funkschau: Braucht es Qualitätsklassen oder ist das Best-Effort-Prinzip ausreichend?
Rudolf Boll: Diese Frage ist letztlich nur von den Kunden zu beantworten. Diese können recht unterschiedliche Anforderungen haben. Premium-Qualität und Best-Effort sind keine unversöhnlichen Gegensätze, es geht also nicht um ein simples „Entweder-oder“. Die Bundesnetzagentur setzt zur Sicherung der Netzneutralität auf Wettbewerb und informierte Kunden.
funkschau: Droht mit dem Kippen der Netzneutralität Diskriminierung, Innovationsrückgang bis hin zur Zensur? Ist die Offenheit des Webs in Gefahr?
Boll: Bisher gibt es in Europa nur wenige Fälle, wo die Netzneutralität verletzt wurde. Die Bevorzugung bestimmter Inhalteanbieter wäre jedoch bedenklich. Es gilt, die Innovationskraft des Internets zu erhalten. Wo ein Unternehmen den Markt beherrscht, haben wir rechtliche Möglichkeiten, auf wettbewerbsbehindernde Diskriminierungen zu reagieren.
funkschau: Was hat der User vom Kippen der Netzneutralität? Wo liegt für ihn der Nutzen?
Boll: Ich glaube nicht, dass von einem „Kippen der Netzneutralität“ gesprochen werden kann. Mehr Wahlmöglichkeiten für Kunden schränken die Netzneutralität nicht ein. Problematisch wird es, wenn gezielt die Qualität verschlechtert wird, um eine Zahlungsbereitschaft für Premium-Angebote zu wecken. Hier setzt das neue TKG (Telekommunikationsgesetz) mit der Möglichkeit der Festsetzung einer Mindestqualität an.
funkschau: Bremsen Qualitätsklassen am Ende die Bereitschaft zum Infrastrukturausbau?
Boll: Hier gibt es keine einfachen kausalen Zusammenhänge. Wenn die Zahlungsbereitschaft der Kunden hoch ist, wird dies die Bereitschaft der Netzbetreiber zum Infrastrukturausbau fördern. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Netze mit oder ohne Qualitätsklassen handelt. Entscheidend ist auch, dass der Ausbau für den Netzbetreiber profitabel ist.
funkschau: Wenn man den Schritt zur „Liberalisierung“ geht, welche Rolle spielt dann die Regulierung? Brauchen wir ein Gesetz?
Boll: Abstrakte Regelungen für bislang noch sehr abstrakte Probleme sind bei der aktuellen Debatte nicht hilfreich. Der Entwurf zur TKG-Novelle sieht hier ausreichende Lösungen vor, zum Beispiel verbesserte Transparenzverpflichtungen sowie die Möglichkeit der Festlegung einer Mindestqualität.