Im Mai dieses Jahres präsentierte VMware mit dem Vcloud Hybrid Service (VCHS) sein erstes eigenes IaaS-Angebot (Infrastructure as a Service) in einer Private Beta. Der Infrastruktur-Service wird vollständig von VMware betrieben und basiert auf VMware Vsphere. Unternehmen, die ihre eigenen On-Premise-Infrastrukturen bereits mit VMware virtualisiert haben, sollen damit die Möglichkeit erhalten, ihre RZ-Ressourcen wie Applikationen und Prozesse nahtlos in die Cloud zu erweitern, um darüber eine Hybrid Cloud aufzuspannen.
Im Rahmen der VMworld 2013 Europe in Barcelona im Oktober hat VMware bereits die Verfügbarkeit des VCHS in England mit einem neuen RZ-Standort in Slough in der Nähe von London angekündigt. Die Private-Beta-Version des europäischen Vcloud Hybrid Services wird ab dem vierten Quartal 2013 vorliegen, die allgemeine Verfügbarkeit ist für das erste Quartal 2014 geplant. Dieser Schritt zeigt, dass VMware der Public Cloud eine wichtige Bedeutung zuschreibt, wurde er doch insbesondere unternommen, um den Bedürfnissen der europäischen Kunden entgegenzukommen.
Freudige Erwartungshaltung lieber gedämpft betrachten?
Während der Pressekonferenz auf der VMworld in Barcelona machte VMware-CEO Pat Gelsinger erfreut die Ankündigung, dass sich statt der erwarteten 50 Anmeldungen sogar 100 Interessierte für den Test der VCHS Private Beta angemeldet haben. Das ist immerhin eine Verbesserung gegenüber den Erwartungen um 100 Prozent. Dennoch: 100 Testkunden können und dürfen für einen Anbieter wie VMware kein Erfolg sein. Man ziehe hierzu nur die breite Kundenbasis und die Kraft des Vertriebs heran.
Es ist daher die Frage zu stellen, wie attraktiv ein VMware-IaaS-Angebot tatsächlich sein kann und wie attraktiv VMware-Technik, allen voran VMwares in den Unternehmen weit verbreiteter Hypervisor, in Zukunft noch sein wird. Gespräche mit IT-Verantwortlichen ergeben immer häufiger, dass VMwares Hypervisor aus Kostengründen und Freiheitsempfinden (Lock-in) kurz- bis mittelfristig durch einen Open-Source-Hypervisor wie KVM abgelöst werden soll.
Herausforderungen: Amazon Web Services und das Partnernetzwerk
VMware positioniert sich mit VCHS zunächst exakt so wie etwa 95 Prozent aller Anbieter im IaaS-Markt: mit Rechenleistung und Speicherplatz. Ein Service-Portfolio ist nicht vorhanden. Dennoch sieht VMware die Amazon Web Services (AWS) als Hauptziel und größten Mitbewerber, wenn es darum geht, Kunden zu gewinnen.
Allerdings nutzen AWS-Kunden – auch Unternehmenskunden – mehr als nur die Infrastruktur. Jedes Mal, wenn ich mit AWS-Kunden spreche, stelle ich meine Standardfrage: „Wie viele infrastrukturnahe AWS-Services setzen Sie ein?“ Fasse ich alle bisherigen Antworten zusammen, komme ich auf einen Durchschnittswert von elf bis zwölf Services, die ein Kunde bei AWS nutzt.
Die meisten sagen, dass sie so viele Services nutzen würden wie notwendig, um so wenig Aufwand wie möglich zu haben. Ein Schlüsselerlebnis war ein Kunde, der ohne zu zögern und mit weit aufgerissenen Augen sagte, er nutze 99 Prozent aller Services.
AWS ist ein beliebtes und vor allem attraktives Ziel. Mit dem Blick auf AWS allein sollte VMware jedoch vorsichtig sein und sein Partnernetzwerk und insbesondere die Service-Provider nicht aus den Augen verlieren, die ihre Infrastrukturen mit VMware-Technik aufgebaut haben, darunter CSC, Dimension Data, Savvis, Tier 3, Verizon oder Virtustream.
Von ersten Service-Providern gibt es bereits Äußerungen, man erwäge, VMware den Rücken zu kehren und andere Hypervisoren wie Microsoft Hyper-V zu unterstützen. VMware sieht diese Diskussionen insofern entspannt, als VCHS rein für standardisierte Workloads gedacht ist und VMware-Powered Service-Provider sich um die speziellen Kundenbedürfnisse kümmern sollen.
Quo vadis Vcloud Hybrid Service?
Aufgrund seiner Technik, die bei einer Vielzahl von Cloud-Service-Providern zum Einsatz kommt, ist VMware bereits seit geraumer Zeit passiv im IaaS-Umfeld tätig. Allerdings steht der noch in der Beta-Phase befindliche Vcloud Hybrid Service in direkter Konkurrenz zu eben diesem Partnernetzwerk, sodass es zur Vertrauensfrage zwischen beiden Seiten kommen wird.
Dies kommt insbesondere dadurch zustande, dass VCHS mehr Funktionsumfang bietet als der typische Vcloud-Datacenter-Service. Dazu gehört unter anderem der neue Vcloud Hybrid Service Online Marketplace, mit dem Benutzer laut VMware Zugriff auf mehr als 3.800 Applikationen und Services haben, die sie in Verbindung mit VCHS nutzen können.
VMwares Strategie besteht in erster Linie darin, eine nahtlose technische Brücke zwischen lokalen VMware-Installationen und VCHS zu bauen – inklusive der Möglichkeit, bestehende Standard-Workloads zwischen einem eigenen Rechenzentrum und VCHS zu transferieren. Wie viel Erfolg VMware mit dieser Strategie haben wird, muss sich zeigen.
Ein Ergebnis unserer Untersuchung des europäischen Cloud-Markts hat ergeben, dass die meisten europäischen Unternehmen gern die Eigenschaften der Cloud – flexible Nutzung, Pay per Use und Skalierbarkeit – nutzen, Aufbau und Betrieb ihrer Applikationen und Systeme aber lieber dem Anbieter übergeben (als Managed oder Hosted Service). Dies sind gute Voraussetzungen für alle Service-Provider, die ihre Infrastruktur auf Basis von VMware-Technik aufgebaut haben, aber Kunden mit Professional Services auf dem Weg in die Cloud helfen. Allerdings sind dies für VMware VCHS nicht die besten Voraussetzungen, da VCHS lediglich Self-Service und Standard-Workloads unterstützen soll.
Wie für US-amerikanische Unternehmen typisch, startet VMware seinen europäischen VCHS in England. Der Konzern hat aber bereits angekündigt, in weiteren Ländern innerhalb von Europa aktiv werden zu wollen. Das europäische Engagement hat vor allem den Hintergrund, die Sorgen der Europäer zu besänftigen und auf deren spezielle Bedürfnisse einzugehen. Hier sieht VMwares EMEA-Strategie die Punkte Datenlokalität, Souveränität, Vertrauen, Sicherheit, Compliance und Governance vor. Ich möchte nicht zu kritisch erscheinen, aber hier ist der Name austauschbar: Alle Cloud-Anbieter werben mit denselben Anforderungen.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der Vcloud Hybrid Service in Kombination mit dem restlichen VMware-Portfolio gute Chancen hat, eine führende Rolle im IaaS-Markt einzunehmen. Dies liegt insbesondere an der breiten Kundenbasis, einem starken Ökosystem und der langjährigen Erfahrung mit Unternehmenskunden. Laut VMware-Angaben setzen über 500.000 Kunden inklusive 100 Prozent der Fortune 500, 100 Prozent der Fortune Global 100 sowie 95 Prozent der DAX-100-Unternehmen VMware-Technik ein. Weiterhin sollen mehr als 80 Prozent der virtualisierten Workloads und eine große Anzahl von unternehmenskritischen Anwendungen auf VMware-Basis laufen.
Das bedeutet, dass der Übergang zu einer VMware-basierten Hybrid Cloud kein ungewöhnlicher Schritt ist, um ohne großen Aufwand zu skalieren. Des Weiteren verfügt VMware wie kein anderer Virtualisierungs- oder Cloud-Anbieter über ein sehr großes Ökosystem von Partnern, Resellern, Beratern, Trainern und Vertriebskanälen. Mit diesem Ökosystem hat VMware einen großen Vorteil gegenüber seinen Mitbewerbern im IaaS- und generell im Cloud-Computing-Umfeld.
Ähnlich verhält es sich bei der technischen Attraktivität. Organisatorisch setzt VMware nicht auf eine typische Public-Cloud-Umgebung, sondern bietet entweder eine physisch isolierte Dedicated Cloud pro Kunde oder eine Virtual Private Cloud. Die Dedicated Cloud bietet zum einen deutlich mehr Leistung als die Virtual Private Cloud und versorgt die Kunden aus einem physisch getrennten Pool mit VCPUs und VRAM. Der Speicher und das Netzwerk zwischen den Kunden sind logisch isoliert. Bei der Virtual Private Cloud werden Kunden mit derselben Designarchitektur der Dedicated Cloud mit Ressourcen versorgt, sind aber nur logisch und nicht physisch voneinander getrennt.
Bestehende VMware-Infrastrukturen lassen sich bequem mit dem VCHS zu einer Hybrid Cloud aufspannen und Ressourcen bei Bedarf hin und her verschieben. Zudem kann ein Unternehmen damit Test- und Entwicklungs- oder Disaster-Recovery-Umgebungen aufbauen. Allerdings steht dafür eine Vielzahl an VMware-Service-Providern bereit, was zur größten Herausforderung für beide Seiten werden könnte.