Unter dem Schlagwort "Triple Play" versprechen Netzwerkausrüster und Carrier den Massen-Rollout von Daten-, Sprach- und Multimediadiensten via Breitbandanbindung. Dies bedeutet in Deutschland unter anderem einen teuren Ausbau des DSL-Access-Netzwerks der Deutschen Telekom - begleitet von heftiger Kritik der alternativen Netzbetreiber. In der stark Consumer-orientierten Debatte taucht die Frage nach Vorteilen von Triple Play für Unternehmen oft nur am Rande auf.
Seit Jahren suchen die Carrier weltweit händeringend nach neuen Einnahmequellen, um abbröckelnde
Umsätze aus der Festnetztelefonie auszugleichen. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Basis für
innovative, umsatzträchtige Services nur der Breitbandanschluss sein kann. Der Wettbewerb im
deutschen Breitbandmarkt – sofern man angesichts der marktbeherrschenden Stellung der Deutschen
Telekom (DTAG) in Sachen ADSL überhaupt von einem solchen sprechen möchte – beschränkte sich bis
dato jedoch schlicht auf einen Preiskrieg um die niedrigsten Tarife und die billigste Flatrate. Von
neuartigen Diensten war bisher wenig zu spüren.
Dem setzt die Gemeinde der Netzwerkausrüster seit zwei, drei Jahren ihr Mantra von den "
Triple-Play-Diensten" entgegen. Der Begriff "Triple Play" beschreibt zunächst einfach den Bezug von
Daten-, Sprach- und Multimediadiensten über eine serviceübergreifend genutzte Breitbandanbindung.
Diese Services sind implizit alle IP-basiert. Die Triple-Play-Begeisterung der Lieferantenschar
nährt sich aus der Hoffnung, dass die Netzbetreiber früher oder später eine neue Netzgeneration
(Next Generation Networks, NGNs) einführen müssen, um all den IP-Traffic zu stemmen. Als "NGN"
bezeichnet die Branche mal ein IP-freundlich aufgebohrtes SDH, mal reine End-to-End-Ethernet-Netze
mit IP/MPLS-Core, mal Mischformen. Nachdem die DTAG das TV-Kabelnetz als Zugangstechnik erfolgreich
aufs Abstellgleis gedrängt hat, dürfte sich hier zu Lande der Access vor allem auf xDSL und
Wireless-Techniken (Mobilfunk, Wimax) stützen. In Zukunft könnte ein weiteres Augenmerk auf
passiven optischen Netzen (Passive Optical Network, PON) liegen.
Mitte des Jahres waren laut DSL-Forum weltweit 115 von 176 Millionen Breitbandzugängen DSL-basiert, also über 65 Prozent. Ein Drittel dieser Anschlüsse verzeichnet die EU. Die Ausgangslage für Triple Play ist also solide. Einen Vorgeschmack auf neuartige Dienste, mit denen Carrier ihre Kunden künftig beglücken könnten, lieferte die Branche im Oktober auf dem Broadband World Forum (BBWF) in Madrid.
Siemens Communications zum Beispiel hat sich aufgemacht, den Markt für Home Entertainment mit Triple-Play-Gerätschaft zu erobern. Laut Siemens - und durchaus dem Trend der Branche entsprechend - wird DSL zum Medium für HDTV (High-Definition Television) sowie für Dienste wie IP-Telefonie, Onlinespiele, Video on Demand (VOD, bei Siemens "digitale Videothek" genannt), digitales Aufzeichnen von TV-Sendungen (Personal Video Recorder, PVR) und mehr. Die Infrastruktur dafür will der Ausrüster mit seinem Surpass-Home-Entertainment-Portfolio liefern und verweist auf erste Pilotprojekte in Belgien (Belgacom), den Niederlanden (KPN) und Thailand (ADC). Die "Media Delivery Solution" soll zudem Video-Streaming an mobile Endgeräte ermöglichen. Bei solchen Lösungen kämpfen die Anbieter noch mit der hohen Erwartungshaltung der TV-Konsumenten. Siemens zum Beispiel verspricht einen TV-Kanalwechsel "in Sekundenschnelle". Eine volle Sekunde Umschaltzeit wäre für das verwöhnte Fernsehpublikum allerdings quälend langsam.
Neben der klassischen Systemintegrationskompetenz setzt Siemens auf Komplettlösungen vom Vermittlungssystem über den Breitbandzugang bis hin zum CPE (Customer Premise Equipment), hier also der Set-Top-Box. Entertainment-Giganten wie Sony und Konsorten haben diesen lukrativen Markt ebenfalls im Auge. Hier nimmt die Zahl der Kooperationen stetig zu, mit Übernahmen ist zu rechnen. So hat Cisco zum Beispiel im November den Set-Top-Box-Hersteller Scientific-Atlanta gekauft. Siemens wiederum arbeitet mit Sony daran, die Spielekonsole Playstation 2 als Triple-Play-Endgerät zu nutzen. Ein weiteres Beispiel: Der Softswitch-Anbieter Cirpack ist eine Tochter von Thomson, einem großen US-Lieferanten von Unterhaltungselektronik ("brauner Ware").
Ähnliche Ziele wie Siemens verfolgt Konkurrent Lucent. Die Amerikaner locken die Netzwerkbetreiber mit "Blended Lifestyle Services". Gemeint sind integrierte interaktive Telefonie-, Web- und Videofunkti-onen für stationäre und mobile Geräte. Das Spektrum reicht vom MPEG-4-Streaming over IP bis zu Video-Messaging und Videokonferenzen per TV, Anrufe mit Caller ID auf dem Fernseher mit Programmpause bei Anruf sowie das Verschmelzen von TV- und Datendiensten. Als Beispiel nennt Lucent Fernsehprogramme mit gleichzeitigem IP-basiertem Instant Messaging oder Voice Chat. Infrastrukturseitig bietet der Netzausrüster dazu Equipment wie sein IMS (IP Multimedia Subsystem) und Multicast-fähige IP-DSLAMs (IP-basierte DSL-Aggregatoren) an.
IP-DSLAM-Marktführer ist die chinesische Huawei; Geräte dieser Gattung führen zahlreiche Hersteller von ECI über Key-mile bis ZTE. Laut Walter Haas, Director Network Solutions bei Huawei, eignen sich vor allem End-to-End-IP-NGNs - also Netze mit IP-DSLAMs - als Triple-Play-Infrastruktur. In diesem Punkt widerspricht Jörg Stettner, Leiter Netze beim Kölner Netzbetreiber QSC, seinem Lieferanten: IP-DSLAMs seien "nicht kriegsentscheidend", Triple Play sei "sehr wohl auch über ein ATM-Access-Netz umsetzbar". Die Hersteller werfen hier die Frage der Skalierbarkeit auf. Entsprechend berichtet Huawei von großer Nachfrage nach IP-DSLAMs.
Die französische Alcatel, mit über 70 Millionen ausgelieferten DSL-Ports weltweit Marktführer bei DSL-Equipment, geht mit ihrem Konzept der "personalisierten Triple-Play-Applikationen" noch einen Schritt weiter als Siemens und Lucent. "My Own TV" stellt Carriern Tools bereit, damit Verbraucher sich als Gestalter eigener TV-Kanäle betätigen können. So sollen zum Beispiel Familien gemeinsam auf mit Kommentaren versehene Videos zugreifen. Die Applikation "Amigo TV" wiederum zielt auf das "virtuelle Wohnzimmer". Auch hier sollen Chat und VoIP (Voice over IP) einem ortsunabhängig gemeinsamen TV-Konsum den Weg ebnen. Alcatels Lösungen basieren auf Microsofts IPTV-Plattform. Der Anbieter stellt eine Verfügbarkeit für das erste Quartal 2006 in Aussicht.
Der Triple-Play-Hype konzentriert sich derzeit sehr stark auf die vielen bunten Möglichkeiten für neue Consumer- und insbesondere Entertainment-Angebote. Ein erstes Beispiel in Deutschland ist T-Online Vision. Als Hürde nennt Giovanni Benini, Vice President Home Entertainment bei Siemens, den Umstand, dass Triple Play für die Carrier ein völlig neues Geschäftsmodell ist. Die Netzbetreiber müssen sich um verbreitbare Inhalte bemühen; erstmals sind auch die Endgerätepreise ein wichtiger Akzeptanzfaktor.
Bei der Frage nach dem Nutzen für die Geschäftswelt zeigen sich die Anbieter meist
zurückhaltender. Einige, so Cirpacks Chef-Marketier Fabien Maisl, prophezeien Unternehmen in der
Rolle als Service-Provider, zum Beispiel Hotels und Krankenhäuser mit VOD-Angeboten. Siemens bietet
unter dem Namen "Smart Home Solutions by Surpass" Lösungen für vernetzte Haushalte mit
Remote-Sicherheitsüberwachung und Betreuung von kranken oder bettlägerigen Bewohnern via Web. Hier
könnte Triple Play ganz neue Geschäftsfelder eröffnen. Alcatel wiederum sieht My Own TV auch als
Mittel in der Business-to-Consumer-Kommunikation: Unternehmen und Behörden könnten damit
Multimediainhalte an ihre Zielgruppen richten.
Dies klingt nur auf den ersten Blick futuristisch: Schon heute bieten zum Beispiel
Spielzeugproduzenten auf ihren Websites Video-Clips und Onlinespiele an. Die Verschmelzung von Web
und TV ebnet den Weg dafür, dass solche Konzerne als Content-Lieferanten für Carrier auftreten. So
könnten künftig zu den zahllosen TV-Kanälen zum Beispiel "Lego-Channels" zählen, über die der
Hersteller unterschiedliche Altergruppen mit maßgeschneiderten Programmen und Spielen an sich zu
binden versucht. Solch ein "Community-Building" greift bereits stark um sich. Ob dies wirklich ein
Fortschritt gegenüber der heutigen Fernsehlandschaft ist, sei dahingestellt. Siemens-VP Benini
sieht in Business-TV bestenfalls einen "netten Nebeneffekt" einer insgesamt Consumer-orientierten
IPTV-Landschaft.
Wenig ergiebig sind Triple-Play-Szenarien für den Business-to-Business-(B2B-)Bereich: "Der
asymmetrische Charakter von Triple Play ist für B2B wenig hilfreich," so der Netzwerkleiter eines
deutschen Carriers. "Die Geschäftskommunikation braucht vielmehr sinnvolle symmetrische Angebote."
Sinnvoll wären Dienste wie multimediale Online-Meetings. Hierfür hat zum Beispiel Netzwerkausrüster
Allied Telesyn kürzlich die Vermarktungsrechte der Online-Collaboration-Lösungen von Isospace
erworben. Allied Telesyn will sie Carriern als Hosted Solution anbieten.
Nützlich für den Geschäftsalltag ist auch ein weiterer Aspekt von NGNs: das Zusammenwachsen von
Festnetz und Mobilfunk (Fixed-Mobile Convergence, FMC). Zum Beispiel hat QSC jüngst auf der Basis
von Huawei-NGN-Softswitches eine FMC-Anwendung angekündigt: Das "Virtual Office" soll ab Dezember
verfügbar sein und wird per Web-Interface intuitiv konfigurierbare Dienste wie Personal Routing,
Interactive Voice Response (IVR) sowie Rückrufdienste umfassen. Endgeräteseitig erfordert es keine
Neuinvestitionen. Mit Personal Routing lassen sich Anrufer und Anrufergruppen zeit- oder
herkunftsabhängig auf unterschiedliche Anschlüsse umleiten. Das erlaubt VIP-Listen ebenso wie
Sperrlisten zur Vermeidung von Voice-Spam (Spit). Mit IVR steht nun auch Kleinunternehmen und
Freiberuflern ein interaktives Sprachsystem zur Verfügung, das Anrufer weiterleitet oder mit dem
gewünschten Gesprächspartner verbindet. Rufumleitung und Rückruf (Call-Through, Call-Back) sollen
vor allem bei Mobilfunkgesprächen die Verbindungskosten senken.
Für die üppigen NGN- und Triple-Play-Zukunftsentwürfe wäre es praktisch, wenn jeder Haushalt per
Glasfaser am weltweiten IP-Netz hinge. In der Realität bleibt die "letzte Meile" – der Kupferdraht
vom Hauptverteiler (HVT) zum Haushalt oder Unternehmen – der Knackpunkt in Sachen Performanz. Das
Problem: Triple-Play-Dienste, vor allem HDTV, erfordern neben Quality of Service und Traffic
Shaping vor allem mehr Bandbreite, als ADSL sie hergibt: 6 bis 8 MBit/s pro HDTV-Kanal. Deshalb
gewinnen die ADSL-Nachfolgestandards an Relevanz.
Die potenteren DSL-Varianten von ADSL2+ bis hin zu VDSL2 bringen es durch Einsatz höherer
Frequenzen auf Übertragungsraten von bis zu 55 MBit/s (Bild 1). VDSL2-Endgeräte sind ab 2006 zu
erwarten; Alternativen sind zwar vorhanden, aber nicht verbreitet (siehe Kasten "Multi-Link Bonding"
). Der erreichbare DSL-Durchsatz hängt stark von einer möglichst kurzen Kupferleitung ab, da die
Performance bei größerer Entfernung deutlich in die Knie geht: ADSL2+ bietet nur bis zu zwei
Kilometer Kupferstrecke überhaupt ein Plus gegenüber ADSL; eine VDSL-Kupferleitung wiederum sollte
nur wenige hundert Meter lang sein, um ADSL2+ nennenswert zu übertreffen (Bild 2). Das bedeutet:
Für einen VDSL-Rollout muss ein Carrier die Glasfaser näher zum Kunden bringen – also die Straßen
aufreißen und Fiber vom HVT zum Kabelverzweiger (KVZ) legen (Bild 3).
Solche Bauarbeiten stehen uns bevor: Zur Internationalen Funkausstellung in Berlin hat die DTAG
angekündigt, in den nächsten Jahren rund drei Milliarden Euro in den Aufbau eines Access-Netzes mit
50 MBit/s (also VDSL2) zu investieren. Der Ex- (und bei ADSL Beinahe-)Monopolist will damit
zunächst die zehn größten deutschen Städte, in einer zweiten Phase 30 Städte mit Highspeed-DSL
versorgen. Bis 2007 will die DTAG-Tochter T-Com die 50 größten deutschen Städte abdecken. Ziel ist
auch hier ein Triple-Play-Angebot mit HDTV – die einzige Anwendung, die diese Bandbreite benötigt.
Branchenkenner vermuten, dass drei Viertel der Investitionssumme allein für Tiefbauarbeiten
auszugeben sind.
Den Telekom-Plan halten viele Marktbeobachter für einen längst überfälligen Schritt, ist doch
die ADSL-Nation Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz fünf abgerutscht: Nicht nur
China, die USA und Japan weisen heute mehr DSL-Anschlüsse auf, sogar Frankreich hat Deutschland
überholt. So verkündete Walter Raizner, Telekom-Vorstand Breitband/Festnetz, das Projekt solle
Deutschland den "Eintritt in die Spitzengruppe der Breitbandstaaten" ermöglichen.
Kaum verkündet, steht das DTAG-Vorhaben aber schon in der Kritik: Der Zusammenschluss der
Telekom-Konkurrenten VATM (Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten) ist
misstrauisch, weil die DTAG vorrangig auf Großstädte abzielt. Diese seien bereits sehr gut mit
Breitband versorgt – durch die Telekom ebenso wie durch die Wettbewerber: "Unter dem Deckmantel der
Innovation", so VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner, "verkauft die DTAG hier eine Strategie, die
angesichts des drohenden Verlustes weiterer Marktanteile im Breitbandbereich gezielt auf
Wettbewerbsverdrängung in ausgewählten, wettbewerbsintensiven Ballungszentren setzt, anstatt auf
flächendeckenden Infrastrukturausbau ausgerichtet zu sein." So sieht der VATM die Bundesnetzagentur
(ehemals RegTP) gefordert, die Deregulierung weiter voranzutreiben – gerade weil der
DSL-Platzhirsch mit seinem Milliardenbudget und der Kontrolle über den KVZ mächtige Joker in der
Hand hält. Der Verband fordert, das Telekom-Vorhaben genau im Auge zu behalten. Denn der DTAG gehe
es letztlich "um Marktverdrängung und Remonopolisierung – dort, wo Wettbewerb gerade erst Fuß
gefasst hat."
Der Wettbewerb im deutschen Breitbandmarkt hat die Preise für ADSL-Flatrates bereits in den
Tiefflug gezwungen. Dieser Wettbewerb ist für Konsumenten ebenso wichtig wie für Unternehmen.