung soll SIP-Trunking zeitnah zum
globalen Renner werden.

ENUM nimmt Fahrt auf

Beobachter finden viele Gründe, warum sich SIP gegen den einstigen Mitbewerber H.323 inzwischen
so überzeugend durchgesetzt hat. Einer davon ist die mit SIP realisierbare Unterstützung der
ENUM-Funktion. ENUM steht für "Telephone Number Mapping" und ist eine Anwendung des Domain Name
Systems zur Übersetzung von Telefonnummern in Internetadressen. Der Bedarf dafür kam mit der
Verfügbarkeit von VoIP-Diensten (VoIP: Voice over IP) und dem Wunsch der Anwender, sowohl im
Internet als auch im klassischen Telefonnetz unter derselben Nummer erreichbar zu sein. Ruft jemand
eine Telefonnummer an, für die eine ENUM-Domain existiert, dann fragt das eigene Endgerät
beziehungsweise alternativ auch ein entsprechender Provider mittels der ENUM-Domain das Ziel ab.
Findet sich ein anderes hinterlegtes Ziel, zum Beispiel ein VoIP-Endgerät, eine Handynummer oder
eine Festnetznummer, so lassen sich auch damit Verbindungen aufbauen. Der Clou dabei: Es können
auch mehrere Ziele hinterlegt sein, die dann der Reihe nach, gegebenenfalls sogar gemäß bestimmter
Prioritäten abgefragt werden.

Neben Telefonnummern lassen sich auf SIP-Telefonen auch SIP-Adressen (URI – Uniform Resource
Identifier) wählen, die genau wie E-Mail-Adressen geformt sind und das Schemapräfix "sip:" tragen:
zum Beispiel "sip:info@muster.de". Voraussetzung ist, dass das Telefon oder die Software die
Eingabe einer alphanumerischen SIP-Adresse ermöglicht. Unterstützt der SIP-Client das
ENUM-Look-up-Verfahren, so überprüft er bei einer Registrierstelle, ob für die gewählte Rufnummer
ein SIP-URI-Eintrag vorliegt. Ist dies der Fall, wird das Gespräch mit dem hinterlegten
SIP-URI-Eintrag aufgebaut. Bei diesem "Public ENUM Look-up" läuft das Gespräch komplett über IP.
Teilweise bieten auch Provider das ENUM-Look-up an ("Private ENUM-Look-up"). Aus taktischen Gründen
beschränken sich die meisten dabei auf ihren eigenen Kundenkreis. So kommt es nicht selten vor,
dass Telefonate zwischen zwei IP-Endgeräten dennoch über das Festnetz laufen und entsprechend
abgerechnet werden.

Mit IP haben deutlich flexiblere und besser in ein Gesamtkommunikationskonzept integrierbare
TK-Lösungen in den Unternehmen Einzug gehalten, als dies früher mit klassischen TK-Systemen der
Fall war. Der Preis dafür sind höhere Anforderungen an die eigene IT-Infrastruktur und oft ein
höheres Maß an Komplexität. Aber wer sich diesbezüglich nicht belasten will, für den stehen etwa
über IP-Centrex interessante Outsourcing-Modelle zur Verfügung (siehe Beitrag auf Seite 54).


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