Als am vorvergangenen Freitag in München der 18-jährige David S. neun Menschen erschoss, spielten die sozialen Netzwerke in der Berichterstattung eine wichtige Rolle – wenn auch eine zwiespältige. In kürzester Zeit tauchten bei Facebook und Twitter mehrere Videos auf, die den Amokläufer während seiner Tat und Flucht zeigten. Noch vor wenigen Jahren hätten solche Dokumente eines Amoklaufs nie entstehen können, weil kaum jemand mit einer Kamera zur Stelle gewesen wäre. Jetzt sind sie nahezu selbstverständlich und über soziale Netzwerke binnen Sekunden geteilt. Ebenso schnell machten aber auch unzählige Gerüchte die Runde. Plötzlich wurden von allen möglichen Orten Schüsse gemeldet: vom Stachus, vom Odeonsplatz, selbst aus dem Innenhof des Redaktionsgebäudes der Abendzeitung – in der bayerischen Landeshauptstadt herrschte teilweise Panik.
Da half es auch nicht, dass viele Online-Medien in ihren Live-Tickern derartige Spekulationen ungefiltert weiterreichten. Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen, die Informationen zu prüfen und weitere Quellen zur Bestätigung zu finden. Dann wären weniger Falschinformationen – zum Teil auch bewusst gestreute wie die Bilder von toten Menschen aus einem Einkaufszentrum in Südafrika – verbreitet worden. Doch auf der Jagd nach jedem noch so kleinen Informationsschnipsel blieb die journalistische Sorgfalt auf der Strecke. Und auch das oft übliche Konkurrenzdenken, denn Infos aus den Live-Tickern der Wettbewerber wurden erstaunlich oft unter Verweis auf eben jene in die eigenen Ticker übernommen.
Vorbildlich im Umgang mit den sozialen Netzwerken war dagegen die Polizei. Sie informierte via Twitter über die Ermittlungen und mahnte zu Ruhe und Besonnenheit, empfahl der Bevölkerung, öffentliche Plätze zu meiden, und bat darum, keine Bilder vom Tatort oder den Einsatzkräften zu posten, um dem Täter keine Hilfestellung zu geben. Das tat sie zwar auch auf anderen Kanälen, doch wichtig war, dass sie auch Twitter nutzte. Ein Medium, das so schnell Infos vom Tatort lieferte wie kein anderes. Ein Medium, das einfach und schnell das Teilen von Informationen erlaubt. Ein Medium, das gerade in den jüngeren Altersgruppen der klassischen Nachrichtensendung, aber auch Nachrichten-Websites den Rang abgelaufen hat.
Und das von den Menschen genutzt wurde, um sich in den chaotischen Stunden zu organisieren. Unter dem Hashtag #offenetuer boten Münchner denjenigen eine Zuflucht, die in der Stadt gestrandet waren, weil keine Busse und Bahnen mehr fuhren. Ein beruhigendes Zeichen bei all der Hysterie.