Gigaset steht für DECT-Telefone wie Tempo für Taschentücher. Doch der Marktführer hat die Coronazeit nicht gut überstanden. Die Sanierung in Eigenregie scheiterte. Nach dem Verkauf musste Gigaset von Grund auf neu aufgebaut werden. Vertriebschef Ralf Lueb berichtet über den schwierigen Neustart.
Es war der perfekte Sturm, in den Gigaset geraten war. Dabei war 2023 der Corona-Ausnahmezustand schon vorbei. Und der deutsche Hersteller hatte von den Lockdowns, der Flucht ins Homeoffice und sogar von den gestörten Lieferketten zunächst sogar profitiert, wie Ralf Lueb, SVP Global Sales Gigaset, im Gespräch mit connect professional berichtete.
Mit dem Beginn der Lockdowns herrschte zunächst absoluter Stillstand und auch die vielen tausend Verkaufsstellen von Gigaset waren geschlossen. Wegen der Verlagerung ins Homeoffice explodierte dann jedoch die Nachfrage – und Gigaset konnte liefern. Die Verkäufe verlagerten sich schnell in den Online-Handel und die Produktion in Bocholt konnte problemlos hochgefahren werden, während andere Hersteller nicht lieferfähig waren. „Es war der Booster fürs Online-Geschäft und doppelt positiv wegen der hohen Nachfrage fürs Homeoffice. Wir haben quasi zweifach gewonnen“, so Lueb.
Zwar waren die benötigten Komponenten rar und teuer. Trotzdem bestellte Gigaset kräftig nach, weil die Orderbücher voll waren. Doch es kam anders. Nach Corona brauchten nicht nur die Shops länger als gedacht zurück zum Normalbetrieb. Auch der Corona-bedingte Nachfrageschub bremste deutlich ab. Und nicht alle Bestellungen wurden auch abgerufen. So lag viel teuer eingekauftes Rohmaterial auf Halde während die Preise ins Rutschen kamen, weil viele Hersteller ihre Überbestände auf den Markt warfen.
Sanierung gescheitert, Investor gefunden
Ende 2023 musste Gigaset den Gang zum Insolvenzgericht antreten und hoffte vergeblich auf eine Sanierung in Eigenregie. Das funktionierte nicht. Zu Jahresbeginn 2024 wurde endlich ein Investor gefunden:
Was der Asset Deal, also die Übernahme des Geschäftsbetriebs und aller Assets – im Gegensatz zu einem Share Deal, bei dem die Anteile der Gesellschafter gekauft werden – für den Weiterbetrieb bedeuten würde, habe man sich damals jedoch nicht vorstellen können, berichtet Lueb.
Plötzlich waren beispielsweise alle Verträge mit Geschäftspartnern, Lieferanten etc. nichtig und mussten neu ausgehandelt werden. „Wir haben quasi bei Null angefangen“. Die letzten drei Monate habe das Unternehmen einen kompletten Neustart durchgezogen. „Wir haben im Prinzip eine neue Firma, alle Prozesse wurden neu aufgesetzt“, so Lueb.
Bei dem Neustart blieb zudem so einiges auf der Strecke. 189 Mitarbeiter sind nicht mehr dabei. Nur noch 500 sind übrig, davon 429 im Kernmarkt Deutschland. Das Smarthome-Geschäft wurde nicht von Vtech übernommen und musste abgewickelt werden, was zu erheblichem Unmut der Kunden führte. Denn Gigaset schaltete im März 2024 auch alle Cloud-Services für die vernetzten Geräte ab. Die App funktionierte nicht mehr, die Produkte waren damit schrottreif (connect professional berichtete).