Was vor neun Monaten auf der IBM-Tivoli-Konferenz Pulse in Orlando noch "industrialisiertes Rechenzentrum" hieß, findet sich seit der Februar-Pulse in Las Vegas nun unter dem Dach der "Smarter Planet"-Initiative. Hier hat IBM Aktivitäten gebündelt, um die IT in den Dienst eines Unternehmens und der Umwelt zu stellen. Zunehmend werden Elemente des Asset-, Facility- sowie des Enterprise-Resource-Managements in sie integriert.
Viele Unternehmen stehen am Scheideweg - und dafür ist keinesfalls allein die Wirtschaftskrise verantwortlich. Vielmehr hat sich die Art und Weise, wie Unternehmen IT einsetzen und managen, schneller überholt, als viele IT-Verantwortliche wahrhaben wollen. So sieht es jedenfalls Alfred Zollar, General Manager Tivoli Software in der IBM Software Group. IT arbeite oft noch viel zu ineffizient, und sie sei blind gegenüber den Aufgaben, die auf sie zukommen. Schuld daran seien nicht die für die Service-Bereitstellung verwendeten Server-, Speicher-, Software-, PC- und Netzwerksysteme an sich, sondern vor allem die gedankliche Verhaftung der IT-Manager oder der gesamten IT-Organisation im jeweiligen IT-Silo. "Diese in vielen Unternehmen organisch gewachsene Form der IT-Betrachtung wurde inzwischen zum Selbstläufer", so Zollar. "Silos werden mit der Zeit sehr bequem, und die jeweils involvierten Mitarbeiter verteidigen sie, auch wenn es ökonomisch schon längst nicht mehr sinnvoll ist."
Weg mit den Silos aus der IT und aus den Köpfen der Mitarbeiter - so lautet die zentrale Botschaft Zollars zur Pulse. Das Niederreißen dieser überkommenen Barrieren sei die wesentliche Voraussetzung, um IBMs Vision zu verwirklichen.
Doch zum Wirtschaften auf einem "smarten Planeten" gehöre noch weit mehr - allem voran eine dynamische Infrastruktur. Auch dies gaben fast alle IBM-Sprecher auf der Pulse immer wieder gebetsmühlenartig zum Besten. Wichtigster Aspekt, den es in diesem Zusammenhang heute zu realisieren gelte: Integration und Management digitaler und physischer Welten.
"Unternehmen mit einer dynamischen Infrastruktur haben eine ganzheitliche Sicht auf Unternehmensprozesse und sind in der Lage, in Echtzeit auf Änderungen und neue Herausforderungen zu reagieren", so der Tivoli-Chef. Voraussetzung für das Management der physischen Infrastruktur ist deren möglichst weitgehende Echtzeitdurchmessung mit geeigneten Instrumenten. Im Bild, das IBM vom Unternehmen der Zukunft zeichnet, ist deshalb alles mit Sensoren versehen: Von Brücken und Straßen über Autos, elektrischen Geräten aller Art, Kameras, Pipelines bis hin zu medizinischen Instrumenten - nichts soll mehr ohne eingebettete Messkomponente sein.
Die Vermessung selbst ist jedoch nur die halbe Miete - einen echten Mehrwert generiert das Ganze laut Zollar erst durch eine umfassende Vermaschung, wofür das Internet ideales Medium sei. Auf diese Weise soll rund eine Trillion neuer Verbindungen intelligenter Dinge entstehen, verbunden mit einer schier utopisch anmutenden Menge neuen Datenaufkommens.
Weitere entscheidende Merkmale einer neuen, dynamischen Infrastruktur nach den Visionen von IBM sind die Fähigkeit, die zirka 15 PByte an täglich neu generierten Informationen (das sind etwa achtmal so viele, wie in allen US-Bibliotheken zusammen vorliegen) zu verwalten, speichern und analysieren, sowie außerdem höhere Effizienz. Die Kosten für RZs hätten sich seit 1996 etwa verachtfacht - während gleichzeitig die Auslastung verteilter Serversysteme bei lediglich sechs bis 15 Prozent liege. "Das ist nicht das, was wir uns unter Effizienz vorstellen", mahnt Zollar. Dabei habe ein durchschnittliches Rechenzentrum ungefähr den Energieverbrauch einer Kleinstadt mit 25.000 Einwohnern. Seit Mitte 2008 ist IBM dank der Lösung IBM Systems Director in der Lage, IT- und Energie-Management für jeden Server in Beziehung zu setzen. Ab sofort soll dies auch übergreifend für Non-IT-Assets wie Kühlung, Luftbefeuchter, Lichtanlagen etc. möglich sein. IBM verspricht sich davon tiefgreifende Auswirkungen auf die Energiekosten. "Allein aus den Erfahrungen beim Energie-Management für Server wissen wir, dass in Umgebungen mit etwa 1.000 Servern eine einzige Policy-Änderung die jährlichen Energiekosten um bis zu einer halben Million Dollar senken kann", erklärt Zollar, "die Effekte durch die Reduzierung der nötigen Kühlung gar nicht mitgerechnet."
Unabhängig von der Art eines Unternehmes - fast überall finden sich mehr oder weniger die gleichen IT-Komponenten wieder. Die physische Infrastruktur dagegen ist spezifisch je nach Art des Business. Basierend auf Erfahrungen aus Tausenden Kundenprojekten weltweit hat IBM zusammen mit seiner Softwareabteilung Tivoli nun eine Reihe industriespezifischer Services und Softwarelösungen aufgesetzt, die den Unternehmen bei der Integration ihrer digitalen und physischen Infrastruktur helfen sollen.
Zur Pulse wurden Pakete für sieben Branchen angekündigt: für Versorgungswerke, Chemie- und Ölindustrie, Telekommunikations-Provider, Banken, Elektronik und Herstellungsbetriebe. Das neue Angebot umfasst Service-Management-Software sowie Services von IBM Global Business Services, IBM Global Technology Services und spezialisierte IBM-Business-Partner-Leistungen. Weitere Bausteine umfassen Dienste für Entwurf und Aufbau von Service-Management-Strategien, neue Praktiken bei der Beratung in Sachen Unternehmenssteuerung sowie die Tivoli-Lösungen Service Automation Manager und Tivoli Key Lifecycle Manager. Letztere soll die Schlüsselverwaltung in Organisationen zentralisieren und automatisieren und dadurch Sicherheitsprozesse stärken und vereinfachen.
Ein wichtiges Thema auf der Pulse war das Cloud Computing. IBM präsentierte sich als partnerorientiertes Dienstleistungsunternehmen, das die Errungenschaften der "dynamischen Infrastruktur" auch in Form kompletter Cloud-Services anbietet. In diesem Zusammenhang ließ IBM eine Reihe neuer Softwarelösungen und Services vom Stapel. Neue Partnerschaften runden das forcierte Cloud-Engagement ab.
Mit seiner neuen Blue-Cloud-Initiative versucht IBM, dem Thema Cloud mehr Seriosität zu verleihen. Ziel ist es, integrierte Cloud-Lösungen für Unternehmen zu entwickeln, zu testen und einsetzbar zu machen. In diesem Kontext arbeitet Big Blue auch mit Partnern zusammen. IBM verfügt bereits seit Längerem über ein breites Portfolio an Cloud-Angeboten für Unternehmen wie zum Beispiel Server-Kapazität "on Demand", Online-Datenschutz sowie Lotus-E-Mail- und Collaboration-Software. Die Analysten von IDC erwarten, dass der Markt für Cloud-Services bis 2012 ein Volumen von 42 Milliarden Dollar erreichen wird.
Um sich von diesem Kuchen ein möglichst großes Stück abzuschneiden, hat IBM sein Cloud-Know-how aus allen Abteilungen gebündelt und in Form von zwei neuen Services für den Markt aufbereitet. "Infrastructure Strategy and Planning for Cloud Computing" repräsentiert dabei ein umfassendes Beratungsangebot, "Design and Implementation for Cloud Computing" soll beim Cloud-Aufbau unterstützen.
Neue Software-Produkte oder Releases wie Rational Appscan (jetzt in Version 7.8 mit Sicherung von in einer Cloud veröffentlichten Web-Services), Rational Appscan on Demand (kontinuierliches Monitoring von Web-Services) sowie Service-Management for Cloud Computing mit seinen beiden Zusatzapplikationen Tivoli Provisioning Manager 7.1 und Tivoli Service Automation Manager unterstützen das neue Engagement von der Softwareseite. Außerdem hat IBM angekündigt, in Kürze auch einen Backup-Dienst namens "Tivoli Storage as a Service" über seine Business Continuity and Resiliency Cloud anzubieten.
Mit Unterstützung von Juniper Networks will IBM zudem seine weltweit neun Cloud-Laboratorien zu einer "Overflow-Cloud" verbinden. Auf diese Weise wollen die beiden Partner zeigen, wie es eine hybride Cloud Unternehmen erlaubt, ihre privaten Rechnerverbünde nahtlos in Richtung entfernter Server einer gesicherten, öffentlichen Cloud zu erweitern. Wenn die Ressourcen hier knapp werden sollten, erhalten wichtige Applikationen Priorität vor weniger wichtigen.
Doch die schöne "blaue Wolke" hat auch bei IBM einen leichten Graustich: Nachdem zwischen Cloud-Provider und Anwender immer noch ein TK-Provider sitzt, über den die Verbindungen laufen, tun sich die Cloud-Anbieter bis heute sehr schwer mit belastbaren Service-Level-Vereinbarungen (SLAs). Keiner will dafür geradestehen, wenn wegen eines Fehlers oder Ausfalls im Zugangsnetz Probleme mit den Cloud-Services auftreten.
Kieran Moynihan, Vice President CTO Telecoms bei IBM Tivoli, beobachtet als Folge dieser Situation zwei neue Entwicklungen: "Zum einen entdecken Telcos auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern die Cloud als neuen Umsatzbringer, zum anderen entsteht derzeit eine neue Art von SLA-Geflecht, das Verantwortlichkeiten gegenüber dem Anwender neu definiert." Big Blue selbst wirft seine langjährige Erfahrung beim Betrieb und Management von Rechenzentren in die Waagschale - weltweit würden derzeit acht Millionen Quadratmeter RZ-Fläche unter der Federführung von IBM betrieben. Im Mai dieses Jahres will der IT-Gigant auch im eigenen Hause ein Exempel statuieren: Auf einem neuen Campus in North Carolina soll dann das "effizienteste Rechenzentrum der Welt" in Betrieb gehen.