Telekom-Projekt verändert den Carrier-Markt

VDSL setzt kleinere Provider unter Druck

14. September 2006, 23:35 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner

Das viel diskutierte Milliardenprojekt der Deutschen Telekom (DT), 50 deutsche Städte mit VDSL2 zu versorgen, setzt alternative Provider unter Zugzwang: Wollen sie nicht von DT-Vorleistungen abhängen, müssen sie verstärkt in eigene Infrastruktur investieren, Nischen bedienen oder über Kooperationen Synergien erzielen. Dies sichert auch den Bestand an DT-Alternativen für Unternehmen.

Seit Monaten tobt in der deutschen Carrier-Branche und auf politischer Ebene ein mit harten Bandagen geführter Streit um die Zukunft der deutschen DSL-Landschaft unter der Überschrift "Triple Play": Daten, Sprache und TV/Video sollen künftig über eine gemeinsame Breitbandleitung via IP zu beziehen sein. Die Triple-Play-Debatte ist hochgradig Consumer-orientiert, geht es doch um Marktanteile bei der Versorgung deutscher Privathaushalte mit TV-Angeboten und IP-Zusatzdiensten. Das Problem für Unternehmenskunden: Vom Erfolg der Triple-Play-Geschäftsmodelle wird viel abhängen - die Art und Qualität zeitgemäßer DSL-Flächenversorgung, bei einzelnen regionalen Anbietern eventuell gar die Konkurrenzfähigkeit.

Der VDSL2-Rollout (Very High Bit-Rate Digital Subscriber Line 2) der DT ist Zeichen einer tief greifenden Erneuerung des deutschen Incumbents (Ex-TK-Monopolisten) - in technischer und geschäftlicher Hinsicht. In technischer, da VDSL massive Investitionen in die Access-Infrastruktur erfordert: Die Telekom spricht von einem Investitionsvolumen von stolzen drei Milliarden Euro in den nächsten Jahren, um die 50 größten deutschen Städte mit VDSL zu versorgen. Diese Kosten entstehen nicht nur durch den Generationswechsel bei Access- und Backhaul-Komponenten, sondern auch durch den Zwang, in großem Umfang Glasfaser verlegen zu müssen: Die angepeilte Bandbreite von 50 MBit/s errreicht VDSL2 nur über Kupferleitungen von maximal 700 bis 900 Metern Länge. Das bedeutet, Fiber bis zum Kabelverzweiger legen zu müssen, der künftig statt passiver Verteiltechnik aktive Komponenten beherbergt.

Neues Geschäftsmodell

Der geplante Wandel im DT-Geschäftsmodell gleicht dem Ansatz, den Incumbents und alternative
Telcos in zahlreichen Ländern verfolgen: Man zielt auf das Geschäft mit Multimedia-Inhalten – allen
voran IPTV (Fernsehen über IP) inklusive Pay-TV (Bezahlfernsehen); innovative Zusatzdienste, die
Triple Play ermöglicht, stehen meist ebenfalls auf der Roadmap. Oberstes Ziel besonders der
Incumbents ist es, bröckelnde Telefonieumsätze auszugleichen.

Angesichts üppiger Visionen der Triple-Play-Ausrüster – bei DT sind das Alcatel, ECI und
Microsoft – warnen manche Branchenkenner vor den Risiken einer Konkurrenz zum klassischen TV. Im
Bericht "Making Broadband Triple Play Profitable: Germany" (Juni 2006) spricht das Analystenhaus
Forrester bezüglich VDSL gar von einem "finanziellen Selbstmord" der DT angesichts drohender
Verluste von 1330 Euro pro Benutzer innerhalb von zehn Jahren, insbesondere bedingt durch die
Kosten, die bei der Umstellung auf verteilte Outdoor-DSLAMs (DSL Access Multiplexer) anfallen. Die
Analysten bescheinigen deutschen Verbrauchern zudem nur mäßiges Interesse an Triple Play,
kombiniert mit großer Zurückhaltung, für TV-Angebote mehr Geld auszugeben: Bei einer
Forrester-Umfrage 2005 hatten rund die Hälfte der Befragten Kostenersparnis als Grund für den
Wechsel zu Triple Play angegeben.

Triple-Play-Welle rollt heran

Trotz solcher Warnungen rollt die Triple-Play-Welle auf uns zu: Kabel Deutschland bietet schon
seit Herbst 2005 den Mehrfachservice via TV-Kabel (Hybrid Fiber Coax, HFC). Die Telekom musste zwar
Berichten der Financial Times Deutschland zufolge aufgrund von Problemen mit Microsofts
IPTV-Plattform den Start ihres Angebots "T-Home" verschieben, plane aber nach wie vor den Start zum
Beginn der Bundesligasaison, wenn auch zunächst nur mit 25 MBit/s. "Der Ausbau des Access-Netzwerks
ist für die Deutsche Telekom wie auch für alternative Provider in Deutschland ein wichtiges Thema,
da Deutschland heute im Vergleich etwa zu Frankreich in Rückstand geraten ist," so Dirk Helmstädt,
der für Siemens Communications Carrier bei der Erstellung von Business-Cases unterstützt.

Vor diesem Hintergrund müssen alternative Anbieter weiter fleißig in den Ausbau ihrer eigenen
Netze investieren. So überrascht es nicht, dass auch Provider wie Arcor oder "Alice"-Betreiber
Hansenet nun loslegen: "Wir haben bereits das erste Triple-Play-Angebot über DSL am Markt," so
Hansenet-Pressesprecher Carsten Nillies. "Es umfasst rund 100 Sender, davon 60 im Bereich Free TV,
und rund 600 Filme im Video-on-Demand-Bereich. Das ist für uns erst der Start in das Fernsehen der
Zukunft – weitere Themen sind sicher HDTV (hochauflösendes TV), interaktives Fernsehen oder auch
Videotelefonie." Business-Lösungen wie IP-Videokonferenzen sollen folgen. Hansenet baut auf ADSL2+,
evaluiert laut Nillies aber VDSL. ADSL2+ reizt die Möglichkeiten der Kupferverkabelung aus und
schafft im Idealfall 25 MBit/s. Im Praxiseinsatz senken die erforderlichen Reichweiten,
Störeinflüsse und die verlegten Kabel diesen Wert aber meist auf 16 MBit/s.

Neben Arcor zählt Telefónica zu den prominentesten Anbietern, die der DT mittels eigener Netze
Paroli bieten: "Wir haben bereits Anfang letzten Jahres begonnen, in ein hochleistungsfähiges Netz
mit ADSL2+ zu investieren", erklärt Dr. Alwin Mahler, Vice President Strategy von Telefónica
Deutschland. "Wir konzentrieren uns voll und ganz auf diese Technologie, da diese für heute
erkennbare und von Nutzern angefragten Anwendungen ausreichend ist."

Genau um diesen Punkt rankt sich der Streit um die von der Telekom geforderten "
Regulierungsferien": VDSL sei eine ganz neue Technik, die Investitionen seien deshalb durch
mehrjährige Befreiung von der Regulierung zu belohnen, argumentiert die T-Com und erhielt
Unterstützung durch Bundesregierung und Bundesrat. "Wie das Beispiel DSL in der Vergangenheit
gezeigt hat, besteht auch bei VDSL die Gefahr einer neuen Monopolbildung", warnt hingegen Jürgen
Grützner, Geschäftsführer des DT-Mitbewerberverbands VATM: "Die Marktmacht der Telekom im
Anschlussbereich würde auf neue Märkte übertragen." Diese Position vertritt auch die EU-Kommissarin
Viviane Reding: Die Abschottung des VDSL-Netzes vom Wettbewerb sei Protektionismus. Hier bahnt sich
ein internationaler Rechtsstreit an.

So verständlich der Wunsch der Telekom ist, die Vorteile der Milliardeninvestitionen nicht an
die Konkurrenz durchreichen zu müssen, so stichhaltig ist das Argument der Wettbewerber: "Stand
heute gibt es keine Services, die lediglich über ein VDSL-Netz realisierbar sind," so Mahler von
Telefónica. Selbst ein HDTV-Stream, so die alternativen Telcos, erfordere höchstens sechs MBit/s.
Ein Haushalt müsste also mehrere HDTV-Kanäle gleichzeitig nutzen, um ADSL2+ an seine Grenze zu
treiben.

FTTH statt DSL

Dennoch setzen manche Provider vorausschauend auf die noch höher skalierbare Lösung FTTH (Fiber
to the Home, Faser bis zum Endverbraucher). Der Kölner City-Carrier Netcologne zum Beispiel bietet
heute ADSL2+, zielt aber auf 100 MBit/s über FTTH: "Netcologne baut innerhalb der nächsten fünf
Jahre in Köln sein eigenes Glasfasernetz mit Direktanschlüssen aus, dessen Bandbreite es fit für
alle denkbaren zukünftigen Anwendungen macht", so Geschäftsführer Werner Hanf. Andere Anbieter
lassen Triple Play außen vor und konzentrieren sich auf Nischen, so die Regensburger R-Kom: "R-Kom
ist auf die Bedürfnisse von Geschäftskunden fokussiert. Entsprechend haben wir aktuell kein
IPTV-Angebot und planen hierzu auch nichts", so Geschäftsführer Alfred Rauscher. Strategie sei
vielmehr, "das eigene LWL-Netz bis zum Kunden zu bauen und auf Basis dieser Infrastruktur
innovative Dienste anzubieten" – also Fiber to the Building (FTTB), das Business-Pendant zu FTTH.
Ein weiterer Weg zum Anwender, auf der viele Hoffnungen ruhen, ist die Funktechnik Wimax. Ihr
Nutzen als VDSL-Alternative ist aber fraglich: "Aus ökonomischen Gesichtspunkten eignet sich Wimax
eher für Bandbreiten bis zu etwa 500 kBit/s, andernfalls steigen die Kosten je Nutzer erheblich",
so Helmstädt von Siemens Com.

Branchenkenner rechnen mit einer Zunahme an Fusionen und Kooperationen. Zum Beispiel beteiligt
sich die schwedische Tele2 mit 50 Millionen Euro am Ausbau des ADSL2+-Netzes von QSC. "Der Deal ist
von Vorteil für beide Unternehmen, da er ihre gemeinsame Reichweite von 30 auf zirka 50 Prozent der
Bevölkerung erweitert," kommentiert Analyst Dan Bieler von Ovum. Die Möglichkeit maßgeschneiderter
DSL-Lösungen bringe QSC und Tele2 Vorteile gegenüber DT-Resellern, die auf die Telekom angewiesen
seien. "Zudem schätzen die Anbieter," so Bieler, "dass das Arrangement ihnen helfen wird, zirka 70
Prozent der Unternehmen mit potenziellem Bedarf an VPN-Lösungen zu erreichen."

So sehr die Triple-Play-Debatte um den Consumer-Markt kreist: Dan Bielers Kommentar zeigt, dass
die Auswirkungen von Triple Play viel weiter reichen, als die von den Carriern gerne genannten
Vorteile wie Business-TV und IP-Videokonferenzen suggerieren. Der Wettlauf der Carrier um die beste
Position im Triple-Play-Wettbewerb erzwingt Investitionen in die Access-Netze. Dies kann den
Unternehmenskunden nur recht sein, sichert dies doch ihre Provider-Auswahl, zumal laut Ovum-Analyst
Bieler gilt: "Alternative Carrier dringen stark in den DSL-Markt vor." Es wird deshalb auch für
Unternehmen sehr spannend sein, wie sich die Triple-Play-Aufrüstung weiterentwickelt, selbst wenn
diese auf TV-Konsumenten zielt.


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Lampertz GmbH & Co. KG

Matchmaker+